Schülervertreter fordern mehr politische Bildung statt Religion im Stundenplan

Katholisches Büro verteidigt Religionsunterricht gegen Schülerbeirat

Veröffentlicht am 02.02.2023 um 10:19 Uhr – Lesedauer: 

Stuttgart ‐ Kommt die politische Bildung in Baden-Württembergs Schulen zu knapp? Davon ist der Landesschülerbeirat überzeugt – die Zeit dafür soll durch eine Kürzung des Religionsunterrichts kommen. Das Katholische Büro in Stuttgart widerspricht.

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Für die katholische Kirche besteht kein Widerspruch zwischen Religionsunterricht und politischer Bildung – und damit kein Anlass, die Zeit für Religionsunterricht zu kürzen. Gegenüber katholisch.de sagte der Leiter des Katholischen Büros Stuttgart, Pfarrer Gerhard Neudecker, dass der Landesschülerbeirat mit seiner Forderung nach weniger Religion zugunsten des Politikunterrichts einen Gegensatz konstruiere, der in Wirklichkeit nicht bestehe. "Die Forderung des Landesschülerbeirats nach einem wertebasierten und wertevermitteltenden Unterricht deckt sich mit der Grundkonzeption des Religionsunterrichts", so Neudecker: "Dieser beschränkt sich ja nicht auf die Vermittlung religiösen Wissens, sondern versteht sich vor allem als Sinnangebot zur personalen und sozialen Entwicklung der Schüler:innen."

Die Kirchen hätten sich auch stets für die Etablierung eines Ethikunterrichts in allen Klassenstufen in Ergänzung zum konfessionellen Unterricht ausgesprochen und eingesetzt. "Ebenso haben die Kirchen aber auch stets betont, dass Werte nicht voraussetzungslos existieren, sondern Ausfluss eines bestimmten Menschenbilds sind. Selbst die Werte des Grundgesetzes leben nach einem geflügelten Wort von Voraussetzungen, die der Staat sich nicht selbst geben kann", so der Leiter der Vertretung der Südwest-Bischöfe in der Landeshauptstadt weiter. Der Status des Religionsunterrichts als einzigem Unterrichtsfach mit Verfassungsrang, sowohl im Grundgesetz wie in der baden-württembergischen Landesverfassung, sei eine Lehre aus der Zeit des "Dritten Reichs": Nach der Perversion der Sicht des Menschen im Nationalsozialismus seien in den Verfassungen grundlegende Prinzipien im jüdisch-christlichen Menschenbild verankert worden. "Seither leisten die Religionslehrer:innen einen unverzichtbaren Beitrag zur ganzheitlichen Persönlichkeitsbildung der Schüler:innen, wie sie vom Landesschülerbeirat zu Recht gefordert wird", betont Neudecker.

Am Donnerstag meldeten sich auch die Bildungsverantwortlichen der baden-württembergischen Kirchen zu Wort. In einer gemeinsamen Presseerklärung sprachen sich die Diözesen Rottenburg-Stuttgart und Freiburg sowie die evangelischen Landeskirchen in Württemberg und Baden gegen eine Kürzung aus. Gerade die Bildungspläne für den Religionsunterricht sähen neben den Fragen nach Gott explizit auch die Beschäftigung mit moralischer und ethischer Bildung, Lebens- und Sinnfragen sowie den Themen Verantwortung, Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung vor. Der Religionsunterricht enthalte alle Leitperspektiven wie etwa die Bildung für nachhaltige Entwicklung oder für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt, die fächerübergreifend behandelt werden sollen, und lasse sich inhaltlich daher gut vernetzen. Das gelte auch für die Stärkung der Demokratiefähigkeit. Notwendig sei, die Themen aus mehreren Perspektiven zu erfassen und daher über die einzelnen Fächer hinaus zu behandeln.

Landesschülerbeirat will mehr gesellschaftswissenschaftlichen Unterricht

Am Montag hatte der Landesschülerbeirat Baden-Württemberg sein Grundsatzprogramm vorgestellt. Darin fordern die Schülervertreter eine Reduktion des Religionsunterrichts zugunsten von politischer Bildung sowie eine Stärkung des Ethikunterrichts in den Klassen fünf bis acht. Es sei "schlicht und ergreifend nicht mehr zeitgemäß, dass in ebenjenen Klassenstufen dem Religionsunterricht mehr Signifikanz eingeräumt wird als der politisch, moralisch und ethischen Bildung", so das Programm. Die Zahl der Religionsstunden soll in der Sekundarstufe I reduziert werden, um den Politikunterricht zu stärken. Nur so könne garantiert werden, "dass die Schülerschaft in Zeiten der globalen Umbrüche wahrhaft den Herausforderungen gewachsen ist, ohne dass dies negative Auswirkungen auf die Stundenpläne der Schülerinnen hätte". Auch die Absenkung des Wahlalters spreche für eine Stärkung des gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichts, der nach Ansicht der Schülervertreter bislang zu kurz komme.

Der Landesschülerbeirat ist die gesetzlich und demokratisch legitimierte Vertretung der Schülerinnen und Schüler aus Baden-Württemberg. Er vertritt die Interessen der 1,5 Millionen Schüler des Landes gegenüber dem Kultusministerium. Seine Mitglieder werden von den Schülersprechern der Schulen des Landes gewählt. Das Katholische Büro Stuttgart ist das Kommissariat der katholischen Bischöfe in Baden-Württemberg und vertritt die Interessen der Erzdiözese Freiburg und der Diözese Rottenburg-Stuttgart gegenüber der Landespolitik. (fxn)

2. Februar 2023, 14.15 Uhr: Ergänzt um Stellungnahme der Kirchen.