Papst Franziskus setzt Reform des kirchlichen Strafrechts in Kraft

Neues Strafrecht: Kirche will strenger gegen Missbrauch durchgreifen

Veröffentlicht am 01.06.2021 um 11:49 Uhr – Lesedauer: 

Würzburg ‐ Mehr als ein Jahrzehnt hat der Vatikan an seinem neuen Strafrecht gearbeitet – nun hat es Papst Franziskus beschlossen. Künftig sollen Straftaten strenger verfolgt werden. Neben einer besseren Beschreibung von Sexualdelikten geht es auch um Wirtschaftskriminalität – und die Unschuldsvermutung. Kirchenrechtler Heribert Hallermann analysiert die Neuerungen.

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Papst Franziskus hat die Reform des kirchlichen Strafrechts beschlossen. Mit der am Dienstag veröffentlichten Apostolischen Konstitution "Pascite gregem Dei" wird das Buch VI des Codex Iuris Canonici (CIC), des kirchlichen Gesetzbuchs, komplett neu gefasst. Die Reform gibt dem kirchlichen Strafrecht einen neuen Stellenwert, nachdem zuvor eine mangelnde Anwendung des Rechts insbesondere beim Umgang mit Missbrauch "viel Schaden" verursacht habe. Zu den Änderungen gehört die Ausweitung der Geltung auch auf Laien, eine Reform der Sexualdelikte und die Aufnahme von bisher in eigenen Gesetzen geregelten "schwerwiegenden Straftaten" sowie von Wirtschaftsstraftaten unmittelbar in den CIC. Zu den aus Spezialrecht übernommenen Straftaten gehören der Versuch einer Weihe von Frauen.

Erstmals wird auch das Prinzip der Unschuldsvermutung unmittelbar im kirchlichen Strafrecht verankert. Die an Pfingsten von Papst Franziskus unterzeichnete Reform tritt am 8. Dezember 2021 in Kraft. Insgesamt hat die Reform über zehn Jahre gedauert. Noch vor zwei Wochen kündigte der Vatikan an, dass mit den Änderungen "vor Ende des Sommers" zu rechnen sei.

Für katholisch.de hat der emeritierte Würzburger Kirchenrechtler Heribert Hallermann die insgesamt 89 Kanones, die das neugefasste Buch VI zum Strafrecht der Kirche ausmachen, analysiert:

Kritiker des kirchlichen Strafrechts konnten bislang süffisant darauf verweisen, dass der Gesetzgeber selbst von der Anwendung des Strafrechts abrate. Tatsächlich konnte der bisherige c. 1341 CIC in diesem Sinn missverstanden werden. So ist es nicht verwunderlich, dass mit Ausnahme von Missbrauchsverfahren, die in den letzten Jahren geführt wurden, bei den kirchlichen Gerichten bislang kaum Strafverfahren durchgeführt wurden.

Nun aber macht Papst Franziskus mit der Apostolischen Konstitution "Pascite gregem Dei" (Weidet die Herde Gottes) unmissverständlich deutlich, dass er das kirchliche Strafrecht nicht als einen zahnlosen Tiger will. Er schreibt in der Konstitution: "Die Nachlässigkeit eines Hirten, wenn es darum geht, das Strafrecht anzuwenden, macht deutlich, dass er seine Aufgabe nicht recht und treu ausübt." Das ist offensichtlich eine Lehre, die der Papst aus dem defizitären Umgang mit Missbrauchsfällen in der Kirche gezogen hat: Die mangelnde Anwendung des Strafrechts hat "in der Vergangenheit viel Schaden verursacht". Dem entsprechend verpflichtet der neue c. 1341 CIC die kirchlichen Autoritäten nun dazu, das kirchliche Strafrecht anzuwenden. Auch der erste Canon des neuen Strafrechts, c. 1311 § 2 CIC, sagt ganz deutlich: "Wem in der Kirche Leitung zukommt, der muss das Wohl der Gemeinschaft und der einzelnen Gläubigen durch die pastorale Liebe, das Beispiel des eigenen Lebens, durch Rat und Ermahnung und, wenn erforderlich, auch dadurch schützen und fördern, dass Strafen nach den Vorschriften des Gesetzes sowie stets unter Beachtung der kanonischen Billigkeit verhängt und festgestellt werden." Zudem macht er wie auch der neue c. 1343 CIC deutlich, was die Kirche mit der Anwendung ihres Strafrechts erreichen will: die Wiederherstellung der Gerechtigkeit, die Besserung des Straftäters und die Behebung des entstandenen Ärgernisses. Damit das alles nicht auf der Ebene hehrer Absichten verbleibt, werden künftig überführte Straftäter mit den neuen cc. 1344 n. 2, 1347 § 2, 1357 § 2, 1361 § 4, 1376 §§ 1 und 2, 1377 §§ 1 und 2, 1378 §§ 1 und 2 sowie 1393 § 2 CIC dazu verpflichtet, angerichteten Schaden wieder gut zu machen und Schadenersatz zu leisten.

