Debatte um Nachlass für junge Berufsanfänger

Sozialethiker: Verwendung der Kirchensteuer klar kommunizieren

Veröffentlicht am 10.08.2020 um 17:11 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Ein Kirchensteuerrabat für Berufseinsteiger? Der Sozialethiker Thomas Eggensperger findet den Ansatz zwar interessant – hält aber andere Wege für sinnvoller, um Leute vom Austritt abzuhalten. Wichtig sei vor allem Transparenz vonseiten der Kirche.

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Der Dominikaner und Sozialethiker Thomas Eggensperger plädiert angesichts der Debatte über einen Kirchensteuerrabatt für junge Mitglieder dafür, die Verwendung der Abgabe kirchlicherseits offen zu kommunizieren. "In dem Augenblick, wenn junge Leute beginnen, Kirchensteuer zu zahlen, muss die Kirche ihnen signalisieren, wofür dieses Geld verwendet wird", sagte der Geschäftsführende Direktor des Berliner Instituts M.-Dominique Chenu und Professor für Sozialethik an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Münster am Montag auf Anfrage von katholisch.de. So könnte sich das jeweilige Bistum mit einem Schreiben an die erstmaligen Zahler wenden oder sie zu einem Beratungsgespräch einladen. Gleichzeitig müsse die Kirche betonen, welchen Sinn und welche Vorteile eine Mitgliedschaft bei ihr habe. "Diese Frage stellt sich vor allem dann, wenn man auf seiner Lohnabrechnung erstmals den Abzug der Kirchensteuer sieht."

Zusätzlich könnte die Kirche darüber nachdenken, den Steuerzahlern mehrere Optionen zu bieten, wohin das Geld fließen solle, so Eggensperger weiter. "Viele haben den Eindruck, sie bezahlen mit der Kirchensteuer eine diffuse Organisation, die sehr weit weg von ihnen ist." So könnten die Steuerpflichtigen zum Beispiel selbst bestimmen, ob sie Organisationen innerhalb der Kirchenstruktur, etwa Pfarreien oder karitative Einrichtungen, oder außerhalb dieser mit ihrer Abgabe unterstützen wollen. Er kenne beispielsweise viele Menschen, die lieber Ordensgemeinschaften ihr Geld zukommen lassen würden, da sie zu ihnen eine persönliche Verbindung hätten, betont der Dominikaner. "Das bliebe dann quasi immer noch innerhalb der Kirche und beschädigt in keinster Weise die Kirchenmitgliedschaft."

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, hatte zuletzt über interne "Überlegungen" gesprochen, bei Berufseinsteigern wegen der dort besonders hohen Austrittszahlen "mit der Kirchensteuer eventuell noch zu warten oder sie zu reduzieren". Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack erklärte am Wochenende, er halte die Debatte für grundsätzlich angemessen, da bei jungen Menschen zwischen 18 und 30 Jahren "die statistische Austrittswahrscheinlichkeit in der Tat sehr hoch" sei.

Wieso nur Berufseinsteiger?

Eggensperger erklärte, er halte den Ansatz dieser Überlegungen grundsätzlich für interessant, da sich die Kirche "tatsächlich" Gedanken machen müsse, wie sie vermeidet, dass besonders die junge Generation "übertrieben schnell" abwandert. Allerdings sei der konkrete Vorschlag von Bedford-Strohm problematisch hinsichtlich der Steuergerechtigkeit: "Warum ausgerechnet nur Berufseinsteiger und nicht auch die alleinerziehende Mutter mit Vollzeitjob?", fragt der Sozialethiker. Zudem existiere das Instrument einer Kirchensteuerbefreiung beziehungsweise -reduzierung bereits. Diese könne jeder Katholik bei seinem Bistum beantragen und sie individuell vereinbaren.

Letztlich müsse man sich allerdings deutlich machen, dass die Austrittsmotive nicht so sehr in den Finanzen lägen. "Da ist vorher schon eine Indifferenz da", betont Eggensperger. Der Entscheidung zum Kirchenaustritt gehe meistens die Entfremdung von der Institution voraus. Wenn die Betroffenen die Abgabe auf dem Lohnzettel entdeckten, stellten sie sich nochmals akut die Frage nach dem Nutzen einer Mitgliedschaft. Somit sei die Kirchensteuer "der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt". Wer keine Bindung zur Kirche habe, werde sich daher auch nicht durch einen Kirchensteuerrabatt von seinem Austrittsvorhaben abbringen lassen, so der Sozialethiker.

In Deutschland ist die Kirchensteuer eine gesetzlich festgelegte Abgabe der Kirchenmitglieder. Ihre Höhe orientiert sich am Lohn oder Einkommen. Die Finanzämter ziehen das Geld ein und geben es an die Kirchen weiter. Dafür erhält der Staat etwa drei Prozent des Steuereinkommens. Die Kirchensteuer ist die mit Abstand wichtigste Einnahmequelle der Kirchen. Die Kirchen finanzieren aus den Einnahmen vor allem die laufenden Kosten für ihr Personal in Seelsorge, Schulen und sozialen Einrichtungen.

2019 haben die beiden großen Kirchen in Deutschland mit insgesamt rund 12,7 Milliarden Euro so viel Kirchensteuer erhalten wie noch nie. Für das laufende Jahr rechnen beide Kirchen mit starken Einbrüchen aufgrund der durch die Corona-Pandemie verursachten Wirtschaftskrise. Gleichzeitig sind 2019 so viele Menschen aus der Kirche ausgetreten wie nie zuvor. Über 270.000 kehren der katholischen Kirche den Rücken. Insgesamt sank die Anzahl der Katholiken in Deutschland um über 400.000. (mal)