Wie ein verfluchtes Dorf mit Hexerei punktet

Unter normalen Umständen würde wahrscheinlich niemand vom kleinen Dörfchen Trasmoz Notiz nehmen: Die knapp 90 Einwohner leben in der Serranía Celtibérica, einer kaum bewohnten Bergregion im Nordosten Spaniens. Die Europäische Union hat die Region sogar als "benachteiligt" anerkannt. Und doch: Trasmoz zieht jedes Jahr ein Vielfaches seiner Einwohnerzahl als Besucher an. Diesen Segen verdanken die Menschen dort der eigenen Findungsfreude – und dem Umstand, dass der ganze Ort vor hunderten von Jahren wegen Hexerei exkommuniziert und verflucht wurde.
Doch von vorn: Vor 700 Jahren war Trasmoz ein florierender Ort, in dem Juden, Muslime und Christen friedlich zusammenwohnten. Es gab Eisen- und Silberminen, Holzwirtschaft und einiges mehr. Was das Schicksal des Ortes entscheidend bestimmen würde, waren zwei Bauwerke: Das Schloss auf einem Hügel über dem Dorf und das Kloster Veruela ganz in der Nähe. Dem Kloster war der Ort an sich schon ein Dorn im Auge, denn wegen eines königlichen Dekretes mussten die Einwohner der Kirche keine Steuern zahlen – als einzige in der Region. Trasmoz war der weiße Fleck auf der Herrschaftskarte der Zisterzienser. So nutzte der Abt einen günstigen Augenblick, um sich zu rächen. Der kam, als Gerüchte über Hexerei in dem Ort die Runde machten.
Grund dafür waren Kratz- und Hämmer-Geräusche und geschäftiges Treiben des Nachts auf der Burg. Hexen und Zauberer sollten dort ihr Unwesen treiben und Zaubertränke kochen. Das verbreiteten jedenfalls die Bewohner. Die Wahrheit war wohl deutlich profaner: Dort wurden in der Nacht Falschmünzen geprägt – die Hexerei war ein Ablenkungsmanöver. Allerdings ein folgenreiches.
Ein renitentes Dorf zähmen
Der Abt versuchte die Gerüchte für sich zu nutzen, um das renitente Dorf zu zähmen: Er brachte den Erzbischof von Tarazona dazu, Trasmoz zu exkommunizieren. Die Bewohner sollten umkehren und den Weg in die Kirche zurückfinden. Er hatte wohl darauf spekuliert, sich so den Ort einzuverleiben. Zu Unrecht. Die Leute zeigten sich von der Exkommunikation denkbar unbeeindruckt und das Leben ging seinen normalen Gang weiter.
Bald gab es neue Konflikte zwischen Dorf und Kloster – bis sich die Gemüter endgültig erhitzten. Denn die Mönche zweigten sich Wasser aus dem Dorf ab, ohne dafür zu bezahlen. Das war zu viel, auf der Burg wurden die Waffen aus dem Arsenal geholt. Fast wäre es zum Krieg gekommen, doch König Ferdinand II. (1452-1516) beendete den Streit – zugunsten des Dorfes.
Auf der Burg wurde wohl früher Falschgeld produziert.
Das ließ die Kirche nicht auf sich sitzen. Mit dem Segen von Papst Julius II. wurde 1511 ein Fluch über das Dorf ausgesprochen – in Form des Psalms 108: "Bring du uns Hilfe gegen den Feind, denn die Hilfe von Menschen ist nichtig! Mit Gott werden wir Taten der Macht vollbringen. Er selbst wird unsere Feinde zertreten." (Ps 108,13f.) Da der Flucht mit Unterstützung des Papstes ausgesprochen wurde, kann ihn auch nur ein Papst wieder aufheben. Das ist bis heute nicht geschehen.
Ein stetiger Niedergang
Fast scheint es so, als hätte der Fluch gewirkt: Die Burg brannte 1520 nieder. Nachdem 1492 die Juden und bald darauf die Muslime aus Spanien vertrieben wurden, ging es mit der Wirtschaft bergab. Von den ehemals mehreren hundert Einwohnern sind weniger als 100 übriggeblieben, es gibt weder Geschäfte noch Restaurants oder eine Schule dort. Der Wegzug großer Teile der Bevölkerung in Städte trug seinen Teil zum Niedergang bei. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es noch 2.000 selbstständige Gemeinden in der Region, heute sind es nur noch 1.300 – und der Bevölkerungsrückgang hält an.
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Zwischendurch verzeichnet die Dorfgeschichte zweierlei Kuriositäten: 1860 wurde hier tatsächlich noch eine angebliche Hexe getötet. Durch eine Epidemie hatte es mehrere Todesfälle gegeben – und Joaquina Bona Sánchez sollte Schuld sein. Sie wurde in eine Schlucht geworfen. Ein knappes Jahrhundert später lebte Manuel Jalón Coróminas kurzzeitig hier. Er wurde später dafür bekannt, dass er den Mopp entscheidend weiterentwickelte. Ihm wurde ein Denkmal gesetzt, ein Mopp aus Bronze erinnert an ihn.
Nicht mit Niedergang abfinden
Doch die Dorfgemeinschaft wollte sich mit dem Niedergang ihrer Heimat nicht abfinden – und wurde erfinderisch, machte aus der Not eine Tugend. Mit der Hexerei will man heute Touristen anlocken und macht ein Fest daraus. Am ersten Samstag im Juli gibt es einen Umzug aus Hexen, Rittern und seltsamen Gestalten durch den Ort, es wird eine Hexe des Jahres gekürt und neben einem Jahrmarkt gibt es Vorführungen von Falknern, Zauberern und Schwertkämpfern. Dazu wird die turbulente Geschichte des Orts nachgespielt. Die Bewohner versuchen, ihre Historie möglichst leichtfüßig in das Heute zu tragen und nebenbei dafür zu sorgen, dass ihr Ort nicht wie so viele andere in der Nachbarschaft langsam wegstirbt. Bis zur Corona-Pandemie waren sie damit erfolgreich, es kamen stets viele Besucher, das Hexenfestival gilt als Erfolg.
Auch, wenn im Kloster Veruela keine Mönche mehr wohnen: Die Exkommunikation und der Fluch gelten immer noch. Beides macht Trasmoz in ganz Spanien einzigartig. Jedenfalls auf dem Papier, denn in der Dorfkirche wird getauft und Messe gefeiert wie überall sonst auch. Deswegen haben die Menschen in Trasmoz auch wenig Interesse daran, dass der Papst den Fluch wieder aufhebt. Denn ein Teil der Folklore wäre dahin – und in jedem Jahr wird in dem kleinen Dorf ja wieder aufs Neue eine Hexe des Jahres gekürt.