Standpunkt

Keine Gottesdienste? Die Kirchen müssen selbst entscheiden können

Veröffentlicht am 23.04.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der Staat habe sich in der Corona-Krise das Anliegen der Kirchen zu eigen gemacht, findet Michael Böhnke. Doch dabei drohen sie im öffentlichen Bewusstsein überflüssig zu werden – weshalb sie in dieser Lage ihre Rechte zumindest einfordern sollten.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Das Heil der Seelen muss in der Kirche immer das oberste Gesetz bleiben. So lautet sinngemäß die letzte Norm im Kirchlichen Gesetzbuch. Was der Kodex leicht altertümlich ausdrückt, ist theologisch wohlbegründet. Es geht um das Heil der Menschen. Die Kirche verkündet Gott als einen Freund der Menschen; einen Gott, der das Heil der Menschen will.

Durch die Corona-Krise wird dieses Heil unmittelbar bedroht. Das hat den säkularen Staat auf den Plan gerufen. Noch nie hat sich der moderne Staat das Anliegen der Kirchen so zu eigen gemacht wie in diesen Zeiten. Die durch das Virus akut bedrohte Gesundheit vieler Bürgerinnen und Bürger steht auf dem Spiel. Das Handeln des Staates kennt nur ein Ziel: das pandemisch drohende Unheil abzuwenden. Dieses Ziel scheint alle Mittel zu rechtfertigen. Die Exekutive fordert, dass sich alles und jeder diesem Ziel unterzuordnen habe. Versammlungsverbote, Kontaktsperren, Reise- und Handelsbeschränkungen treffen den Kern des gesellschaftlichen und kirchlichen Lebens. Ob die gebotene Verhältnismäßigkeit der Mittel dabei immer gewahrt worden ist, wird man erst im Nachhinein beurteilen können.  

Wenn der Staat das Anliegen der Heilfürsorge monopolartig an sich zieht, drohen die Kirchen im öffentlichen Bewusstsein überflüssig zu werden.

Sie zögern, eine Aufhebung des Versammlungsverbots für Gottesdienste zu fordern. Sie berufen sich nur zaghaft auf das Grundrecht der Religionsfreiheit. Sie erweisen dem Staat damit keinen Dienst. Sie sollten ihr Recht einfordern. Die staatliche Gewaltenteilung bietet Wege.

Ob die Kirchen und Religionsgemeinschaften Gottesdienste abhalten, müssen sie selbst entscheiden können. Sie sollten sich bewusst sein, dass es dabei nicht nur um die Durchsetzung eines vorstaatlichen Rechts geht. Oberste Norm bei der Beurteilung der Frage, ob, wie und unter welchen Umständen Gottesdienste stattfinden können, wird auch nach ihrem Selbstverständnis das Heil der Menschen sein. Gesundheitsgefährdung durch Gottesdienste, das würde einem menschenfreundlichen Gott kaum gefallen!

Von Michael Böhnke

Der Autor

Michael Böhnke ist Professor für systematische Theologie an der Bergischen Universität Wuppertal. Außerdem ist er Ethik-Beauftragter des Deutschen Leichtathletikverbands.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.