Ein Fest mit vielen Namen

Schawuot: Das jüdische Wochenfest

Veröffentlicht am 16.05.2021 um 17:00 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Eine reiche Ernte, ein langersehntes Kind, eine unverhoffte Genesung – viele Dinge werden als "Geschenk Gottes" bezeichnet. An Schawuot gedenken gläubige Juden ihres größten Geschenks: der Übergabe der Tora durch Gott an das Volk Israel. Das Fest markiert den Beginn einer bis heute andauernden Liebesgeschichte.

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Seit dem Abend der zweiten Pessach-Nacht werden sieben Wochen lang die Tage gezählt. Diese Praxis wird "Sefirat ha-Omer" genannt und dient der Vorbereitung auf einen der wichtigsten jüdischen Feiertage: Chag Schawuot. Übersetzt bedeutet der Name schlicht "Wochenfest".

Viele Christen können mit dem Begriff Schawuot nichts anfangen. Tatsächlich hat dieses jüdische Fest gleich fünf Namen, was die Bedeutungsfülle dieses Feiertags illustriert. Neben Shawuot wird das Fest auch Jom ha-Bikkurim ("Der Tag der Erstlingsfrüchte"), Chag ha-Katzir ("Das Erntefest"), Zeman Matan Torateinu ("Zeit der Übergabe unserer Tora") und Atzeret ("Unterbrechung") genannt.

Ein Fest aus landwirtschaftlichem Kontext

Ursprünglich stand das Wochenfest in einem landwirtschaftlichen Kontext und markierte im Heiligen Land den Beginn der Weizenernte. Im alttestamentlichen Buch Exodus (hebräisch "Schemot") spricht Gott zu den Israeliten: "Das Wochenfest sollst du für dich feiern mit den Erstlingsfrüchten von der Weizenernte […]." (Ex 34,22) Gemeinsam mit Pessach und dem Laubhüttenfest zählte das Wochenfest zu den drei Pilgerfesten. Bis zur Tempelzerstörung im Jahr 70 nach Christus zogen die Gläubigen nach Jerusalem, um dort Ernteopfergaben darzubringen.

So hat dieses jüdische Fest dann auch im Neuen Testament seine Spuren hinterlassen. Die Apostelgeschichte erzählt über die Ausgießung des Heiligen Geistes, dass damals alle Jünger am "Tag des Pfingstfestes" (Apg 2,1) in Jerusalem zusammengekommen waren. Der deutsche Name "Pfingsten" ist eine Ableitung von dem altgriechischen "Pentekoste" ("fünfzig"), was zunächst den fünfzigsten Tag nach Pessach meinte. Die Jünger hatten sich also zum Wochenfest versammelt. Darum war Jerusalem auch voller Pilger aus verschiedenen Ländern, denen die Jünger anschließend in ihren Muttersprachen predigen konnten (vgl. Apg 2,5-11). Ohne jüdisches Wochenfest kein christliches Pfingsten.

Heute steht ein entscheidendes Ereignis der Heilsgeschichte im Zentrum des Wochenfestes: Überall auf der Welt gedenken gläubige Juden der Übergabe der Tora auf dem Sinai. Nachdem er die Zehn Gebote erhalten hatte, blieb Mose 40 Tage auf dem Berg Sinai (vgl. Ex 34,28). Der jüdischen Tradition nach lehrte Gott ihn in dieser Zeit die gesamte Tora. Diese Übergabe ist nicht als trockener Vertragsaustausch fehl-zu-deuten. Jüdische Weise verglichen es vielmehr mit einer Hochzeit zwischen Gott und seinem Volk: An diesem Tag versprachen sie sich gegenseitig ewige Treue.

Pessach: Die jüdische Feier der Freiheit

Will Gott uns einengen und bevormunden? An Pessach bekennt das Judentum Gott feierlich als denjenigen, der aus Unterdrückung rettet und zur Freiheit beruft. In den vielen Ritualen dieses Festes kann jede jüdische Generation neu die Erfahrung der Befreiung machen.

Wie alle jüdischen Feiertage beginnt auch Schawuot am Vorabend. Traditionell entzünden die weiblichen Familienmitglieder besondere Kerzen, um das Fest einzuläuten. Daran schließt sich ein feierliches Abendessen an. Zu Schawuot stehen besonders Milchprodukte im Mittelpunkt der gemeinsamen Mahlzeiten. Dafür gibt es in der jüdischen Tradition eine ganze Reihe von Gründen. Einer davon lautet, dass die Tora mit nährender Milch verglichen wird. Je nach Region können etwa mit Käse gefüllte Teigtaschen oder Aufläufe klassische Schawuot-Speisen sein.

Nach dem Festessen geht Schawuot erst richtig los. Es ist üblich, die ganze Nacht über wach zu bleiben und die Tora zu studieren. Die jüdische Tradition liefert eine überraschende Begründung dafür: Bei der Übergabe der Tora am Berg Sinai hätten die Israeliten verschlafen, sodass der entsetzte Mose sie wecken musste. Später habe Gott sich mit den Worten beschwert: "Warum bin ich gekommen und niemand ist hier, um mich zu empfangen?" Als symbolische Wiedergutmachung für den Fehltritt ihrer Vorfahren durchwachen gläubige Juden darum bis heute die Nacht. Sie zeigen damit: Wir sind bereit für diesen Feiertag und freuen uns über die Gabe Gottes.

An Schawuot soll alle Arbeit ruhen

Verständlich, dass nach so einer Nacht erst einmal Schlaf aufgeholt werden muss. Weil Schawuot ein besonderes Fest ist, soll ohnehin alle Arbeit ruhen. Deshalb wird der Feiertag auch Atzeret ("Unterbrechung") genannt. Anschließend gehen alle zusammen – Männer und Frauen, Alte und Junge – in die Synagoge. Jeder, für den es gesundheitlich möglich ist, soll an Schawuot die Geschichte über die Gabe der Tora hören. Denn mit dem gemeinschaftlichen Lesen der Zehn Gebote erneuern gläubige Juden ihren Bund mit Gott und seiner Weisung.

Kinder nehmen eine zentrale Rolle an diesem Feiertag ein. Die Tradition erzählt, dass Gott bei der Übergabe der Tora Bürgen für deren Einhaltung forderte. "Himmel und Erde sollen unsere Bürgen sein", schlugen die Israeliten vor. Gott aber erwiderte: "Diese werden nicht ewig bestehen." Also machten die Israeliten einen zweiten Vorschlag: "Die Vorväter sollen unsere Bürgen sein." "Diese sind beschäftigt", entgegnete Gott. Schließlich versprachen die Israeliten: "Unsere Kinder sollen unsere Bürgen sein." Erst da war Gott zufrieden und stimmte zu: "Diese sind exzellente Bürgen."

Von Valerie Mitwali

Dieser Artikel wurde am 16.05.2021 aktualisiert.