
Der Tag beginnt: Es ist fünf nach sieben als die Augustiner Chorfrauen der Congregatio Mariae Virginis (Unserer Lieben Jungfrau) zum ersten Mal zum Gebet zusammen kommen - eine Stunde später als sonst. Denn heute ist Kirchweihfest, die Heilige Messe wird vom Morgen auf den Abend verschoben. Auf den Gängen und dem Platz vor dem Kloster ist es noch still, die 1.200 Schülerinnen und Schüler des zum Kloster gehörenden Gymnasiums kommen erst noch. Im Chorgestühl der Kirche wechseln sich derweil Gesang und Gebet ab.

Die Augustiner Chorfrauen leben seit 1931 in dem Haus an der Bardelebenstraße in Essen. Gebaut wurde es für rund 80 Schwestern, heute leben noch 13 dort. Der Altersdurchschnitt liegt bei 72 Jahren, erzählt Schwester Beate Brandt. Die 45-Jährige ist seit sechs Jahren Oberin der Kongregation. Das große Haus zu unterhalten, werde zunehmend schwieriger, erzählt sie. Sie sei froh, dass das Bistum Essen die Arbeit der Schwestern in der Schule unterstützt.

Der Tagesabaluf bei den Augustiner Chorfrauen ist klar geregelt: Die Schwestern folgen dem Rhythmus des Stundengebets. Der Tag beginnt mit der Laudes um 6.05 Uhr und endet mit der Komplet, dem Nachtgebet. Die Gebete strukturieren den Tag im Kloster. Am Vormittag und Nachmittag gehen die Schwestern ihren Aufgaben nach. Am Abend gibt es eine gemeinsame Erholungszeit, die aber abgesehen vom Mittwoch und Sonntag freiwillig ist. Dann erzählen die Schwestern, lesen, schauen gemeinsam einen Film oder spielen - das Gesellschaftspiel "Rummikub" stehe dabei am höchsten im Kurs, sagt Schwester Beate und lacht.

Der Arbeitsschwerpunkt der Schwestern liegt im Bildungsbereich. Seit zwei Jahren dürfen auch Jungen die B.M.V.-Schule Essen besuchen. "Viele Eltern freuen sich darüber", erzählt Schwester Beate, die selbst Mathematik und Chemie unterrichtet. 1.200 Kinder und Jugendliche werden nun am B.M.V. unterrichtet.

Schwester Beate war wie die meisten der heutigen Schwestern selbst Schülerin der B.M.V.-Schule Essen. Nach dem Abitur 1988 absolvierte sie zunächst eine Ausbildung zur Chemielaborantin. Obwohl sie in der 13. Klasse die Kar-und Ostertage im Kloster verbracht hatte - ein Angebot, das auch heute noch existiert - war ein Orden zunächst keine Option für sie. "Es war spannend, aber ich wollte nicht eintreten", sagt sie. Doch irgendwann merkte sie, dass etwas fehlte im Leben. Der Gedanke, dass das Klosterleben vielleicht doch das richtige für sie war, wollte nicht weggehen. Und so trat sie mit 24 Jahren schließlich in den Orden ein - bereut hat sie diesen Schritt bis heute nicht.

Zu den verschiedenen Aufgaben, denen die Schwestern neben dem Schuldienst nachgehen, gehört auch der Dienst an der Schulpforte. Den übernimmt seit 45 Jahren Schwester Aloisia Waczinski. Neben der Ausgabe von Klassenbüchern und Pflastern hilft sie auch bei der Suche nach velorenen Gegenständen weiter.

Neben Schwester Beate sind noch zwei weitere Schwestern an der Schule beschäftigt. Eine von ihnen ist Schwester Ulrike Michalski. Sie ist seit 1997 Schulleiterin und unterrichtet die Fächer Deutsch und katholische Religion. An zwei Tagen der Woche finden um 8.30 Uhr in der Klosterkirche Schulgottesdienste in Form von Eucharistiefeiern, Wortgottesdiensten oder ökumenischen Gottesdiensten statt. Einmal im Monat gibt es einen Gottesdienst für alle Schüler ab der siebten Klasse. Es gibt übrigens nicht nur katholische und evangelische Schüler am B.M.V., sondern auch muslimische; sie müssen sich allerdings für eine Form des Religionsunterrichts entscheiden.

