Jesus habe es sich "anders überlegt" und ihn "geholt"

Dieser katholische Pfarrer hat sechs Kinder und zwölf Enkel

Veröffentlicht am 14.11.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Urdorf ‐ Liebe, Sex und Erziehungsprobleme kennt Pfarrer Max Kroiss nicht nur aus der Theorie: Nach dem Tod seiner Frau hat sich der 76-Jährige zum Priester weihen lassen. Manche Gläubige sind darüber entsetzt. In der Diskussion über die Abschaffung des Pflichtzölibats vermisst er einen Gedanken.

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Es geschah 2011 – doch noch heute ärgert sich Max Kroiss, 76 Jahre alt, weißer Haarschopf, dunkle Brille, darüber: Der damalige Kölner Kardinal Joachim Meisner weihte den ehemals evangelischen und zum Katholizismus konvertierten Theologen Harm Klueting zum Priester. Pikant: Klueting ist seit 1977 verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Möglich war's dank einer Ausnahmeregelung im Kirchenrecht: In Einzelfällen kann ein verheirateter Mann zum katholischen Priester geweiht werden. Der Betreffende muss zuvor schon Geistlicher einer anderen Konfession gewesen sein.

Ein Brief an die Gattin des Neupriesters

Kroiss ist ein lebhafter Mann voller Energie. Als er die Meldung über das Ereignis las, griff er zur Feder. Und schrieb an die Gattin des über 60-jährigen Neupriesters, Edeltraud Klueting: Seine Frau habe zuerst sterben müssen, bevor er Priester werden durfte, während ihr Mann noch immer eine Frau an seiner Seite habe. "Die hat mir keine Antwort gegeben", sagt der Pfarrer von Urdorf in der Schweiz.

Der Mann mit vier akademischen Abschlüssen – zuletzt in Theologie – wundert sich: "Dieser Professor Klueting ist doch auch ein vir probatus. Viri probati sind bislang aber nicht zur Weihe zugelassen. Man trifft manchmal schon auf unlogische Dinge in der katholischen Kirche."

Pfarrer Max Kroiss mit drei Enkelkindern
Bild: ©zVg

Mit zwölf fragte sich Max Kroiss zum ersten Mal, ob er Priester werden sollte. Daraus wurde nichts. "Der Wunsch war wohl zu wenig stark. Ich war der einzige Bub, der Stammhalter der Familie." Mittlerweile hat Kroiss zwölf Enkel.

Kroiss stammt aus Bayern. Dort arbeitete der Vater von sechs Kindern als selbstständiger Kaufmann, seine Frau führte eine Arztpraxis. Mit zwölf hatte sich Max zum ersten Mal gefragt, ob er Priester werden soll. Daraus wurde aber nichts: "Der Wunsch war wohl zu wenig stark. Ich war der einzige Bub, der Stammhalter der Familie." Da lag die Gründung einer Familie näher.

"Aber dieser Jesus hat es sich später dann doch anders überlegt und hat mich geholt", sagt der Pfarrer und lacht. Das war nach dem Tod seiner Frau, die Krebs bekam und 2008 starb. Ein Jahr später wurde Kroiss vom damaligen Bischof von Chur, Vitus Huonder, zum Priester geweiht.

Seit 2011 gewählter Pfarrer

Kroiss hat gemeinsam mit seiner Frau an der Jesuiten-Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main Philosophie und Theologie studiert. Da waren beide schon über 50, aber noch immer berufstätig. "Wir dachten, vielleicht kann uns die Kirche brauchen." Die Kirche in Deutschland konnte sie nicht brauchen, mit über 55 waren sie bereits zu alt – dafür gab es für beide Einsatzmöglichkeiten als Seelsorger in der Schweiz.

Seit 2003 wirkt Kroiss in Urdorf unweit von Zürich, seit 2011 als gewählter Pfarrer. "Können Sie sich vorstellen, Ihren Job als Priester und Pfarrer auch gut zu machen, wenn Ihre Frau noch am Leben wäre?" Trotz der Empörung über gewisse Widersprüchlichkeiten in der Kirche bleiben bei Kroiss Zweifel.

Pfarrer Max Kroiss bei der Taufe von drei Enkelkindern
Bild: ©zVg

Sechs seiner eigenen Enkelkinder hat Pfarrer Max Kroiss selbst getauft. "Meine Kinder wollten das", sagt er. Eines der Enkelkinder durfte zudem seinen Opa als Spender der Erstkommunion erleben.

Im Prinzip habe er als verheirateter Pastoralassistent mit Leitungsfunktion den Job eines Pfarrers gemacht. Der sei zeitraubend und manchmal auch nervenaufreibend. Ein Tag bleibt ihm in besonderer Erinnerung: "In einem Sonntagsgottesdienst musste ich für eine Live-Übertragung am Radio die Predigt halten. Gleichzeitig wusste ich: Meine Frau stirbt im Haus nebenan." Das sei nicht einfach gewesen. Als Pfarrer auch Frau und Familie zu haben, sei "fast nicht machbar".

In der Diskussion über die Abschaffung des Pflichtzölibats vermisst er eines: "Nach der Frau wird überhaupt nicht gefragt. Es geht immer nur um den Mann. Eine Pfarrersfrau aber ist verheiratet mit einem Mann, der keine Zeit für sie und die Familie hat."

"Das geht doch nicht!"

Manche erhoffen sich von verheirateten Priestern eine grössere Vertrautheit mit den Lebenssituationen der Menschen und dadurch Vorteile für die Tätigkeit als Seelsorger. Die Erlebnisse des verwitweten Priesters zeigen indes: Längst nicht alle Gläubigen wollen von solch einer Lebenserfahrung profitieren.

"Die lustigste Story fand in diesem Raum statt. Bei einem Ehegespräch mit einem Schweizer und einer Südamerikanerin", erzählt der Pfarrer. Er habe einfließen lassen, dass auch er einst verheiratet war und eine Ahnung vom Eheleben habe. "Da schreit mich die Frau an: 'Dann haben Sie schon einmal eine nackte Frau gesehen. Das geht doch nicht!'" Kroiss kann darüber nur den Kopf schütteln. "Das ist doch verrückt. Die Menschen schreien irgendwas, ohne sich vertieft Gedanken zum Thema Zölibat zu machen."

Von Barbara Ludwig (kath.ch)