Viele Menschen hätten im Lockdown Bezug zu Kirche verloren

US-Forscher: Pandemie beschleunigt Rückgang der Kirchenbesucherzahlen

Veröffentlicht am 29.03.2021 um 14:30 Uhr – Lesedauer: 

Little Rock, Arkansas ‐ "Wir haben Infrastruktur für eine Kirche, die es nicht mehr gibt": Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Zahl der Kirchenbesucher durch die Pandemie noch stärker abnehmen wird als ohnehin schon – mit Auswirkungen auf Struktur und Glaubensleben.

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Wissenschaftler prognostizieren für die katholische Kirche in den USA nach der Corona-Pandemie einen starken Rückgang der Kirchenbesucher. "Die Pandemie beschleunigt Prozesse, die bereits in der Kirche stattfinden", sagte Matthew F. Manion, der Direktor des "Center for Church Management" an der Villanova University im Bundesstaat Philadelphia, am Montag gegenüber der kirchlichen Wochenzeitung "Arkansas Catholic". Die US-Kirche stehe vor einschneidenden Veränderungen.

Vor Ausbruch der Pandemie habe sein Institut noch erwartet, dass sich die Zahl der Kirchenbesucher zwischen 2010 und 2030 halbieren werden, so Manion. Das hätten Daten aus mehreren US-Diözesen nahegelegt. "Die Pandemie bewirkt nun, dass sich dieses Zeitfenster nach vorne verschiebt", so Manion weiter. Vermutlich würden die Zahlen direkt nach der Pandemie so stark sinken, dass die Marke bereits 2022 oder 2023 erreicht werde – mit dramatischen Folgen für die Kirchenstruktur und das Gemeindeleben.

Anders als in Deutschland gibt es in den USA keine Kirchensteuer. Diözesen und Gemeinden finanzieren einen beträchtlichen Teil ihrer Aktivitäten über Spenden ihrer Mitglieder, zum Beispiel über die Kollekte im Gottesdienst. Gehen weniger Menschen in die Kirche, bleiben diese Einnahmen aus. "Wir sind gebaut für eine Kirche, die es nicht mehr gibt. Wir haben die Infrastruktur für eine Kirche, die nicht mehr existiert", so Manion. Sowohl auf diözesaner als auch auf Pfarreiebene seien viele Strukturen nicht mehr zu halten. Stattdessen stünden Zusammenlegungen und Schließungen an.

Der Theologieprofessor Timothy P. O'Malley schließt sich dieser Prognose an. "Wir werden einen Anstieg der Menschen ohne jeglichen religiösen Bezug in unseren Gemeinden verzeichnen", so der Wisenschaftler, der an der Notre-Dame University in Indiana lehrt. Die Menschen, die vor der Pandemie eher aus Gewohnheit oder Pflichtbewusstsein statt aus "echter Liebe für den Glauben" zur Kirche gegangen seien, hätten in den Monaten des Lockdowns, den Kontakt zur Kirche verloren. Und es sei sehr wahrscheinlich, dass sie nach der Pandemie nicht mehr wiederkommen würden. "Es fühlt sich an, als gehe gerade eine ganze Generation verloren", so O'Malley.

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Deshalb brauche es seiner Ansicht nach neue Ansätze in der Pastoral, die nicht mehr allein auf den Priester setzen. "Wir werden theologisch und seelsorgerlich geschulte Laien brauchen, die die Kontaktarbeit in den Gemeinden übernehmen, die mit ihren Nachbarn sprechen, sich in öffentliche Debatten einbringen." Es reiche nicht mehr, dass der Priester als Einziger Ansprechpartner für die Gemeinde sei und religiöse Bildung und Katechese betreibe. Die anstehenden Veränderungen machten eine "Erneuerung katholischen Lebens der Laien" notwendig. O'Malley geht es dabei um eine Sichtbarkeit sowohl im öffentlichen als auch im digitalen Raum, etwa durch Prozessionen, Andachten unter freiem Himmel oder eine monatliche Zoom-Katechese mit dem Bischof.

Auch Manion sieht durch die Pandemie eine Möglichkeit zur Innovation. Er hoffe, dass die US-Kirche nach dem Ende der Pandemie nicht einfach zu einem "Alles wie gehabt"-Zustand zurückkehre, sondern "die Aspekte, die vorher gut waren mit den Aspekten, die wir durch die Pandemie gelernt haben, zusammenbringt, um auch weiterhin offen für Neues zu sein".

Auch für Deutschland gehen Verantwortliche von einem starken Rückgang der Gottesdienstbesucher und Kirchenmitglieder als Folge der Pandemie aus. "Ich bin ziemlich sicher – ohne jetzt schon Analysen vorweggreifen zu wollen – dass wahrscheinlich einige, die bisher traditionell zur Kirche gegangen sind, gemerkt haben: Das geht auch ohne", sagte Thomas Sternberg, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), in einem Podcast im Mai vergangenen Jahres. Gerade für Menschen, denen durch den Lockdown Einnahmen wegbrechen, sei die Kirchensteuer eine zusätzliche finanzielle Belastung. Er gehe davon aus, dass es zu einem Einbruch der Kirchensteuereinnahmen komme. Das habe Verteilungsdiskussionen zur Folge. (cst)