Taufen, beerdigen und Gemeinde leiten – als Frau in der Kirche

Schweizer Gemeindeleiterin: Glaube daran, dass sich etwas wandeln wird

Veröffentlicht am 01.09.2023 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Basel ‐ Dorothee Becker ist ausgebildete Pastoralreferentin und Gemeindeleiterin in Basel. Im Interview mit katholisch.de berichtet die 59-jährige Theologin von ihren Aufgaben in der Seelsorge und sagt, warum sie sich für die Ordination von Frauen zum sakramentalen Dienst einsetzt.

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Dorothee Becker ist Gemeindeleiterin der Pfarrei St. Franziskus in Riehen im Schweizer Kanton Basel. Die ausgebildete Pastoralreferentin stammt ursprünglich aus dem Erzbistum Köln. Nach dem Theologiestudium in Bonn wird Becker 2005 Pfarreiseelsorgerin in Basel. Seit kurzem ist sie nun auch Gemeindeleiterin in einer Kirchengemeinde dort. Im Interview mit katholisch.de berichtet die 59-jährige Theologin von ihren Aufgaben in der Seelsorge und warum sie sich für die Ordination von Frauen zum sakramentalen Dienst einsetzt.

Frage: Frau Becker, Sie sind Seelsorgerin und Gemeindeleiterin in Riehen in der Schweiz. Welche Aufgaben haben Sie konkret in der Gemeinde?

Becker: Ich bin in erster Linie Seelsorgerin und Ansprechperson für die Menschen in unserer Pfarrei. Das heißt, ich übernehme vor allem pastorale Aufgaben und begleite Menschen. Also, ich gestalte Kommunionfeiern, Taufen, Beerdigungen und ich mache Tauf- und Trauergespräche. Das gehört bei uns zu den Aufgaben als Gemeindeleiterin dazu. Diese seelsorglichen Aufgaben liegen mir sehr am Herzen und ich finde es sehr sinnvoll, dass ich das alles als Pfarreiseelsorgende selbst übernehmen kann. Denn gerade bei Taufen und Beerdigungen bin ich nah bei den Menschen und ihren Freuden und Nöten. Daneben erledige ich auch viele administrative Aufgaben und arbeite zusammen mit Gremien und Räten. Bei Anstellungs- und Finanzfragen unterstützen mich die Mitglieder des Pfarreirats. Zu meinem Team gehören noch der leitende Priester, zwei Sekretärinnen, eine Theologin, eine Sozialarbeiterin, ein Kirchenmusiker, eine Hauswartin und eine Sakristanin.

Frage: Das heißt Sie haben als Gemeindeleiterin in der Schweiz auch Priester, die Sie unterstützen?

Becker: Ja, der leitende Priester ist der Pastoralraumleiter, der mit mir vor allem in organisatorischen Fragen für die Pfarrei verantwortlich ist. Und dann gibt es zusätzlich einen mitarbeitenden Priester, der Jesuit ist. Dieser kommt regelmäßig zwei Mal im Monat am Wochenende zu uns in die Gemeinde, um mit uns Eucharistie zu feiern. Dieser Geistliche wird auch für die Beichte und die Krankensalbung angefragt. Für mich aber würde es manches vereinfachen, wenn ich die Krankensalbung selbst spenden könnte. Wenn ich Menschen beim Sterben begleite, muss ich meist noch einen Priester hinzuziehen. Ich finde, dieser Aufwand wäre nicht nötig, weil ich ja schon vor Ort bin und die Menschen besser kenne. Es geht mir darum, Beziehungen zu den Gläubigen aufzubauen, in ihren Sorgen und Nöten bei ihnen zu sein, nicht nur zuzuhören, sondern mitzufühlen, mitzuweinen und dann gemeinsam nach gangbaren Wegen zu suchen.

Frage: Sie taufen auch als Gemeindeleiterin?

Becker: Ja, als Gemeindeleiterin habe ich mit der "missio canonica", also der bischöflichen Beauftragung zu diesem Dienst, auch eine außerordentliche Beauftragung zur Taufspendung. Wir haben in der Regel feste Tauftermine. Meist sind das Sonntage. Ich mache auch die Taufgespräche: Ich besuche die Familie dann zu Hause und wir bereiten gemeinsam die Feier vor. Ich nehme schon wahr, dass die Menschen gerne annehmen, dass ich als Frau diesen Dienst übernehme.

Bild: ©kath.ch/Manuela Matt

Dorothee Becker steht als Gemeindeleiterin in ihrer Kirchengemeinde am Ambo. Sie trägt eine weiße Tunika mit einem grünen Stoffband.

Frage: Sie gehören zu den Mitgründerinnen der "Junia-Initiative" in der Schweiz. Warum engagieren Sie sich dort?

Becker: Wir Frauen von der "Junia-Initiative" setzen uns dafür ein, dass Frauen und Männer unabhängig von Geschlecht und Lebensform zum sakramentalen Dienst ordiniert werden. Es geht uns darum, die Zulassungsbedingungen zum priesterlichen Dienst zu verändern. Wir wollen Gleichberechtigung für Frauen und verheiratete Männer, die sich zum priesterlichen Dienst berufen fühlen. Es geht uns ein Stück weit darum, das Priesterbild zu verändern, zu erden und auch darum, dass der Klerikalismus, den auch Papst Franziskus immer wieder anprangert, abgeschafft wird, damit klerikaler Machtmissbrauch aufhört und die Überhöhung des Priesterstandes ein Ende hat. Gott ist in Christus Mensch geworden. Unterschiede des Geschlechts dürfen keine Rolle mehr spielen. Warum ist die Lebensform der Priester wichtiger als das Recht der Gläubigen auf Sakramentenspendung?.

