Was der Synodale Weg mit Karsamstag zu tun hat

Um die Zukunft der Kirche wird hart gerungen, nicht nur beim Synodalen Weg. Positionen treffen so unerbittlich und scheinbar unveränderlich aufeinander, dass manche schon eine Kirchenspaltung am Horizont sehen. Auch der Eichstätter Dogmatiker Martin Kirschner sieht die Lagerbildung mit Sorge. Doch der Professor für Theologie in Transformation sieht auch einen Ausweg. In einer "Karsamstagsspiritualität" sieht er einen Weg zum Umgang mit Transformationskonflikten in der Kirche – auch für den Synodalen Weg.
Frage: Professor Kirschner, was hat der gegenwärtige Zustand der Kirche mit Karsamstag zu tun?
Kirschner: Wir stoßen im gegenwärtigen Zustand der Kirche an eine Grenze des Machbaren. Wir sind mit einem Scheitern, mit einer Schuld konfrontiert, bei denen keine schnellen Lösungen weiterführen. Mir ist in den letzten Jahren immer deutlicher geworden, in was für einer extremen Form eine solche Situation am Anfang des Christentums stand: Hier stand mit der Verurteilung und Hinrichtung Jesu alles in Frage, worauf die Jüngerinnen und Jünger gesetzt haben. Zugleich sind sie mit der eigenen Schuld und dem eigenen Versagen konfrontiert. Die religiösen Autoritäten und politischen Machthaber haben Jesus verurteilt. Der Karsamstag konfrontiert mit einer Leere, die Gott selbst betrifft: Wo ist dieser Gott? Wo steht er? Gibt es ihn überhaupt? Und: Wie kann es weitergehen? Die heutige Situation der Kirche verlangt m.E. eine Karsamstagsspiritualität, die solche Leere und Ohnmacht zulässt. Die Frage ist, wo Gott uns hinführt, ob der Glaube überhaupt noch trägt – also im Grund die Frage nach einem Fundament. Aus solchen Situationen geht man nicht unverändert heraus, und man weiß in der Situation nicht, wohin es geht.
Frage: Beim Synodalen Weg als Antwort auf die gegenwärtige Situation schienen Richtung und Positionen recht schnell recht klar. Zu schnell?
Kirschner: Sicher ist das eine Tendenz des Synodalen Wegs. Die Beteiligten sind meiner Einschätzung nach aber durchaus auch in der Lage, Ratlosigkeit wahrzunehmen und zuzulassen. Trotz Ratlosigkeit kann und muss man Positionen beziehen – und man kann vor allem feststellen: Wenn wir aus dieser scheinbar ausweglosen Situation herauskommen wollen, dann wird das nur zusammen mit den Gruppen gelingen, die bisher übersehen oder zum Schweigen gebracht wurden: mit den Betroffenen sexuellen Missbrauchs, mit sexuellen Minderheiten, aber auch mit den Frauen als einer Mehrheit in der Kirche, auf die zu wenig gehört wurde. Das wird man nicht erreichen, wenn man glaubt, nur Lösungen durchsetzen zu müssen. Es kommt auch auf das Hören an.
Frage: Und wie kommt man dann vom Hören zum Tun?
Kirschner: Das Spannende am wechselseitigen Hören ist, dass eine Position entstehen kann, die keine der beteiligten Parteien vorher schon hatte. Dann ist klar, dass der Weg zum Handeln nur schrittweise gegangen werden kann. Und gerade in der Kirche braucht es dafür oft viel Geduld. Bei vielen Themen würde das Drängen auf schnelle Handlungsoptionen die Kirche zerreißen.
Frage: Schnelligkeit ist relativ. Viele Fragen, die der Synodale Weg berät und die nun polarisieren, werden seit Jahrzehnten diskutiert.
Kirschner: Die Ungeduld und die Empörung sind deshalb auch völlig verständlich. Aber das ändert nichts daran, dass wir von einer Übereinstimmung im Glauben, die tragen würde, noch weit entfernt sind – das zeigen die gegenwärtigen Polarisierungen. Wer da versucht, die eigene Position mit Macht durchzusetzen, riskiert die Spaltung in verschiedene Kirchen.

Martin Kirschner (Jahrgang 1974) ist seit 2016 Professor für "Theologie in den Transformationsprozessen der Gegenwart" an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und dort Gründungsdirektor und Leiter des interfakultären Zentrums "Religion, Kirche, Gesellschaft im Wandel" (ZRKG).
