Reaktionen auf Vatikan-Dokument zu Pfarreien

Stolperstein auf synodalen Wegen: Roms Instruktion überrascht Bistümer

Veröffentlicht am 21.07.2020 um 15:31 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Mitten in der Sommerpause überrascht die Kleruskongregation die Kirche vor allem in Deutschland mit einem Dokument zu Pfarrei-Reformen – sie schiebt vielem, was bisher möglich schien, einen Riegel vor. Kaum einer weiß, wie es nun in den Bistümern weitergeht.

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Nach der Instruktion aus dem Vatikan ist die Aufregung in der Kirche groß. Zwar wollen sich viele Bistümer noch nicht offiziell zu dem Dokument äußern, hinter vorgehaltener Hand ist aber durchaus Unmut zu hören. Dabei klingen in der Instruktion eigentlich zunächst versöhnliche Töne an: "Im Zuge dieser Beobachtungen muss die Pfarrei die Impulse der Zeit aufnehmen, um ihren Dienst an die Erfordernisse der Gläubigen und die geschichtlichen Veränderungen anzupassen" – diesem Satz aus der Instruktion der Kleruskongregation würden wohl viele zustimmen. "Es bedarf einer erneuerten Dynamik, die es ermöglicht, im Lichte der Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils und des nachfolgenden Lehramtes die Berufung aller Getauften, Jünger Jesu und Verkünder des Evangeliums zu sein, wieder zu entdecken" – das klingt, als hätte es auch in einem der vielen pastoralen Prozesse in Deutschland  formuliert werden können. Die Schlüsse aus Rom haben aber wenig mit dem zu tun, was bei typischen kirchlichen Reformprozessen als Ergebnis steht.

Die römische Kleruskongregation hat ihre Instruktion zu den Pfarrgemeinden gleich in sieben Sprachen veröffentlicht. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wird doch immer wieder kritisiert, dass wichtige Dokumente nicht schneller in den wichtigen Sprachen vorliegen – italienisch ist zwar die Verwaltungssprache des Vatikans, aber doch keine Weltsprache. Die Zahl der sofort verfügbaren Übersetzungen zeigt daher den Stellenwert, der einem Text eingeräumt wird. Auch wenn Deutsch an vierter Stelle erscheint: Vor allem auf den deutschen Sprachraum dürfte die Kongregation blicken, wenn sie ihre strenge und pfarrerzentrierte Interpretation des geltenden Rechts vorlegt. Hier, wo Priestermangel und gute finanzielle Ausstattung mit einer Tradition selbstbewusster Laien zusammenkommen, haben in den vergangenen Jahren einige Strukturreformen Laien an der Leitung von Pfarreien beteiligt.

Viele Modelle der gemeinschaftlichen Leitung erprobt

Nicht überall geschieht das so weitreichend wie in Rottenburg-Stuttgart, wo die Kirchengemeindeordnung schon seit 1972 "eine möglichst enge Verknüpfung aller vom Konzil intendierten Mitverantwortungsgremien" beabsichtigt. Eine Erhebung von katholisch.de hat 2018 ergeben, dass 12 von 27 deutschen Diözesen Formen der Gemeindeleitung von Laien oder von Teams aus Laien und Priestern erproben oder bereits eingeführt haben. In der Schweiz ist es schon länger üblich, dass Laien auch explizit katholische Gemeinden leiten; Stellungnahmen der Schweizer Kirche zur Instruktion sind aber noch nicht bekannt.

Ein Pfarrer und eine Mitarbeiterin besprechen im Pfarrbüro Unterlagen.
Bild: ©Maria Irl/KNA

Eine Erhebung von katholisch.de hattet 2018 ergeben, dass 12 von 27 deutschen Diözesen Formen der Gemeindeleitung von Laien oder von Teams aus Laien und Priestern erproben oder bereits eingeführt haben.

Die in Deutschland praktizierten Modelle reichen von Verwaltungszentren im Bistum Passau bis hin zu quasi vollwertiger Gemeindeleitung wie in Rottenburg-Stuttgart. Dazwischen gibt es vielfältige Variationen von Teams von Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen, die sich die Aufgaben eines Pfarrers aufteilen. An einigen Orten, so etwa im Bistum Aachen und in einer Pfarrei im Erzbistum Köln, wird das im französischen Erzbistum Poitiers entwickelte "Equipe"-Modell umgesetzt, bei dem Teilgebiete der Seelsorge auf einzelne Ehrenamtliche übertragen werden. Im Bistum Essen gibt es mit St. Barbara sogar eine Gemeinde, die komplett von Ehrenamtlichen getragen wird.

