Streit um Krippenfiguren und Sternsinger

Wie ein heiliger König schwarz wurde – und Opfer von Rassismus

Veröffentlicht am 20.10.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Ulm ‐ In Ulm fehlen in der Münsterkrippe dieses Jahr die Heiligen Drei Könige, wegen der als rassistisch empfundenen Darstellung des Melchior. Ist ein schwarzer König per se rassistisch? Wie sich christliche Traditionen mit unrühmlichen Klischees vermischen.

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Sie sind seit jeher aus der Krippe nicht wegzudenken: Die heiligen drei Könige. Je nach örtlichen Gegebenheiten wandern sie an den Weihnachtstagen durch die Kirche, bis sie am sechsten Januar vor der Krippe stehen. Das fällt dieses Jahr in Ulm aus, dort muss die Krippe ohne die drei Könige auskommen. Grund dafür ist der als Schwarzer dargestellte Melchior, der – nicht zuletzt angeregt durch die Black-Lives-Matter-Proteste und das gestiegene Feingefühl für solche Sachverhalte – als Verkörperung kolonialrassistischer Stereotype betrachtet wird. Ähnliche Kritik müssen sich Sternsinger mit schwarz angemalten Gesichtern gefallen lassen, die den Melchior (andernorts ist es auch Caspar) porträtieren wollen. Die Fragen, die dahinter stehen, haben eine lange Geschichte:

An den "heiligen drei Königen" ist so ziemlich alles, was Betrachtern heute in Darstellungen begegnet, Volksglaube und Hinzudichtung. Denn die Angaben der Bibel sind knapp: "Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, siehe, da kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem." (Mt 2,1) Es waren also weder im herkömmlichen Sinne Könige, noch waren es explizit drei. Es waren wahlweise Sterndeuter oder – näher am griechischen Originaltext – "Magier". Wobei die Bezeichnung "Magier" sich nicht letztverbindlich klären lässt. Seit dem vierten Jahrhundert werden so zoroastrische Priester – also Vertreter einer alten iranischen Religion – genannt. Was davor mit dem Wort gemeint war, ist schwer nachzuverfolgen. Um Könige handelte es sich jedoch ganz sicher nicht. Außerdem – da ist die Bibel ganz klar – kamen sie wohl alle aus Ländern des heute als Naher Osten bezeichneten Gebietes.

Die Einzelheiten zu den Gestalten entstanden erst nach und nach: Nach einigen Jahrhunderten war von drei Königen die Rede, im sechsten Jahrhundert bürgerten sich in Westeuropa die Namen Caspar, Melchior und Balthasar ein. Das Bild wurde immer mehr aufgeladen: Bald standen die drei für die drei Alter des Menschen, erst ab dem späten Mittelalter verbreitete sich dann die Darstellung als Vertreter der damals bekannten Erdteile Europa, Asien und Afrika – einer der Könige wurde also als Schwarzer abgebildet.

Vermischung mit rassistischen Klischees

Problematisch wird diese Darstellung, wenn sie sich mit rassistischen Klischees vermischt. Die sind insbesondere mit Blick auf schwarze Menschen zum Teil schon seit Jahrhunderten tradiert. Der französische Ägyptologe Jean Vercoutter hält schon für das Alte Ägypten um 1400 v. Chr. Fest, dass es dort das Vorurteil des Schwarzen mit krausem Haar, flacher Nase und einem tierartigem Mund mit dicken Lippen gab. Daran hat sich bis heute wenig getan.

Besonders prägend für rassistische Bilder war gerade die Aufklärung. Es entstanden Erklärungsmuster, die legitimieren sollten, warum trotz der Gleichheit aller Menschen manche eben doch nicht so gleich waren – und damit versklavt werden durften. Es entstand die Fiktion menschlicher Rassen, die unterschiedlich entwickelt waren. Die Europäer setzten sich selbst an die Spitze der von ihnen erfundenen Rangordnung, alle anderen hatten das Nachsehen. Sklaverei, Kolonialismus und weitere Phänomene gingen (und gehen bis heute) auf das hegemoniale Denken der Weißen zurück, die "den anderen" wahlweise die Zivilisation oder den rechten Glauben bringen wollten.

Bild: ©picture alliance/dpa | Sebastian Gollnow

Der Ulmer Melchior zeigt in seiner Darstellung rassistische Stereotype.

Doch der Rassismus regierte nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen. Wer heute noch durch Supermärkte geht, stößt auf den Sarotti-Mohr oder Uncle Ben’s. Beides Vertreter des unterwürfigen Schwarzen, des zutraulichen Dieners, des naiven Sklaven, der ganz froh darum ist, dienen zu dürfen. Dem Unterdrückten wurde also in den Mund gelegt, eben diese Unterdrückung zu begrüßen. Solche rassistischen, die weiße Hegemonie zementierenden Klischees haben sich fest in den Köpfen verankert. Aus "Uncle Ben’s" wird übrigens ab 2021 "Ben’s Original", der schwarze ältere Mann im Logo wird verschwinden.