Frage: Wollen Sie selbst Priesterin sein?

Becker: Jedem und jeder Getauften wird mit der Salbung mit Chrisam bei der Taufe die priesterliche Würde zugesprochen. Vor ein paar Jahren sprach ich mit einem Priesterkollegen über die Möglichkeit, Diakonin zu werden. Und dieser Kollege sagte mir etwas, was ich bis dahin nicht zu denken gewagt hatte: "Ich sehe dich als Priesterin." Dass er mir dies zugesprochen hat, war für mich ein Anstoß, mir über diese Form der Berufung, die ich tief in mir schon lange spürte, vertieft Gedanken zu machen. Und ja, ich glaube, dass wir alle, die wir in der Kirche mit den Menschen und für die Menschen arbeiten, einen priesterlichen Dienst versehen, Männer und Frauen. Da darf es keinen Unterschied mehr geben. Wir glauben an die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, nicht an seine Mann-Werdung. Die Berufung zu dem speziellen Dienst, Sakramente zu feiern, ist eine besondere Möglichkeit, Menschen erfahren zu lassen, dass Gott, der Mensch geworden ist, ihnen nahe ist, sie liebt und sie auf diese Weise stärkt.

Frage: Kommen eigentlich mehr Gläubige zu den Wortgottesfeiern oder mehr zu den Eucharistiefeiern?

Becker: Es ist ein Fakt, dass Eucharistiefeiern oft besser besucht sind als Wortgottesfeiern. Wiederum andere Leute kommen lieber oder nur zu mir in die Wortgottesfeiern. Bei uns in der Schweiz heißen sie übrigens Kommunionfeiern. In der Kommunionfeier werden die Hostien ausgeteilt, die zuvor in einer Eucharistiefeier vom Priester gewandelt worden sind. So verbinden wir uns in der Kommunionfeier mit den Menschen, die zuvor in unserer Kirche Eucharistie gefeiert haben und feiern Gemeinschaft miteinander. Wir haben seit kurzem in der Gemeinde auch eine Liturgiegruppe etabliert, die Gottesdienste mitgestaltet und zukünftig im Notfall auch Kommunionfeiern vorbereiten und leiten könnte.

Bild: ©kath.ch/Manuela Matt

Die Gemeindeleiterin Dorothee Becker holt bei der Kommunionfeier die vom Priester gewandelten Hostien aus dem Tabernakel.

Frage: Aufgefallen ist mir ein Bild von Ihnen an Fronleichnam. Dort sieht man Sie bei der Prozession unter dem Baldachin gehen und ein Evangeliar tragen. Gab es damals Reaktionen darauf?

Becker: Bei dieser Fronleichnamsprozession wurden bewusst außer dem Allerheiligsten verschiedene andere Symbole mitgetragen, die in unseren Kirchen und auch den nicht-katholischen eine große Rolle spielen: Also etwa das Kreuz, das Evangeliar und eine Ikone. So sollte der verbindende Charakter dieser Prozession deutlich werden. Die Prozession sollte nicht abgrenzend sein, sondern Brücken bauen zu den anderen Konfessionen. Dass ich das Evangeliar tragen durfte, hatte für mich persönlich eine besondere Bedeutung. Ich habe bei meiner Einsetzung als Gemeindeleiterin vom Vertreter des Bischofs ein Evangeliar überreicht bekommen mit dem Auftrag: "Verkünde das Evangelium!". Es gab tatsächlich kürzlich eine Reaktion aus der polnischen Gemeinschaft, die es als unpassend angesehen hat, dass ich damals das Evangeliar getragen und dann bei einer Statio auf dem Marktplatz daraus vorgelesen habe. Es hieß, das sei Aufgabe eines Priesters. Gleichzeitig gab es sogar mehr erfreuliche und positive Reaktionen dazu. Daran wird deutlich, an welch unterschiedlichen Momenten im Reformprozess die verschiedenen Ortskirchen stehen. Da können wir nur im Dialog miteinander unterwegs sein. Und vielleicht muss gar nicht alles mit derselben Geschwindigkeit passieren. Wichtig wäre, dass Veränderungen von den einzelnen Ortskirchen zu unterschiedlichen Zeitpunkten verwirklicht werden können.

Frage: Was ist der Grund, dass Sie sich noch für diese Kirche einsetzen, obwohl Frauen diskriminiert werden und Missbrauch an Menschen nach wie vor vertuscht wird?

Becker: Ich denke einfach, die Kirche hat so eine wertvolle und befreiende Botschaft von der Liebe Gottes. Es ist traurig und herzzerreißend, dass diese Botschaft durch diese furchtbaren Geschehnisse verdunkelt wird. Mir selbst gibt die Kirche trotzdem sehr viel Heimat. Dieses Gefühl möchte ich als Seelsorgerin auch andere spüren lassen. Das Licht hochzuhalten, den Glauben an das Gute weiterzugeben - das ist für mich die Motivation. Ich beginne jeden Tag mit einer Schriftbetrachtung. Das ist wichtig für meinen Glauben und für meine Arbeit. Ich glaube daran, dass sich etwas wandelt, wenn ich mich wandeln lasse. So wie wir bei jeder Eucharistiefeier Wandlung feiern und glauben, dass in der Hostie die ganze Kraft und die ganze Liebe Jesu verborgen ist. Das gibt mir Kraft und Hoffnung. Vieles hat sich schon zum Guten gewandelt und wird sich weiter wandeln. Fragen werden angesprochen, auch im synodalen Prozess, die bisher auf dieser Ebene kein Thema waren. Frauen werden stimmberechtigt sein an der Bischofssynode. Es wandelt sich etwas, es ändert sich etwas. Den Rest vertraue ich der Heiligen Geistkraft an.

Von Madeleine Spendier