Für derartige Modelle muss das Kirchenrecht weit ausgelegt werden. Auch in der Schweiz gesteht man zu, dass Laien nur "mitwirken" können, nicht aber die volle Hirtensorge und damit das Amt des Pfarrers übernehmen können. Kanonistisches Einfallstor ist der can. 517 § 2 CIC. Eigentlich eine Ausnahmebestimmung für Fälle, in denen aufgrund von Priestermangel Diakone und erst in zweiter Linie Nicht-Kleriker an der Leitung beteiligt werden können, wird diese Norm in der Praxis als Ermöglichungsgrund für vielfältige Modelle genutzt. Dem Wortlaut nach ist der wichtigere Teil aber nicht die Bedingung ("Wenn der Bischof aufgrund von Priestermangel glaubt […] an der Wahrnehmung der Seelsorgeaufgaben einer Pfarrei beteiligen zu müssen"), sondern die Folge aus dieser als Sonderfall gedachten Situation: dann hat der Bischof einen Priester mit den Vollmachten eines Pfarrers zu bestimmen.

Rom schließt beteiligungsfreundliche Interpretationsspielräume

Die Instruktion aus der Kleruskongregation schließt nun die aus römischer Sicht allzu beteiligungsfreundlichen Interpretationsspielräume. Sie schärft besonders ein, dass die Letztverantwortung des Pfarrers nicht geschmälert werden darf. Selbst in scheinbar randständigen Gebieten wie beim Vermögensverwaltungsrat einer Pfarrei – in Deutschland je nach Bistum auch Stiftungsrat oder Kirchenvorstand – muss der Pfarrer nicht nur den Vorsitz haben; es muss auch bis in die Terminologie unmissverständlich klar sein, dass der Pfarrer kein gleichberechtigtes Teammitglied auf Augenhöhe ist.

Linktipp: Vatikan: Laien dürfen keine Pfarrei leiten – auch bei Priestermangel

Unter anderem in Deutschland wird wegen des Priestermangels mit unterschiedlichen Formen der Gemeinde- und Pfarreileitung experimentiert. Dem schiebt der Vatikan jetzt einen Riegel vor. Er lehnt Leitungsverantwortung für Laien ab – und noch manches mehr.

Damit sind nicht nur die Bistümer betroffen, die bisher schon mit neuen Leitungsstrukturen experimentiert haben. Auch die Leitung der Finanzgremien durch Laien, die etwa in Freiburg seit einigen Jahren möglich ist und Pfarrer von Verwaltungsaufgaben entlasten soll, wird nun hinterfragt.

Welche Änderungen nun auf die Kirche in Deutschland zukommen, ist noch nicht absehbar. Anscheinend hat die Veröffentlichung der Instruktion auch die deutschen Bischöfe überraschend getroffen, zeigt sich in Gesprächen mit Verantwortlichen. Das Dokument aus der Kleruskongregation ändert das bestehende Kirchenrecht nicht, gibt aber eine verbindliche Auslegung vor. Als Verwaltungsverordnung bindet eine Instruktion – so steht es in can. 34 § 1 CIC – diejenigen, die für die Umsetzung der Gesetze zuständig sind, durch eine "Erklärung" und "Entfaltung" des Normtextes. Sie bestimmt, was bei der Ausführung der Gesetze zu beachten ist. In diesem Fall betrifft das vor allem die Diözesanbischöfe, die in ihrem Bistum die Ordnungen und Gesetze gestalten und in Kraft setzen, die für die Struktur der Pastoral gelten. Das Trierer Beispiel hat gezeigt, dass die Bischöfe als Gesetzgeber dabei unter kritischer Beobachtung Roms stehen.

Trier: "Rahmenbedingungen klar markiert"

Aus Trier war so auch die erste Reaktion zu vernehmen, schon am Montag, dem Tag des Erscheinens der Instruktion, lag die Stellungnahme vor. Die Inhalte entsprächen dem, was dem Bischof auch bei seinem Gespräch zu seiner von Rom gestoppten Pfarreireform mitgeteilt worden war. "Insofern stellen die Inhalte keine Überraschung dar. Mit der Instruktion sind die Rahmenbedingen für Pfarreienreformen klar markiert", heißt es in der Trierer Meldung. Man sehe sich bestärkt, den Weg der Bistumssynode weiterzugehen.