Mit seiner Konstitution, einem päpstlichen Gesetz, hat Franziskus an Pfingsten das neue Strafrecht promulgiert und ein Projekt zu Ende gebracht, das bereits 2007 unter Benedikt XVI. begonnen wurde. Die Federführung lag in den Händen des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte, der Fachleute aus aller Welt beigezogen hat. Im Sommer 2011 wurde ein Entwurf an die Bischofskonferenzen, die Ordensoberen, die kirchenrechtlichen Fakultäten und die Kurienorgane mit der Aufforderung zur Stellungnahme verschickt. Mit Hilfe dieser Rückmeldungen konnte der Entwurf wesentlich verbessert werden.

Bemerkenswerte Neuerungen

Das neue kirchliche Strafrecht ist keine völlige Neuschöpfung, sondern ein Aggiornamento: Es will die entsprechenden Normen auf die Höhe der Zeit bringen, so dass sie den aktuellen Erfordernissen besser entsprechen. Bei aller Kontinuität enthält das Strafrecht aber bemerkenswerte Neuerungen:

Das gilt zuerst im Blick auf die möglichen Strafen. Diese können nicht mehr nur über Kleriker verhängt werden, wie das im bisherigen c. 1333 § 1 CIC bezüglich der Suspension ausdrücklich formuliert war, sondern sie können grundsätzlich alle Gruppen von Gläubigen treffen. Ein kirchliches Gericht kann zwar keine Freiheitsstrafen verhängen, mit der Strafe der Suspension kann aber zum Beispiel die Ausübung aller oder einiger der mit einem Amt verbundenen Rechte oder Aufgaben verboten werden, und mit den in c. 1336 CIC nun neu systematisierten Sühnestrafen steht dem kirchlichen Richter eine ganze Palette von möglichen Geboten, Verboten und Rechtsentzügen zur Bestrafung zur Verfügung. So kann er einem Straftäter beispielsweise alle oder einige Ämter, Aufgaben, Dienste oder Funktionen oder auch nur einige Tätigkeiten, welche mit Ämtern und Aufgaben verbunden sind, entziehen; er kann die Predigtbefugnis entziehen oder die Vollmacht, Beichten entgegenzunehmen; oder er kann einem verurteilten Straftäter die ganze kirchliche Vergütung oder auch nur einen Teil davon entziehen, allerdings muss die Bischofskonferenz hierfür eine verbindliche Ordnung erlassen. Neu ist die Möglichkeit eingeführt worden, dass der kirchliche Richter nach c. 1336 § 2 n. 2 CIC auch Geldstrafen verhängen kann, allerdings muss auch hierfür die Bischofskonferenz zunächst eine verbindliche Ordnung erlassen.

Systematisch neu geordnet beziehungsweise neu eingeführt wurden auch eine Reihe von Straftatbeständen, von denen hier nur die wichtigsten genannt werden sollen. So wurden beispielsweise die sogenannten "schwerwiegenderen Straftaten", deren Strafverfolgung dem Apostolischen Stuhl vorbehalten ist und die bislang in Sondergesetzen normiert waren, in das kodikarische Strafrecht integriert. Die obligatorische Einschaltung des Apostolischen Stuhls soll sicherstellen, dass entsprechende Straftaten durch die Bischöfe oder Ordensoberen auch tatsächlich verfolgt und nicht vertuscht werden. Dem entsprechend wurde mit dem neuen c. 1371 § 6 CIC als neuer Straftatbestand der Verstoß gegen die Anzeige- und Meldepflicht eingefügt; wer die Weitergabe einer Strafanzeige versäumt, zu der er vom kirchlichen Recht verpflichtet ist, wird mit einer Sühnestrafe nach c. 1336 §§ 2-4 CIC bedroht, der, je nach Schwere der Straftat, andere Strafen hinzugefügt werden können. Zudem wird mit c. 1371 § 5 CIC mit einer gerechten Strafe bedroht, wer der Verpflichtung nicht nachkommt, ein rechtskräftiges Urteil oder ein rechtskräftiges Strafdekret auszuführen.

Heribert Hallermann lehrte von 2003 bis 2016 Kirchenrecht an der Universität Würzburg.
Bild: ©Universität Würzburg (Archivbild)

Heribert Hallermann lehrte von 2003 bis 2016 Kirchenrecht an der Universität Würzburg.