"Omnibus prodesse, obesse nemini" - "Allen nützen, niemanden schaden" steht über den Toren der Schule. Es ist der Leitspruch Pierre Fouriers (1565-1640). Gemeinsam mit Alix Le Clerc gründete er 1597 die Kongregation der Chorfrauen Unserer Lieben Frau. Neben den Gelübden Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam verpflichten sich die Schwestern auch der Bildung der Jugend. Insgesamt gibt es in Deutschland drei Klöster: Neben dem in Essen noch die in Paderborn und Offenburg.

In der Küche des Klosters trifft man Erika Lenz. Seit 30 Jahren hilft sie bei den Augustiner Chorfrauen. Obwohl schon längst pensioniert, ist die 79-Jährige noch häufig zu Gast bei den Schwestern. "Das ist wie mein zweites Zuhause", sagt sie. Oft backt sie dann. Denn gerade zu Festtagen wie St. Martin oder Nikolaus bekommen auch die rund 100 Lehrer der Schule eine Kleinigkeit geschenkt.

Mit dabei ist auch Schwester Agnes Hendriks. Die 80-Jährige ist seit 1957 im Kloster - und nie um einen Spruch verlegen. Sie hilft in der Küche mit, kümmert sich beim Mittagsessen um Salat und Suppe. Frühstück und Abendbrot bereiten die Schwestern noch selbst zu, ihr Hauptgericht kommt aus dem benachbarten Alten- und Pflegeheim.

An diesem Tag gibt es Geschnetzeltes, Spätzle und Erbsen. Zur Feier des Tages gibt es auch einen Nachtisch: Eis. "Ein wahres Festmahl", sagt Schwester Dorothea Kuld und lächelt. Das ist übrigens auffällig bei den Augustiner Chorfrauen: Es geht stets herzlich zu, es wird viel gelacht und erzählt. Doch es gibt auch Momente der Ruhe: So wird vor dem Essen nicht gesprochen, erst nach dem Gebet beginnen die Schwestern zu erzählen.

Die kleine Kapelle verbirgt sich hinter einer unscheinbaren Holztür. Dort können die Schwestern auch außerhalb der Gebetszeiten Ruhe und Kraft tanken. Denn auch wenn nicht mehr viele Schwestern im Kloster leben - durch ihr Engagement an der Schule ist meistens etwas los. Einmal im Monat findet daher eine Konventsversammlung statt bei der über anstehende Projekte und grundsätzliche Entscheidungen beraten wird. Da teffen dann auch verschiedene Meinungen aufeinander. Aber Oberin Schwester Beate findet das nicht schlimm: "Wir sind Menschen, keine Heiligenfiguren", sagt sie.

... ist Schwester Katharina. 86 Jahre ist sie alt. "Ich bin 1950 direkt nach dem Abitur eingetreten", erzählt sie. "Ich fand dieses Leben einfach begehrenswert." Doch bis dahin war es nicht leicht: Der zweite Weltkrieg trennte sie von ihren Eltern, zurück in Essen half sie zunächst mit die zerstörte Schule wieder aufzubauen. Schicksalsschläge kennt Schwester Katharina: Als junge Frau erkrankte sie an Leukämie, am Tag ihrer Einkleidung starb ihre Mutter. Ihr Vertrauen in Gott verlor sie trotzdem nicht: "Ich habe es nie bereut, in den Orden eingetreten zu sein."

