Evangelikale Christen besonders anfällig für religiöse Deutung von Pandemie

Online-Studie: Glaube schützt nicht vor Verschwörungsmythen

Veröffentlicht am 07.01.2021 um 13:59 Uhr – Lesedauer: 

Münster/Frankfurt am Main ‐ Verschwörungsmythen haben in der derzeitigen Pandemie Hochkonjunktur. Doch wer glaubt eigentlich daran? Dieser Frage sind Wissenschaftler aus Münster nachgegangen und haben herausgefunden, dass auch der Glaube nicht vor Verschwörungsdenken schützt.

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Laut einer Online-Studie von Wissenschaftlern der Universität Münster schützt christlicher Glaube nicht vor einem Fürwahrhalten von Verschwörungsmythen. Angehörige evangelikal-freikirchlicher Gruppen seien für Verschwörungsdenken besonders anfällig, heißt es am Donnerstag in einem von Carolin Hillenbrand und Detlef Pollack verfassten Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Diese Gläubigen zeigten "eine starke Affinität zur Interpretation der Pandemie als Strafe Gottes", so die beiden Forscher des Münsteraner Exzellenzclusters "Religion und Politik". Mehr als 2.000 Personen aus ganz Deutschland hätten im Internet an der Umfrage teilgenommen. Die Studie sei jedoch nicht repräsentativ, denn "manche Bevölkerungsgruppen – Jüngere, höher Gebildete und Religionsangehörige – sind stärker vertreten als im Bevölkerungsdurchschnitt".

Verschwörungstheoretischen Aussagen stimmten etwa zehn Prozent der Befragten zu, so die Wissenschaftler weiter. Wer glaube, "dass hinter der Corona-Pandemie böse, verborgene Mächte stecken" würden, verfüge meist über ein "formal niedriges Bildungsniveau" und stamme aus dem rechten Parteienspektrum. "Damit bestätigen unsere Daten, was auch andernorts bereits festgestellt wurde: die höhere Affinität zu Verschwörungstheorien bei Anhängern der AfD." Auch Menschen mit antisemitischen und antiislamischen Einstellungen würden überdurchschnittlich häufig konspirative Ideen bejahen.

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Das Verhältnis von privatem Gebet und dem Besuch von Gottesdiensten sei ein Anhaltspunkt für das jeweilige Verhältnis zu Verschwörungsmythen, so die Forscher. "Offenbar stellt die Einbindung in religiöse Gemeinschaften, die dort geübte Kommunikation und der durch die Zusammenkunft ermöglichte Austausch untereinander einen Schutz vor Verschwörungsideen dar." Für das private Gebet gelte das nicht. Damit erklären Hillenbrand und Pollack die erhöhte Anfälligkeit von Evangelikalen für Verschwörungsglauben. "Die Zugehörigkeit zur katholischen oder zur evangelischen Kirche scheint hingegen die Abwehr gegenüber Verschwörungstheorien zu stärken." Auch die befragten Muslime seien zumeist vor Verschwörungsmythen gefeit. Spirituell interessierte, aber religiös ungebundene Menschen würden sich "weder durch eine besondere Nähe noch durch einen besonderen Abstand zum Verschwörungsglauben" auszeichnen.

Zudem stellen die Wissenschaftler fest, dass Skepsis gegenüber Problemlösungsmöglichkeiten der Forschung meist mit dem Glauben an den Einfluss böser Mächte zusammenfalle. Diese Einstellungen seien vermehrt bei evangelikalen Gläubigen zu beobachten. Wissenschaftsskepsis sei jedoch "nicht ein allgemeines Merkmal von Kirchlichkeit oder Religionszugehörigkeit, sondern betrifft nur ein eingegrenztes Segment im religiösen Feld". Eine dualistisch-religiöse Interpretation der Corona-Pandemie sei vor allem bei Personen mit einer hohen Religiosität anzutreffen. Diese Gläubigen würden "nur ihre eigene Religion als akzeptabel ansehen und Religion über Wissenschaft stellen". Ob man häufig betet oder oft am Gottesdienst teilnehme, mache in diesem Fall keinen Unterschied. Die Pandemie als Strafe Gottes zu verstehen, sei jedoch am stärksten bei den befragten Muslimen vertreten. (rom)