Inzwischen sei klar, warum der Emeritus eine falsche Angabe machte

Psychiater Lütz nennt neue Details zur Affäre um Benedikt XVI.

Veröffentlicht am 01.02.2022 um 16:55 Uhr – Lesedauer: 

Zürich ‐ Der nach eigenen Aussagen frühere Ratzinger-Berater Manfred Lütz nennt neue Details in der Affäre um Benedikt XVI.: Dabei geht es um ein "Geheimtreffen" im Vatikan. Zudem kritisiert Lütz das Vorgehen der Münchner Gutachter.

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Der Kölner Psychiater und frühere Ratzinger-Berater Manfred Lütz hat in einem Gastbeitrag für die "Neue Zürcher Zeitung" (Dienstag) neue Details über die Verdienste, aber auch die Kommunikationsfehler von Benedikt XVI. enthüllt. Demnach hat der damalige Kurienkardinal Joseph Ratzinger bereits 1999 bei einem Geheimtreffen im Vatikan gegen den Widerstand anderer Kardinäle die konsequente Bestrafung überführter Missbrauchstäter in der katholischen Weltkirche gefordert. Zwei Jahre später wurde die von Ratzinger geführte Glaubenskongregation zur Obersten Anklagebehörde und zum Obersten Kirchengericht für Missbrauchstäter im Priestergewand.

Zum vielbeachteten jüngsten Münchner Missbrauchsgutachten erklärte Lütz, es enthalte Erstaunliches. Nach akribischer Recherche der Gutachter gebe es "in allen vier Ratzinger zur Last gelegten Fällen keinen einzigen handfesten Beweis", dass Ratzinger "Kenntnis von der Missbrauchsvorgeschichte" der jeweiligen Tatverdächtigen hatte.

Zur Kontroverse um die angebliche Nichtteilnahme Ratzingers an einer entscheidenden Sitzung im Jahr 1980 erklärte Lütz, inzwischen sei klar, warum Benedikt zunächst eine falsche Angabe gemacht habe. Der 94-Jährige habe nicht mehr selbst Tausende Seiten Dokumente durchsehen können. Mitarbeiter hätten das getan und dabei Fehler begangen. Entgegen der von ihnen formulierten Antwort, dass er an der Sitzung nicht teilgenommen habe, sei er doch anwesend gewesen.

Kanzlei habe "merkwürdigen Fragestil an den Tag gelegt"

In diesem Kontext kritisierte Lütz die mehr als 130 Detailfragen der Münchner Anwaltskanzlei an den Ex-Papst. Die Kanzlei habe "einen merkwürdigen Fragestil an den Tag gelegt. Zum Teil waren die Fragen rhetorisch, suggestiv oder Mischungen aus Anklageschrift und Urteil." Lütz weiter: "Jeder hätte sich bei solchen Fragen Rechtsbeistand geholt, so offensichtlich auch Papst Benedikt." Die Fragestellungen hätten diesem von vorneherein keine Gelegenheit gegeben, sich zu seiner persönlichen Verantwortung zu erklären.

Lütz betonte, der Ex-Papst habe "angekündigt, dass er sich dazu und zum Zustandekommen der merkwürdigen Antworten noch selbst äußern wolle". Es sei damit zu rechnen, dass "das dann wirklich sein Text sein wird, und man sollte die Fairness besitzen, diese Stellungnahme abzuwarten". Lütz war nach eigener Aussage als Berater Ratzingers tätig, als dieser um die Jahrtausendwende mit Hilfe von Wissenschaftlern versuchte, das Phänomen sexuellen Missbrauchs in der Kirche besser zu begreifen und mit Strafen einzudämmen.

Der emeritierte Papst steht seit der Veröffentlichung des Gutachtens der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) zu sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising in der Kritik. Ihm sowie weiteren Würdenträgern werden auf fast 1.900 Seiten Verfehlungen im Umgang mit Missbrauchsfällen attestiert. Eine zentrale Aussage in seiner 82-seitigen Stellungnahme zum Gutachten hatte Benedikt wenige Tage nach Veröffentlichung korrigiert. Eine weitere ausführliche Einlassung des Emeritus ist angekündigt. (tmg/KNA)