Erzbischof Heße: Es handelt sich um eine Katastrophe mit Ansage

Kirchen bestürzt über Brand im Flüchtlingslager Moria

Veröffentlicht am 09.09.2020 um 12:16 Uhr – Lesedauer: 

Berlin/Bonn ‐ Mit Bestürzung haben die beiden großen Kirchen auf die Brände im griechischen Flüchtlingslager reagiert. Der katholische Flüchtlingsbischof Stefan Heße forderte die deutsche und europäische Politik dringend zum Handeln auf.

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Die Brände im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos haben bei den Kirchen in Deutschland für Bestürzung gesorgt. "Die Nachricht vom Feuer im Flüchtlingslager Moria darf niemanden, der in Politik und Kirche Verantwortung trägt, gleichgültig lassen. Alle Leidtragenden schließe ich in mein Gebet ein", sagte der Vorsitzende der Migrationskommission und Sonderbeauftragte für Flüchtlingsfragen der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Stefan Heße, am Mittwoch in Bonn. In die Betroffenheit über das Elend der Schutzsuchenden mische sich die Bestürzung über das politische Versagen: "Man muss es wohl so offen sagen: Es handelt sich um eine Katastrophe mit Ansage."

Die mit dem Flüchtlingslager Moria verfolgte Politik der Abschreckung gehe auf Kosten der Menschlichkeit. "Schon seit Langem war die Situation der Schutzsuchenden auf den ägäischen Inseln – vor allem im überfüllten Lager Moria – unerträglich. Deshalb gab es aus Kirche und Zivilgesellschaft immer wieder deutliche Appelle, die humanitäre Krise an den EU-Außengrenzen zu überwinden und für eine menschenwürdige Aufnahme der Schutzsuchenden zu sorgen", so Heße weiter. Mit Nachdruck sei gefordert worden, vor allem Kinder, Familien und besonders vulnerable Flüchtlinge aus dem Lager Moria schnell auf das europäische Festland zu bringen und in Deutschland oder anderen EU-Staaten aufzunehmen.

Heße: Das grundlegende Problem wurde nicht angegangen

"Allen Appellen, Initiativen und Warnungen zum Trotz: Passiert ist bislang erschreckend wenig", kritisierte Heße. Er erkannte zwar an, dass die Bundesregierung zwischenzeitlich einigen alleinreisenden Kindern und Jugendlichen sowie behandlungsbedürftigen Kindern und deren Familien die Einreise ermöglicht habe: "Doch insgesamt betrachtet war dies nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Das grundlegende Problem des Hotspots Moria wurde nicht angegangen." Stattdessen gebe es auf Ebene der Bundesregierung und der EU-Kommission sogar das Bestreben, das gescheiterte Hotspot-System auszuweiten und künftig nahezu alle Asylverfahren an den Außengrenzen durchzuführen. "Davor kann angesichts der Situation auf den griechischen Inseln nur gewarnt werden. Europa muss nun alles daransetzen, die bestehende humanitäre Krise zu überwinden", so der Erzbischof. Mehr denn je stünden Deutschland und Europa in der Pflicht, die desaströsen Verhältnisse auf Lesbos zu beenden und Schutzsuchenden eine menschenwürdige Aufnahme zu ermöglichen.

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Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, hatte zuvor ebenfalls seine Bestürzung über die Situation im Flüchtlingslager Moria geäußert. "Mit Trauer und Entsetzen habe ich heute Morgen die Bilder vom brennenden Lager Moria gesehen", erklärte Bedford-Strohm bei Facebook. Und weiter: "Das Ausmaß des Brandes lässt Schlimmes befürchten. Noch ist unklar, ob Menschen zu Tode gekommen sind. Meine Befürchtungen sind groß. Und meine Gebete intensiv."

Das Leid, das Tausende Menschen in dem Flüchtlingslager seit Monaten ertrügen, lasse sich kaum in Worte fassen, so Bedford-Strohm weiter. Seit langer Zeit sei auf die schlimmen Zustände in dem Lager hingewiesen und Abhilfe gefordert worden. "Trotzdem durften nur wenige Menschen das Lager verlassen. Die vollständige Überfüllung ist geblieben", kritisierte der EKD-Ratsvorsitzende. Jetzt müsse den Menschen sofort und dauerhaft geholfen werden.