Rechtsverstöße im Zusammenhang mit der Vermögensverwaltung haben in den vergangenen Jahren immer wieder Ärgernis hervorgerufen, man denke nur an die bekannten Vorkommnisse in Limburg und Eichstätt. Nun wird gemäß dem neuen c. 1376 §§ 1 und 2 CIC mit einer Sühnestrafe bedroht, wer sich unrechtmäßig Kirchengüter aneignet, ohne die vorgeschriebene Beratung, Zustimmung oder Erlaubnis Kirchengüter veräußert oder anderweitig bei der Verwaltung der Kirchengüter widerrechtlich oder grob fahrlässig handelt. Wirtschaftsdelikte von Klerikern sollen bei bestehender Verpflichtung, den Schaden wieder gut zu machen, obligatorisch mit einer Sühnestrafe bestraft werden.

Mit dem neuen c. 1377 § 2 CIC wird der Straftatbestand der Korruption bei der Ausübung kirchlicher Ämter und Aufgaben definiert und mit einer entsprechenden Geldstrafe oder anderen Strafe bedroht; dabei wird der Amtsverlust nicht ausgeschlossen. Der ebenfalls neue c. 1395 § 3 /2021 hat solche Kleriker, Ordensleute und Laien im Blick, die entweder mit Gewalt oder durch Drohungen oder durch Missbrauch ihrer Autorität eine Straftat gegen das sechste Gebot des Dekalogs begangen oder jemanden dazu gezwungen haben, selbst sexuelle Handlungen vorzunehmen oder solche zu ertragen. Sie sollen obligatorisch bestraft werden, wobei die Entlassung aus dem Klerikerstand nicht ausgeschlossen ist. Im Fokus dieser neuen strafrechtlichen Norm stehen der kirchliche Dienst als solcher und seine Glaubwürdigkeit. Bei der Verfolgung von geistlichem Missbrauch dürfte diese neue Norm Wirkung entfalten.

Besonders beachtenswert ist, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern und anderen schutzbedürftigen Personen mit c. 1398 CIC nun nicht mehr als ein Zölibatsverstoß, sondern als eine Straftat gegen Leben, Würde und Freiheit des Menschen gewertet wird. Diese Straftat kann nicht mehr nur von Klerikern, sondern auch von Ordensleuten sowie von Laien verwirklicht werden, die in der Kirche ein Amt oder eine Funktion ausüben. Damit werden auch Mesner, Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten und andere, auch sogenannte Ehrenamtliche, als mögliche Straftäter in den Blick genommen. Kleriker können mit Amtsenthebung und anderen gerechten Strafen bis zur Entlassung aus dem Klerikerstand bestraft werden, andere Gläubige mit Sühnestrafen, die der Schwere der Straftat angemessen sind. Im Fall von Klerikern ist die Strafverfolgung im Sinn von Aufsicht und Kontrolle dem Apostolischen Stuhl vorbehalten, bei Nichtklerikern liegt die Zuständigkeit bei den kirchlichen Oberen.

Prinzip der Unschuldsvermutung

Längst überfällig war, dass mit dem neuen c. 1321 § 1 CIC das Prinzip der Unschuldsvermutung im kirchlichen Strafrecht verankert wird. Im Blick auf das bislang geltende kirchliche Strafrecht musste noch festgestellt werden, dass das Prinzip der Unschuldsvermutung der Kirche fremd war.  Nun aber wird gesetzlich festgelegt: "Jeder ist so lange als unschuldig anzusehen, bis das Gegenteil bewiesen ist." Im Sinne des Art. 11 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie des Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention bedeutet dieses Grundprinzip eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens, dass es Sache der Strafverfolgungsbehörde ist, die vorgeworfene Schuld zu beweisen.

Franziskus spricht in seiner Konstitution davon, dass grundlegende Aspekte des Strafrechts wie das Recht auf Verteidigung stärker berücksichtigt wurden. Häufiger als bislang sind einzelne Straftaten mit konkreten Strafen bedroht und wo es früher hieß, dass ein Straftäter bestraft werden kann, wird nun eine Pflicht zur Bestrafung verankert.

Das neue kirchliche Strafrecht ist ein großer Schritt nach vorne; es soll mit Wirkung vom 8. Dezember 2021 in Kraft treten. Nun ist es an den kirchlichen Gerichten, die sich bislang beinahe ausschließlich als Ehegerichte verstanden haben, hierfür neue Kapazitäten zu schaffen. Es ist das eine, dass der kirchliche Gesetzgeber das Strafrecht leichter anwendbar gemacht hat, das andere ist, dass es tatsächlich angewendet wird. Im Sinne von Franziskus "hat die kirchliche Strafe auch eine Funktion der Wiedergutmachung und einer heilsamen Medizin und sucht vor allem das Wohl des Gläubigen".

Von Heribert Hallermann

Im Volltext: Das neue Buch VI des CIC

Der Vatikan hat auf seiner Webseite den Volltext des Buchs VI des CIC in seiner neugefassten Form veröffentlicht.