Mit Schuhcreme zur Verhöhnung

In eine ähnliche Kategorie fällt auch das sogenannte Blackfacing, wenn sich also Weiße das Gesicht (beispielsweise mit Schuhcreme) anmalen, um Schwarze zu verkörpern. In sogenannten Minstrel Shows des 19. Jahrhunderts, also varietéartigen Darbietungen im angelsächsischen Raum, mimten Weiße durch ein schwarz gemaltes Gesicht und rot gefärbte Lippen den naiven, dummen Schwarzen – und machten sich damit unter dem Gejohle des Publikums über Schwarze lustig. In Großbritannien hielten sich solche Shows zum Teil bis in die 1980er Jahre, bis sie auch dort von der Bildfläche verschwanden.

Es ist diese unrühmliche Vergangenheit, die die Darstellung des schwarzen Königs bis heute anfragt. Dabei kommt es zum Teil auch auf das Wie der Bilder an. So gibt es durchaus Gemälde der Geburt Jesu, in der der Schwarze keine überzeichneten Körpermerkmale hat, sondern ganz schlicht als ein den anderen gleichwertiger König porträtiert wird – das macht es weniger problematisch. Anders gelagert ist der Fall etwa bei einer Krippenfigur wie in Ulm, die dem Melchior geradezu archetypisch alle rassistischen Merkmale andichtet, die sich in Jahrhunderten der Vorurteile entwickelt haben. Eine Darstellung wie diese muss sich Kritik gefallen lassen wie Denkmäler für problematische Persönlichkeiten: Wer heute so etwas bewusst aufstellt oder stehen lässt, akzeptiert zumindest das dort vermittelte Weltbild. Wie bei Denkmälern auch muss diskutiert werden: Wie kann ein zeitgenössischer Kommentar dazu aussehen? Dabei kann das Verschwinden lassen solcher Relikte oft nur eine Zwischenlösung sein, denn wie die Darstellungen gibt es die Klischees ja ebenfalls bis heute. Vor Ort steht also eine Diskussion an.

Vier Sternsinger gehen über einen Weg.
Bild: ©Benne Ochs / Kindermissionswerk

Bei den Sternsingern hat sich etwa der Bamberger BDKJ und das Kindermissionswerk "Die Sternsinger" gegen das Blackfacing von Kindern ausgesprochen – ein offizielles Verbot des Hilfswerks gibt es aber nicht.

Bei den Sternsingern hat sich etwa der Bamberger BDKJ und das Kindermissionswerk "Die Sternsinger" gegen das Blackfacing von Kindern ausgesprochen – ein offizielles Verbot des Hilfswerks gibt es aber nicht. Eine ähnliche Debatte gibt es auch um den "Zwarten Piet", den Begleiter des Nikolaus in den Niederlanden. In beiden Fällen ist die Debatte hitzig, ob eine solche Figur ein Zeichen für Vielfalt oder Rassismus ist.

Intention und Wirkung

"Klar ist, dass die Darstellung des Königs Melchior als Menschen schwarzer Hautfarbe nichts gemein hat mit rassistischem Denken", argumentierte jüngst etwa der Pressesprecher des Bistums Regensburg, Clemens Neck. "Das Dreikönigssingen unter diesem Gesichtspunkt zu debattieren, ist Unfug. So beraubt man mit Unterstellungen eine lange Tradition ihrer Unbefangenheit und unterwirft sie einem unangemessenen Anpassungsdruck." Auch das Kindermissionswerk betont, dass das Anmalen der Kinder nichts mit dem Blackfacing der rassistischen Varietéshows zu tun habe.

Ein Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) betonte allerdings schon im August gegenüber: "Es geht nicht um die Intention, sondern um die Wirkung solcher Darstellungen. Weiße Menschen schwarz anmalen ist eine rassistische, belastete Tradition."

Auch wenn man den Sternsingern sicher unterstellen darf, keine rassistischen Motive zu haben – das Blackfacing bleibt als rassistische Verkleidungstechnik eng an die herabwürdigende Tradition der Minstrel Shows angebunden und ist dadurch unabhängig von den Motiven der Ausführende an sich rassistisch. An der Diskussion lässt sich ablesen, wie tief rassistische Bilder noch immer im allgemeinen Gedächtnis verankert sind. Lösungen sind nicht leicht zu finden. Einfach schwarze Kinder zu besetzen, hätte "Castings" zur Folge, die sich ebenfalls den Vorwurf des Rassismus gefallen lassen müssten. Gleichzeitig ist das Bild der die Erdteile symbolisierenden Könige, die zum Jesuskind kommen, immer noch ein beliebtes Motiv.

Indianerkostüme zu Karneval, Werbebildchen, Sternsinger und Nikolausbegleiter: Die Diskussion, wie eine multiethnische Gesellschaft mit Klischees und Traditionslinien umgehen kann, ist noch lange nicht abgeschlossen. Eines müssen dabei Verkleidete wie Verantwortliche noch vielerorts lernen: Nicht nur miteinander, sondern auch mit denen zu reden, die mit den immer wieder zitierten Vorurteilen tagtäglich zu tun haben.

Von Christoph Paul Hartmann