Sprecherin Mathilde Langendorf fordert mehr konstruktiven Journalismus

Caritas: Tendenz zu Skandalisierung in Medien beklagenswert

Veröffentlicht am 13.12.2021 um 11:30 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Weil die Caritas zu einer Pressekonferenz eingeladen hatte, bei der positive Äußerungen vorgetragen werden sollten, sagten Medienvertreter ihre Teilnahme ab. Die Begründung: zu wenig Polarisierung. Caritas-Sprecherin Mathilde Langendorf erläutert im Interview, warum sie diese Haltung kritisiert.

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Bei einer Pressekonferenz des Deutschen Caritasverbandes in der vergangenen Woche sollte es um die Bewertung des Koalitionsvertrags der neuen Bundesregierung gehen. Im Vorfeld fragten Journalisten bei Pressesprecherin Mathilde Langendorf an, ob die Meinung der Caritas auch kontrovers genug für die Berichterstattung sei. Als die Medienvertreter hörten, dass die Gesamtbewertung der Regierungsagenda hauptsächlich positiv sei, sagten sie ihre Teilnahme ab. Langendorf erklärt im Interview mit katholisch.de, warum sie das kritisiert, weshalb sie ihrem Ärger darüber auf Twitter Luft machte und was die Tendenz der Medien zur Skandalisierung für die Gesellschaft bedeutet.

Frage: Frau Langendorf, Sie haben in der vergangenen Woche auf Twitter kritisiert, dass Journalisten die Teilnahme an einer Pressekonferenz der Caritas abgesagt haben, weil die Inhalte nicht kontrovers genug gewesen seien. Sind "Bad News" und polarisierende Nachrichten das Einzige, was Medienvertreter interessiert?

Langendorf: Ich erkenne bei dieser Frage zwei Tendenzen: Einerseits herrscht ein Hang zur Skandalisierung und schnellen Empörung vor. Es gibt hohe Erwartungen an die Caritas, weil wir eine sehr starke anwaltliche Rolle haben und für viele Menschengruppen sprechen, die ihre Stimme nicht selbst erheben können. Man erwartet von uns zu Recht, dass wir für die Armen und generell für die Menschen am Rand sprechen – und auch, dass wir uns empören, Dinge kritisieren und einfordern. Das ist legitim und es gibt auch tatsächlich vieles, über das man sich empören kann. Aber das scheint dazu zu führen, dass wir kein Gehör finden, wenn das geforderte Skandalisierungsmaß nicht erreicht wird. Ich finde sehr schade, dass diese Reaktionen zunehmen.

Frage: Was ist die zweite Tendenz, die Sie wahrnehmen?

Langendorf: Das sind die Formate des positiven oder konstruktiven Journalismus. Ich finde es sehr begrüßenswert, wenn die Medien mögliche Lösungsvorschläge für die aktuellen Probleme vorstellen und nicht nur auf Missstände hinweisen. Doch der Graben zwischen diesen beiden Tendenzen fällt mir aktuell sehr auf. Ausgesprochen von Journalisten zu hören, dass sie nicht zu einer Pressekonferenz kommen, wenn etwas Positives gesagt wird, finde ich äußerst beklagenswert.

Mathilde Langendorf
Bild: ©Deutscher Caritasverband/X. Heinl

Mathilde Langendorf ist Pressesprecherin des Deutschen Caritasverbandes.

Frage: Die Rahmenbedingungen im Journalismus geben vor, dass auch Klicks und Einschaltquoten eine wichtige Rolle spielen. Als Pressesprecherin wissen Sie das aber sicher...

Langendorf: Ich weiß, wie die Medien funktionieren. Natürlich nimmt niemand an einem Pressegespräch teil, wenn er sich davon nicht etwas erwartet. In den Redaktionen gibt es nun einmal nicht mehr so viel Zeit, die Inhalte einer Konferenz einfach auf sich zukommen zu lassen, sondern es muss intensiv geprüft werden, ob es sich lohnt, jemanden dorthin zu schicken. Aber in einer solchen Deutlichkeit dieses Desinteresse zurückgespiegelt zu bekommen, finde ich fragwürdig – gerade in einer Zeit, in der der gesellschaftliche Zusammenhalt auf dem Spiel steht, Spaltungen in der Gesellschaft zunehmen und Politikverdrossenheit um sich greift. Ich bezweifele außerdem, dass die Medien ihrer Zielgruppe richtig einschätzen, wenn sie davon ausgehen, dass positive Meinungen für sie uninteressant sind. 

