Faktencheck zur priesterlichen Ehelosigkeit

Der Zölibat – das überfrachtete Gesetz

Veröffentlicht am 08.01.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Debatte

Bonn ‐ Die im Zuge des kirchlichen Missbrauchsskandals mit neuer Brisanz und Heftigkeit wiederaufgeflammte Diskussion um den Zölibat krankt an dessen Überhöhung und Überfrachtung, so der Kirchenrechtler Wolfgang F. Rothe. In einem Gastbeitrag für katholisch.de unterzieht er die Debatte einem Faktencheck.

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Vor seiner Priesterweihe müsse jeder Weihekandidat dem Bischof in die Hand versprechen, künftig zölibatär zu leben, wurde erst jüngst wieder ein hochrangiger Geistlicher in einer Tageszeitung zitiert. Wer dieses Gelübde breche, könne nicht länger als Priester wirken, sondern werde unweigerlich suspendiert. Das Priestertum verlange die zölibatäre Lebensweise zwar nicht von seinem Wesen her, sie sei ihm aber absolut angemessen. Darum sei ein Zölibatsbruch im Kirchenrecht auch mit schweren Sanktionen bedroht. Das sei unmenschlich und unbarmherzig, hielt ein Kommentator dem entgegen: Einem künftigen Priester das Versprechen abzuverlangen, zeitlebens zölibatär zu leben, und die Einhaltung dieses Versprechens durch die Androhung folgenschwerer Strafen einzufordern, stelle eine Überforderung dar, die zu massiven inneren Konflikten führen und sich im Extremfall sogar in sexuellem Missbrauch entladen könne.

Der Zölibat ist weder ein Gelübde noch ein förmliches Versprechen

Das Zölibatsgelübde gehört abgeschafft, sagen also die einen: Es beruhe auf einem nicht mehr zeitgemäßen Verständnis von Sexualität und entfremde diejenigen, die es abgelegt haben, von der heutigen Lebenswirklichkeit. Das Zölibatsgelübde müsse beibehalten werden, wenden die anderen ein: Es entspreche dem Beispiel Jesu und stelle darum einen Wert dar, auf den die Kirche keinesfalls verzichten könne. So verhärtet die Fronten auch sein mögen – in einem sind sich Gegner und Befürworter des Zölibats offenbar vollkommen einig: in dessen Überhöhung. Während die einen den Zölibat überhöhen, um ihn als quasi sakrosankt und unverzichtbar erscheinen zu lassen, tun die anderen genau dasselbe, um ihn als möglichst weltfremd und absurd anzuprangern. Schaut man hingegen im kirchlichen Gesetzbuch nach, was der Zölibat ist und was nicht, wird eines sehr schnell klar: Er ist weder ein Gelübde noch ein förmliches Versprechen!

Whiskyvikar Wolfgang F. Rothe
Bild: ©Bernhard Czerny

Wolfgang F. Rothe ist Priester und promovierter Kirchenrechtler – bekannt ist er aber vor allem wegen seiner Whisky-Expertise: Als "Whisky-Vikar" schreibt er für Whisky-Fachzeitschriften und Bücher über das "Wasser des Lebens".

Dem Kodex des kanonischen Rechts zufolge verpflichtet der Zölibat dazu, "vollkommene und immerwährende Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen zu wahren" (can. 277 § 1 CIC). Er ist demnach zunächst einmal eine gesetzliche Verpflichtung – nicht mehr und nicht weniger. Die entsprechende Vorschrift steht im kirchlichen Gesetzbuch auch nicht isoliert oder herausgehoben, sondern inmitten zahlreicher anderer Verpflichtungen, denen – von Ausnahmen abgesehen – alle unterliegen, die eine kirchliche Weihe empfangen haben. Dazu gehören zum Beispiel die Verpflichtung "zum täglichen Stundengebet" (can. 276 § 2 3° CIC) oder die Verpflichtung, "eine geziemende kirchliche Kleidung zu tragen" (can. 284 CIC). Zwischen all diesen Verpflichtungen – wohlgemerkt: einschließlich des Zölibats – besteht keinerlei Unterschied hinsichtlich ihres Geltungsanspruchs und Verpflichtungsgrades.

Das vermeintliche Zölibatsgelübde ist lediglich eine Absichtserklärung

Wenn es sich beim Zölibat aber um eine gesetzliche Verpflichtung handelt, kann es sich logischerweise nicht um ein Gelübde handeln. Es wäre schließlich widersinnig, etwas zu geloben, zu dem man ohnehin verpflichtet ist. Und tatsächlich muss niemand als Bedingung für den Empfang des Weihesakramentes feierlich geloben, fortan zölibatär zu leben. Ein künftiger Priester wird im Rahmen seiner Weihe zum Diakon lediglich gefragt, ob er bereit sei, zum Zeichen seiner Hingabe an Christus und die Kirche um des Himmelreiches willen zölibatär zu leben. Die im Weiheritus vorgesehene Antwort lautet nun nicht: "Ich gelobe es." Sie lautet auch nicht: "Ich verspreche es." Sie lautet lediglich: "Ich bin bereit." Mit anderen Worten ausgedrückt: Das vermeintliche Zölibatsgelübde ist kein Gelübde, ja eigentlich noch nicht einmal ein förmliches Versprechen, sondern lediglich eine Bereitschafts- oder Absichtserklärung.