Das Feuer in Moria war in der Nacht zu Mittwoch ausgebrochen und hat nach Berichten von Helfern große Teile des Flüchtlingslagers zerstört. Rund ein Drittel von Moria sei abgebrannt, betroffen sei unter anderem das Zentrallager, schrieb der Geschäftsführer der Organisation Wadi, Thomas Osten Sacken, am Mittwochmorgen auf Facebook. Auf den von ihm veröffentlichten Bildern waren zerstörte Notunterkünfte und qualmende Flächen zu sehen. Es sei "ein Alptraum, für den es kaum Worte gibt". Wie die offenbar mehreren Brände entstanden, war zunächst unklar. Tausende Menschen brachten sich nach Informationen der Hilfsorganisation medico international vor den Flammen in Sicherheit und irren nun über die Insel. Dem Brand waren Proteste von Geflüchteten gegen ihre inhumane Unterbringung und Versorgung sowie gegen unzureichende Maßnahmen zum Schutz vor einer Ansteckung mit Covid-19 vorausgegangen. Seit dem ersten offiziellen Corona-Fall Anfang September war die Zahl der bestätigten Fälle auf 35 angestiegen.

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Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) rief die Staaten in Europa und insbesondere die Bundesregierung in einer Stellungnahme zu sofortiger Hilfe auf. "Das Feuer mag unter Kontrolle sein, das Problem nicht! Es braucht jetzt schnelle und unmittelbare Lösungen, die den Menschen in ihrer Not sofort helfen. Wir müssen auch nach unkonventionellen Wegen suchen. Viel zu lange haben wir in ganz Europa weggeschaut. Jetzt darf es keinen längeren Aufschub geben, der auf eine gesamteuropäische Lösung wartet", sagte ZdK-Präsident Thomas Sternberg. Er regt an, zu prüfen, die Flüchtlinge auf derzeit ungenutzte Kreuzfahrtschiffe in nahen Häfen zu bringen und dort medizinisch zu versorgen.

Diakonie: Brände sind "Fanal der Hoffnungslosigkeit und Wut"

Das katholische Hilfswerk Caritas international kündigte am Mittwochvormittag an, für die Versorgung der Migranten und Flüchtlinge aus Moria 50.000 Euro Soforthilfe bereitzustellen. "Unser Partner Caritas Hellas bereitet bereits die Aufnahme und Betreuung weiterer Geflüchteter vor. Schnelle materielle und psychologische Hilfe für die Betroffenen ist jetzt entscheidend", sagte der Leiter von Caritas international, Oliver Müller. Er kritisierte zugleich die Zustände in Moria: "Der Brand ist letztendlich Ergebnis der Abschottungspolitik der Europäischen Union. Die Politik hat bis heute die Augen verschlossen. Die Menschen sind trotz aller Kritik und in Kenntnis der verheerenden Zustände in Moria ihrem Schicksal überlassen worden. Das ist eine Katastrophe mit Ankündigung." Viele Bewohner der Lager litten seit langem unter schweren psychischen Problemen.

Der Präsident der evangelischen Diakonie, Ulrich Lilie, bezeichnete das Feuer in Moria als "Fanal der Hoffnungslosigkeit und Wut", weil noch immer keine menschenwürdige Lösung für die dortigen Flüchtlinge gefunden worden sei. "Hier tragen wir, Deutschland und die EU, die Verantwortung", so Lilie. Die Diakonie erwarte von der Bundesregierung, dass sie ihren Ratsvorsitz in der EU ernst nehme und die sofortige Evakuierung Flüchtlinge von den Inseln organisiere: "Wir haben gezeigt, dass wir problemlos 900 Menschen aus Griechenland aufnehmen können, Länder und Städte stehen bereit und können sofortige Abhilfe schaffen. Diese katastrophale Lage duldet keinen Aufschub." (stz)

09.09.2020, 12:30 Uhr: ergänzt um die Stellungnahmen von Caritas international und Diakonie

09.09.2020, 13:10 Uhr: ergänzt um die Stellungnahme des ZdK