Frage: Polarisierung gibt es schon bei der Problemdiagnose: Kirchenkrise oder Glaubenskrise, Reformen oder Evangelisierung. Ist das eine sinnvolle Debatte? Taugen diese Begriffe zur Deutung?
Kirschner: Die Begriffe lassen sich jedenfalls nicht gegeneinander ausspielen. Strukturreformen und institutionelle Erneuerungen, die nicht aus dem Glauben und dem Geist heraus leben, können in der Kirche nicht gelingen. Das will der Synodale Weg auch nicht. Ein Ausweichen in eine Frömmigkeit, die Probleme wegbeten will, statt sich ihnen zu stellen, führt in die Sackgasse. Das können die Kritiker des Synodalen Wegs auch nicht wollen. Die Lösung kann nicht sein, sich für einen dieser scheinbaren Pole zu entscheiden – sondern die Spannung dieser Pole zu halten und neugierig zu sein für die Gegenposition. Das vermisse ich in den Grundsatzdebatten.
Frage: Spannung aushalten. Wieder nichts Aktives …
Kirschner: In jeder Krise ist der Druck groß, zu handeln. Damit ist immer auch die Gefahr verbunden, alles darauf zu fokussieren, die eigene für richtig erachtete Handlungsoption durchzusetzen, ohne innezuhalten und sich zu fragen, ob die eigene Strategie überhaupt richtig ist. Es braucht Offenheit und Bereitschaft zur Korrektur. Handeln ist notwendig, aber kein Wert an sich.
Frage: Der Synodale Weg steht vor dem Ende, grundsätzliche Änderungen an der Arbeitsweise dürften kaum mehr möglich sein.
Kirschner: Es ist auch notwendig, die bisherigen Vereinbarungen zur Arbeitsweise ernstzunehmen und den Synodalen Weg abzuschließen. Mein Eindruck ist, dass der Konflikt bei der letzten Synodalversammlung um das gescheiterte Sexualethik-Papier einen Prozess in Gang gebracht hat. Es wird jetzt klar eingefordert, dass Kritik offen geäußert werden muss. Es wird versucht, auch sensibel für die Positionen zu sein, die sich durch die Stoßrichtung der Mehrheit ausgegrenzt und an den Rand gedrängt fühlen. Das ist nicht nur in der Synodalversammlung wichtig: Was dort kontrovers ist, ist es in der Weltkirche erst recht. Die Bedenken in der Synodalversammlung ernstzunehmen ist eine gute Vorbereitung dafür, die Ergebnisse in den weltweiten synodalen Prozess in einer Form einzuspeisen, dass deutlich wird, dass es hier wirklich nicht um einen Sonderweg geht, sondern um drängende Fragen – die ja auch in anderen Ortskirchen genauso virulent sind. Missbrauch und die Frage nach der Stellung von Frauen sind keine deutschen Spezialprobleme.
Frage: Wie nehmen Sie dabei die Rolle des Papstes wahr? Franziskus scheint sehr gut darin zu sein, Spannungen auszuhalten, zu warten und nicht sofort Position zu beziehen.
Kirschner: Das scheint mir zentral für seine Vorgehensweise zu sein. Papst Franziskus versucht stark, Prozesse anzustoßen und zum Freimut zu ermutigen. Er schaut, wohin sich die Dinge entwickeln. Das ist für viele unglaublich unbefriedigend, weil sie gerne klare Entscheidungen und Umsetzungen vom Papst hätten. Damit hält er auch die Kirche zusammen: Er hält die Ungewissheit aus.
Frage: Nur wie lange kann man Ungewissheiten aushalten?
Kirschner: So lange es nötig ist. Das gilt es einzuüben. Es kann jeweils nur das entschieden werden, was entscheidungsreif ist und umgesetzt werden kann. Das haben wir in Deutschland ja beispielsweise beim kirchlichen Arbeitsrecht gesehen: Die Entscheidung ist weitreichend und stellt einen fälligen Paradigmenwechsel dar. Natürlich teilen nicht alle diese Entscheidung, aber sie stößt doch auf breite Akzeptanz, weil sie entscheidungsreif war. Andere Entscheidungen werden noch sehr viel länger in der Schwebe sein – weil eine Entscheidung jetzt zu noch mehr Polarisierung führen würde. Dies gilt besonders für grundsätzliche Fragen der Kirchenverfassung, die letztlich wohl nur auf einem Konzil entschieden werden können.