Ein Gastbeitrag des Salzburger Dogmatikers Hans-Joachim Sander

Die Ukraine ist im Krieg – und wo ist der Papst?

Veröffentlicht am 06.03.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Debatte

Salzburg ‐ Der Papst kritisiert Putins Ukraine-Krieg – und schont den putinhörigen Patriarchen Kyrill. Ist Moskau ein Europa wert? Es gebe nun keine gebotene Neutralität mehr, wie man es mit autoritärer Herrschaft hält, schreibt der Dogmatiker Hans-Joachim Sander für katholisch.de.

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Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende, die unter die Haut geht. In der Ukraine kämpft eine Nation um ihre Chance auf Demokratie und um humane Teilhabe an einem friedlichen Europa, das sie kulturell, wirtschaftlich, politisch weiterbringt. Und das soll ihr nun brutal auf offener Bühne geraubt werden. Jede Person und jede Nation, jede Gesellschaft und jede Organisation, jeder Staat und auch jede verfasste Religion werden dadurch gefragt, wo sie jeweils stehen: auf der Seite autoritärer Macht und ihrer korrupten Bereitschaft zur Gewalt – oder dagegen. Das ist wie eine Schwelle, die offenbart, wie man es selbst mit der Menschheit hält. Das hat jetzt ein globales Format bekommen, weil man sich dahin oder dorthin stellen muss.

"Unglaubwürdige aller Länder vereinigt euch!"

Wo Russland steht, ist klar; da helfen keine Mythen mehr. Die alte Sowjetunion war auf das Kommunistische Manifest gebaut: "Proletarier aller Länder vereinigt euch!" Das hat offenkundig nicht funktioniert. Das Russland Putins und seiner Oligarchen hat sich deshalb in das Zeichen eines anderen Manifestes gestellt: "Unglaubwürdige aller Länder vereinigt euch!" Über die Oligarchen hinaus ist das ein denkwürdiger Club: Alexander Lukaschenko und Xi Jinping, Narendra Modi und Kim Jong-un, natürlich Donald Trump und Gerhard Schröder, dann die notorischen Maduro, Ortega, Afewerki, Assad und manche andere. Auch die sattsam bekannten Gesichter der Fifa und des IOC waren dabei. Und ob sie jetzt wirklich ihre Mitgliedschaft aufgekündigt haben? Und wie steht es mit den Kirchen? Der Moskauer Patriarch fabuliert von der Einheit der Rus, als ob ein Mythos, wird er nur kirchlich bedient, über einen brutalen Angriffskrieg und die Vergewaltigung eines ganzen Volkes hinwegtäuschen könnte. Der Patriarch will offenbar als Religionsoligarch seinen Sitz in jenem Club nicht gefährden.

Bild: ©KNA/Paul Haring/CNS photo

Papst Franziskus und Patriarch Kyrill I. umarmen sich nach der Unterzeichnung der gemeinsame Erklärung am 12. Februar 2016 am Flughafen von Havanna (Kuba). Es ist das erste Treffen eines römischen Papstes mit dem Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche.

Das betrifft wiederum den Papst, der zweifellos und auch klar verlautbart gegen diesen Krieg steht. Wie auch sonst. Aber zugleich will er die potentielle Einladung nach Moskau durch eben diesen Patriarchen noch nicht in den Wind schreiben und lässt dessen symbolische Jacht weiter im Vatikan ankern. Darum ist der Papst bislang kein Teil der Einigkeit, die das demokratisch fragil gewordene Europa so überraschend gravierend erfasst hat. Aber es geht jetzt wirklich auf diesem Kontinent um die weltweit zentrale Frage der Gegenwart: autoritär unterworfen bloß für sich existieren oder aufleben im Respekt für etwas, was größer ist als die eigene Lage und wertvoller als jede noch so mächtige Unglaubwürdigkeit? Die Frage, ob Moskau ein Europa wert ist, ist für den Papst gefährlich. Es gibt derzeit keine gebotene Neutralität und weise Äquidistanz mehr, wie man es mit autoritärer Herrschaft hält. Das gilt gerade für eine katholische Weltkirche, deren autoritär verfasster Klerikalismus ihren sexuellen Missbrauch so intensiv vertuschte.

Entwickelt sich Franziskus' Pontifikatsprogramm zur Selbstblockade?

Wer hierzulande gerne mit dem Weltkirchenargument kommt, hätte hier seine wahre Basis. Es bedeutet, Rom an erster Stelle mit der weltweit bröckelnden kirchlichen Glaubwürdigkeit zu konfrontieren. Womöglich erleben wir gerade, wie das Pontifikatsprogramm des Franziskus zur Selbstblockade wird. Es präferiert die Ränder und die Menschen, die dort marginalisiert sind. Das hatte so viel Charme, als es aus der Taufe gehoben wurde. Jetzt muss man sich fragen, ob es mittlerweile dazu dient, der zentralen Konfrontation der globalen Zivilisation auszuweichen, die nun mitten in Europa stellvertretend bis in die regionalen Kapillare des Globus hinein ausgefochten wird. Aber es käme auch nur eine Kirche, die ihre eigenen autoritären Systemschwächen ausräumt, auf das zivile Niveau, das jetzt nötig ist, um der autoritären Versuchung standzuhalten und über sich hinauszuwachsen. Sie kann sich nicht länger mit angeblichem europäischen Säkularismus herausreden oder mit einem Denken in Jahrhunderten. Wovon will die katholische Weltkirche jetzt und künftig ein Teil sein? Die Schwelle, vor der sie wie alle anderen steht, ist ihr Wohl oder ihr Wehe geworden. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, ihren Ort zu wählen.

Von Hans-Joachim Sander

Der Autor

Hans-Joachim Sander ist seit 2002 Professor für Dogmatik an der Universität Salzburg.