Ein Zölibatsgelübde oder -versprechen im eigentlichen Sinn legen lediglich die Ordensleute ab sowie jene, die sich einer ordensähnlichen Gemeinschaft anschließen. Unabhängig davon, ob sie das Weihesakrament empfangen oder nicht, verpflichten sie sich "zu vollkommener Enthaltsamkeit im Zölibat" (can. 599 CIC). Im Unterschied zum Zölibat derjenigen, die das Weihesakrament empfangen, erklären sie also nicht nur ihre Bereitschaft, eine gesetzliche Verpflichtung zu übernehmen, sondern verpflichten sich zunächst und vor allem selbst. In ihrem Fall gehört der Zölibat (zusammen mit der Selbstverpflichtung zu Armut und Gehorsam) zum Wesen ihrer Lebensform und steht insofern auch gar nicht zur Disposition. Selbst wenn der an das Weihesakrament gekoppelte Zölibat irgendwann einmal abgeschafft würde, bliebe der Zölibat der Ordensleute also erhalten, so dass der Kirche dieses Ideal keinesfalls verloren ginge.

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Video: © katholisch.de

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Die mitunter selbst unter Geistlichen verbreitete Annahme, ein Zölibatsverstoß stelle in jedem Fall eine kirchliche Straftat dar, trifft so ebenfalls nicht zu. Richtig ist, dass dies nur unter ganz bestimmten Umständen der Fall ist – und zwar aus nachvollziehbaren Gründen und insofern zu Recht: nämlich dann, wenn er entweder im Rahmen einer Beichte geschieht (can. 1387 CIC), in den Versuch einer Eheschließung (can. 1394 § 1 CIC) oder ein eheähnliches Verhältnis (can. 1395 § 1 CIC) mündet, zum Dauerzustand wird und dadurch Ärgernis hervorruft (ebd.), oder – was im aktuellen Kontext von besonderer Wichtigkeit ist – wenn er "mit Gewalt, durch Drohungen, öffentlich oder an einem Minderjährigen" (can. 1395 § 2 CIC) begangen wird. Jüngst ausgeweitet wurde die Strafbarkeit von Zölibatsverstößen, wenn schutzbedürftige Volljährige betroffen oder kinderpornographische Materialien im Spiel sind ("Vos estis lux mundi", Art. 1).

Befürworter und Gegner sollten den Zölibat nicht faktenwidrig überhöhen

Alle anderen denkbaren Formen von Zölibatsverstößen stellen – wohlgemerkt: nach geltendem Kirchenrecht – Gesetzesübertretungen dar, aber keine Straftaten. Selbstverständlich kann man nun die Frage aufwerfen, ob das Kirchenrecht der einzige Maßstab ist, an dem die Bedeutung und Verbindlichkeit des Zölibats ermessen werden kann. Die Antwort ist klar zu verneinen! Natürlich gibt es auch noch andere Maßstäbe: historische, moralische, pastorale, dogmatische und nicht zuletzt auch lehramtliche. Solcherart Erklärungen, Ermahnungen und Appelle erhöhen aber allenfalls den moralischen Druck, nicht aber den Geltungsanspruch und Verpflichtungsgrad des Zölibatsgesetzes. Wann immer jemand den Eindruck zu erwecken versucht, der Zölibat sei ein Gelübde oder förmliches Versprechen, scheint er davon überzeugt zu sein, dass er ohne eine solche Überhöhung weder begründbar noch durchsetzbar ist.

Festzuhalten ist also: Katholische Geistliche, die weder einem Orden noch einer ordensähnlichen Gemeinschaft angehören, haben vor ihrer Weihe weder ein Zölibatsgelübde noch ein förmliches Zölibatsversprechen abgelegt, sondern lediglich ihre Bereitschaft bekundet, zölibatär leben zu wollen – nicht mehr und nicht weniger. Es täte der im Zuge des Missbrauchsskandals mit neuer Brisanz und Heftigkeit wiederaufgeflammten Debatte um den Zölibat gut, diesen nicht länger faktenwidrig zum Gelübde oder förmlichen Versprechen zu überhöhen und so mit einem Anspruch zu überfrachten, den er gar nicht erhebt – und zwar vollkommen unabhängig davon, ob man ihn nun befürwortet oder ablehnt.

Von Wolfgang F. Rothe