Frage: Sie sehen also einen Zusammenhang zwischen einer vornehmlich negativen Berichterstattung und der zunehmenden Spaltung in der Gesellschaft?

Langendorf: Ja, diese Verbindung ist da. Wenn mir die Medien, die ich lese, nur das zurückspiegeln, was nicht funktioniert, dann prägt das mein Bild der Gesellschaft. Wenn ich ausschließlich zu lesen bekomme, dass etwa die Sozialverbände davor warnen, den Armen gehe es sehr schlecht, und ich mich selbst bei dieser Kategorie verankere, dann fühle ich mich automatisch in die Ecke gestellt: Mir geht es schlechter und damit automatisch den anderen besser. Auf diese Weise wird ein entgegengesetzter Pol, ein Gegner kreiert. Natürlich ist es eine wichtige Rolle der Medien und der gesellschaftlichen Akteure, wie der Caritas, negative Entwicklungen zu kritisieren – wir machen das ja auch. Aber wenn die Nachrichten ausschließlich darüber berichten, dann trägt das zu einem gesellschaftlichen Klima bei, das nicht gerade den Zusammenhalt stärkt.

Frage: Sie legen den Journalisten also ans Herz, verstärkt konstruktiven Journalismus zu machen und auf positive Entwicklungen hinzuweisen?

Langendorf: Diese Marktlücke ist da und wurde von einigen Medien aufgegriffen, was ich sehr gut finde. Und natürlich ist konstruktiver Journalismus nicht das Format, dem sich alle Journalisten verschreiben müssen. Dennoch wäre es gut, wenn sie im Hinterkopf behielten, dass einfaches Kritisieren nicht ausreicht und sie den nächsten Schritt gehen sollten, hin zur Lösung von Problemen. 

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Frage: Schauen wir doch einmal auf das konkrete Thema, die Bewertung des Koalitionsvertrags der Ampel-Regierung durch die Caritas. Das sind aus Ihrer Sicht also gute Pläne?

Langendorf: In dem Pressegespräch vor einigen Tagen ging es um unsere Bewertung des Koalitionsvertrags in Sachen Klimaschutz. Im Vorfeld hatten wir die Forderung aufgestellt, dass der Klimaschutz effektiv und sozial gerecht sein muss. Meine Kolleginnen und Kollegen haben den Koalitionsvertrag daraufhin untersucht. Sie sind zum Schluss gekommen, dass die Agenda der neuen Regierung viele gute Ansätze besitzt. Die Klimapolitik, die bisher gemacht wurde, war nun einmal nicht besonders effektiv oder sozial gerecht. Aber bei den Vorhaben, die im Koalitionsvertrag stehen, ist klar, dass die soziale Dimension mitgedacht wurde – und das nicht nur mit Blick auf Deutschland, sondern auch in der Entwicklungshilfe und der internationalen Politik. Das freut uns als Organisation, die auch im Ausland tätig ist. Dieses Bewusstsein für soziale Belange erkennen wir auch an anderen Stellen des Vertrags, sodass unsere Bewertung im Ganzen positiv und hoffnungsvoll ist.

Frage: Gibt es denn seitens der Caritas auch Kritik am Koalitionsvertrag?

Langendorf: Es gibt von uns angemahnte Änderungen, die wir schmerzlich vermissen, wie etwa beim Thema Hartz IV. Die Caritas fordert, dass die Regelsätze steigen und es eine gerechtere Berechnung der Leistungen gibt. Dazu liest man im Koalitionsvertrag leider nichts. Ein anderes Thema ist die häusliche Pflege von Menschen durch Live-In-Betreuungskräfte, in der Regel Frauen aus Ost- oder Südosteuropa, bei dem wir uns ebenfalls eine Verbesserung der Situation erhofft hatten. Außerdem gibt es einige andere Themen, die grundsätzlich gut gedacht sind, bei denen wir uns aber fragen, wie sich die konkrete Umsetzung gestaltet. Insgesamt ist unser Blick auf den Koalitionsvertrag aber positiv: Die Caritas ist hier guter Dinge.

Von Roland Müller