Die jüngste Schwester ist mit 31 Jahren Schwester Regina. 2003 hat sie ihr Abitur am B.M.V. gemacht, 2007 ging sie den Jakobwegs - und spürte den Ruf Gottes. 2009 trat sie schließlich ein, im Oktober legte sie ihre Ewige Profess ab. Ihr Entschluss sorgte nicht nur für Begeisterung, sondern auch für manche Probleme - zum Beispiel mit ihrer Familie. Das Klosterleben emfindet sie trotzdem als richtig: "Ich finde es faszinierend, dass man gemeinsam auf dem Weg zu Gott ist", sagt sie. Ihren Habit trägt sie im Übrigen fast die ganze Zeit. Nur wenn sie beim Arzt ist oder im Urlaub an Kletterfelsen hängt, legt sie ihn ab. Die junge Schwester empfindet es als schade, dass so viele Ordensgemeinschaften zivile Kleidung tragen. "Dann sieht man sie ja gar nicht mehr", sagt sie.

Der Habit hat bei den Augustiner Chorfrauen eine lange Tradition. Doch im Gegensatz zu früher tragen heute alle Schwestern die gleiche Kleidung - nämlich die der Chorfrau. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten gab es zwei weitere: die Kleidung der Laienschwester und die der Ausgehschwester. Ausgehschwestern waren häufig für Besorgungen zuständig, Laienschwestern für die körperlich anstrengenderen Aufgaben im Kloster. Der Habit der Chorfrauen in Essen wird auch heute noch selbst genäht, allerdings nicht mehr von der Schwestern, sondern von zwei Näherinnen.

Einen Ort, den Oberin Schwester Beate im Kloster besonders schätzt, ist der Garten. Ein kleiner Teich ist dort angelegt. Und obwohl der Sommer vorbei ist, blühen sogar vereinzelt noch Rosen. Wenn das Wetter schön ist, grillen die Schwestern dort auch. Einziger Makel sind die Stufen, die zum Garten hinunterführen. "Das schafft nicht mehr jede Schwester", sagt die Oberin. Allein gelassen wird trotzdem keine von ihnen: Angelika Bleser, die aufgrund einer Erkrankung gepflegt werden muss, wird von zwei Mitschwestern und einem professionellen Pflegedienst umsorgt.

Es ist Zeit für die Messe, die heute am Abend statt am Morgen stattfindet. Ein Priester ist gekommen, um den Gottesdienst zu halten: Dafür wird ein kleiner Altar in das Chorgestühl gerollt, an der Orgel spielt Schwester Dorothea Kuld. Die Atmosphäre ist feierlich. Als Messdienerin ist Katharina Welz dabei.

Die 24-Jährige ist - wie viele der anderen Schwestern auch - ehemalige Schülerin des Gymnasiums. Die Lehramtsstudentin hat ein festes Ziel vor Augen: "Nächstes Jahr im August will ich in den Orden eintreten." Schon mit 16 Jahren habe sie gespürt, dass das Kloster der richtige Ort für sie ist - auch, wenn sie damals noch nicht genau wusste, welches es genau sein soll. Für Oberin Schwester Beate ist das ein Grund zur Freude - denn Nachwuchs ist heute für ein Kloster nicht mehr selbstverständlich. Doch Angst hat sie vor der Zukunft nicht: Wenn es mit dem Kloster zu Ende gehe, sei das natürlich schade. "Aber dann sind wir nicht gescheitert. Wir leisten hier eine gute Arbeit."
Der Bildung verpflichtet
Augustiner Chorfrauen - Die B.M.V.-Schule Essen wird von den Augustiner Chorfrauen getragen. Ihr Kloster ist direkt neben dem Gymnasium. Katholisch.de war dort einen Tag zu Gast und durfte hinter die Klostermauern schauen.
Von Sophia Michalzik | Essen - 06.12.2016
Der Bildung verpflichtet
Essen, Stadtteil Holsterhausen. Die Bardelebenstraße macht einen Knick, genau dort, wo die B.M.V.-Schule Essen steht. Getragen wird das Gymnasium von den Augustiner Chorfrauen, die ihr Kloster direkt nebenan haben. Zum Auftakt des Jahres der Orden war katholisch.de einen Tag dort zu Gast und durfte hinter die Klostermauern schauen.