Bild: ©Bistum Speyer

Der Speyerer Generalvikar Andreas Sturm sieht in einer Leitung im Team "keine Bedrohung, sondern eine Chance für die Gemeinden und auch für die Priester".

Die meisten Bistümer müssen sich erst noch sortieren, man will das Dokument erst genau lesen und beraten. In den Antworten auf die Anfragen wird aber deutlich, dass die Instruktion ernst genommen wird; Trier war ein Warnschuss, nachdem man zuvor jahrelang weitgehend ungestört experimentieren konnte. "Es liegt auf der Hand, dass die vatikanischen Vorgaben auch für die Diskussion um die Pfarrei der Zukunft von großer Bedeutung sind und dazu wertvolle Hinweise geben", heißt es vorsichtig aus Köln. Das Erzbistum ist nicht dafür bekannt, besonders lax mit dem Kirchenrecht umzugehen – aber auch dort läuft derzeit ein pastoraler Zukunftsprozess, bei dem unter anderem die Zukunft der Gemeinden auf der Tagesordnung steht.

Speyer: "Leitung im Team keine Bedrohung, sondern Chance"

Deutlicher wird der Speyerer Generalvikar Andreas Sturm. Zwar sei eine Veränderung der Pfarreistruktur in seinem Bistum derzeit nicht geplant. Aber auch für die im letzten Reformprozess reduzierte Zahl von 70 Pfarreien würden demnächst nicht mehr genügend Priester als Pfarrer zur Verfügung stehen – und auch der Nachwuchs in anderen pastoralen Berufen geht zurück. Erste Versuche mit neuen Leitungsmodellen gibt es auch in Speyer. Sturm zeigt sich enttäuscht, "dass die Versuche der Diözesen, mit dem Priestermangel konstruktiv umzugehen und neue Wege der Seelsorge zu finden, durch die Kleruskongregation so wenig Unterstützung“ erfahre. In einer Leitung im Team sieht er "keine Bedrohung, sondern eine Chance für die Gemeinden und auch für die Priester". Sie stärke den Zusammenhalt und ermögliche es, unterschiedliche Sichtweisen einzubringen. Für alles zuständig und kompetent sein zu müssen, gehe in der Praxis oft mit einem Gefühl der Überforderung einher.

Aus Berlin kommt geharnischte Kritik. Der Vorsitzende des Diözesanrats der Katholiken, Bernd Streich, sieht nicht nur "den Status quo zementiert", das Papier für ihn "sogar hinter der Realität der charismenorientierten Zusammenarbeit zwischen Laien und Geistlichen in vielen Pfarreien und Gemeinden zurück". Beim Lesen des Textes dränge sich der Eindruck auf, dass eine "grundlegende Furcht vor der Sichtbarkeit der Laien" bestehe. Innovativen und situationsgerechten Ansätzen bei der Leitung von Pfarreien und Gemeinden werde pauschal ein Riegel vorgeschoben. Das Laiengremium sei dankbar, dass an vielen Stellen in der Seelsorge und bei Leitungsaufgaben Laien Verantwortung gemeinsam mit Priestern für unsere Kirche übernehmen: "Laien sind mehr als Lückenbüßerinnen oder bloße Berater, sondern sie sichern das Leben unserer Kirche und tragen die frohe Botschaft durch ihr Zeugnis weiter."

Erst einen Tag ist die Instruktion der Kleruskongregation bekannt. Sie hat bereits jetzt für viel Wirbel in der Kirche in Deutschland gesorgt – und sie wirft auch einen Schatten auf die weiteren Beratungen des Synodalen Wegs. Mit "Macht und Gewaltenteilung" sowie "Priesterliche Existenz heute" sind gleich zwei Foren mit Fragen befasst, auf die nun teilweise aus Rom deutliche Antworten kamen. Die Bischöfe jedenfalls haben sich das Thema auf die Agenda gesetzt: Beim nächsten "Ständigen Rat", dem etwa zweimonatlich stattfindenden Treffen der Diözesanbischöfe, steht es auf der Tagesordnung.

Von Felix Neumann