Warum eine Thüringer Katholikin Tausende Grablichter entzündet

Ein Lichtermeer für die Corona-Toten

Veröffentlicht am 18.04.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Zella-Mehlis ‐ Tausende Grablichter erhellen derzeit jedes Wochenende den Garten von Gertrud Schop im thüringischen Zella-Mehlis. Die gläubige Katholikin will mit der ungewöhnlichen Aktion an die Covid-19-Toten in Deutschland erinnern. Doch das Lichtermeer ist auch ein Ergebnis großer Wut.

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Wenn es Nacht wird, legt sich die Dunkelheit normalerweise wie ein schwarzer Teppich über Zella-Mehlis. Doch in diesen Tagen der Corona-Pandemie ist das anders – zumindest auf einem Grundstück der "H I O B Stiftung SCHOP" von Gertrud Schop. Hier, mitten in der Kleinstadt im Thüringer Wald, erstrahlt seit Mitte März in unregelmäßigen Abständen ein großes Lichtermeer aus zunächst Hunderten und inzwischen Tausenden weißen und roten Kerzen – und immer noch kommen mehr Lichter hinzu.

Der traurige Grund: Getrud Schop hat es sich mit der von ihr gegründeten Stiftung zum Ziel gesetzt, für jedes Covid-19-Opfer in Deutschland ein Grablicht anzuzünden. Mit 249 Kerzen hat die 60-jährige Katholikin Mitte März mit ihrer Aktion angefangen, an diesem Freitagabend musste sie – unterstützt von einer Helferin – gemäß den jüngsten Zahlen des Robert-Koch-Instituts bereits fast 4.000 Kerzen entflammen. Und ein Ende des durch das Coronavirus ausgelösten Sterbens ist noch nicht in Sicht.

Das Gottesdienstverbot als "säkulare Überreaktion"

Anfänglich hatte Schop die Idee, mit den Kerzen die abstrakte Zahl der Todesopfer sichtbar und damit ein Stück begreifbarer zu machen. Doch bei dieser Motivation blieb es nicht, erzählt die Steuerberaterin im Gespräch mit katholisch.de. Die Kerzen, die sie in Form eines Kreuzes aufgestellt hat, sollen auch "Stellvertreter" für die Angehörigen und Freunde der Covid-19-Toten sein, die wegen der seit Ende März geltenden Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen nicht an deren Beerdigungen teilnehmen können. "Jede Kerze entspricht einem Menschen, der durch Covid-19 getötet wurde. Und jeder dieser Menschen hatte Ehepartner, Kinder, Freunde, Nachbarn oder Vereinskameraden, die wegen der Corona-Krise nur eingeschränkt um den Toten trauern können", so Schop. Mit ihren Kerzen wolle sie die Trauer um die Verstorbenen zum Ausdruck bringen und für jedes einzelne Leben beten.

Jenseits dieses hehren Motivs ist Schops Lichteraktion allerdings auch ein Ergebnis großer Wut – und die hat mit den derzeitigen Gottesdienstverboten zu tun. Sie verspüre "immensen Ärger", dass die Politik sich erdreistet habe, im Zuge der Corona-Krise öffentliche Gottesdienste bundesweit zu untersagen. Seither fehlten gläubigen Menschen aller Religionen Orte, an denen sie einen Teil ihrer Trauer und Sorgen, aber auch ihren Dank und ihre Freude etwa über eine erfolgreiche Genesung von der Viruserkrankung zeigen könnten. Für Katholiken sei das geltende Verbot wegen des Sakramentenverständnisses allerdings besonders schlimm. "Wir werden dadurch von den Sakramenten ausgeschlossen", empört sich Schop. Auch auf dieses Problem wolle sie mit den brennenden Kerzen in ihrem Garten aufmerksam machen.

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Das Gottesdienstverbot, das nach den jüngsten Gesprächen zwischen Politik und Kirchen so allerdings nicht mehr lange Bestand haben dürfte, ist für Schop eine "säkulare Überreaktion"; die verschiedenen – allerdings erfolglosen – Klagen gegen das Verbot habe sie sehr begrüßt. "Man kann das Anzünden einer Kerze oder die Teilnahme an einer heiligen Messe nicht als 'nicht lebensnotwendig' abqualifizieren", betont die 60-Jährige. Die Politik habe durch das Verbot das Heilige missachtet. "Der Kauf von Gartenzubehör ist weiterhin erlaubt, auch die Haare soll man sich bald wieder schneiden lassen können – aber der Empfang des heiligen Sakraments bleibt bis auf Weiteres verboten. Das kann nicht sein", kritisiert Schop. Der Besuch einer Kirche, davon ist sie überzeugt, könne in der aktuellen Krise auch gegen Aggression und häusliche Gewalt helfen, weil Menschen ihren Ärger und Frust vor Gott loslassen könnten.

Auch deshalb hätte sich Schop vor allem von den Bischöfen mehr Widerstand gegen das Gottesdienstverbot gewünscht. Zudem habe sie eigentlich erwartet, dass die Kirche aufgrund ihrer 2.000-jährigen Geschichte über ausreichend Erfahrung im Umgang mit Seuchen verfüge. "Warum gab es in der Kirche keinen Plan, wie die Spendung der Sakramente unter Einhaltung der notwendigen Hygienestandards doch weiterhin hätte stattfinden können", fragt sie. Als gläubige Katholikin fühle sie sich von den Verantwortlichen in dieser Krise alleingelassen.

Damit die Ökonomie den Glauben nicht besiegt

Teil ihres Ärgers ist auch Schops Sorge, die Kirche könne durch das Gottesdienstverbot endgültig ihre Relevanz für die Gesellschaft verlieren. Wenn die christlichen Gotteshäuser zu den letzten Einrichtungen gehörten, die nach der Corona-Krise wieder öffnen dürften, könnten die Verantwortlichen die Türen direkt geschlossen halten, fürchtet sie. "Dann nämlich hat die Ökonomie den Glauben besiegt", betont die Steuerberaterin. Die Kirchen seien in diesem Fall nur noch Relikte einer vergangenen Zeit.

Schop stemmt sich mit ihren Mitteln gegen diese Vorstellung. Auch deshalb will sie ihre Kerzenaktion, für die sie nach eigenen Angaben bislang rund 7.000 Euro ausgegeben hat, noch lange fortsetzen. Sie wolle so lange weitermachen, bis es einen Impfstoff gegen das Virus gebe oder die Beschränkungen des kirchlichen Lebens endlich aufgehoben würden, betont sie. Es kann also noch ein bisschen dauern, bis es wieder richtig dunkel wird im beschaulichen Zella-Mehlis.

Von Steffen Zimmermann