Christian Schmidtke über Ergebnisse der Studie "Wer wird Priester?"

Junger Priester: Wir sollten entrücktes Priesterbild endlich aufgeben

Veröffentlicht am 31.05.2024 um 00:01 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 

Hamm ‐ Sie sind mehrheitlich dem Synodalen Weg gegenüber skeptisch, wollen Liturgen sein – aber keine Manager: Das sagt eine neue Studie über junge Priester. Christian Schmidtke hat an ihr teilgenommen. Im katholisch.de-Interview erklärt er, warum er für ein anderes Priesterbild einstehen will.

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Eine Mehrheit der jungen Priester könne mit den Themen des Synodalen Wegs nicht viel anfangen, habe ein Selbstverständnis, das mit der modernen Gesellschaft fremdle, und hänge einem Berufsbild an, das mit der Realität zunehmend kollidiere: Das sind einige der Ergebnisse einer neuen Studie mit dem Titel "Wer wird Priester?". Christian Schmitdtke (37), Weihejahrgang 2018 und Pastor in zwei Pfarrverbänden im westfälischen Hamm (Erzbistum Paderborn), hat an der Studie teilgenommen – und sieht viele Dinge anders, als ein Großteil seiner gleichaltrigen Amtsbrüder das offenbar tut. Im Interview erklärt Schmidtke, der zunächst als Pfleger gearbeitet und dann als "Spätberufener" am Studienhaus St. Lambert in Lantershofen studiert hat, wie er auf die sich radikal verändernden Herausforderungen des Priesterberufs und seine Rolle in Kirche und Gesellschaft blickt.

Frage: Herr Schmidtke, die Studie sagt, jüngere Priester wollen Liturgen und Seelsorger sein und vor allem ihre Spiritualität leben. Wofür sind Sie Priester geworden?

Schmidtke: Sicherlich aus ähnlichen Beweggründen, aber nicht nur. Ich komme aus dem Pflegeberuf und konnte da schon viel Priesterliches tun. Irgendwann habe ich gemerkt, dass mich der Priesterberuf packen könnte, weil ich immer schon gerne in der Gemeinde aktiv war. Meine Hauptmotivation als Priester ist, der Kirche ein Gesicht zu geben. Nicht unbedingt der großen Institution, sondern der Gemeinschaft vor Ort.

Frage: Wie blicken Sie insgesamt auf die Ergebnisse der Studie? Decken die sich mit Ihrer Erfahrung?

Schmidtke: Wenn ich auf meinen Kollegenkreis schaue, kommt es mir schon so vor, dass es manchmal eine gewisse "Flucht" gibt. Klar kann man sagen, man will spirituell sein, man will Seelsorger und nicht Manager sein. Das klingt für mich manchmal aber eher wie eine Ausrede. Ich erlebe aber genauso Kollegen, die sich engagieren, die wirklich versuchen, nach vorne zu gehen. Die der Kirche ein positives Gesicht geben. Ich finde, es gibt wenige Berufe, die so viele Freiheiten bieten wie der des Priesters. Man kann sehr viel selbst gestalten. Darin liegt aber auch die große Gefahr, sich selbst in ein Nest zu packen. Und nur dort Präsenz zu zeigen, wo es eine Komfortzone gibt.

Frage: Was an der Studie beschäftigt Sie persönlich am meisten?

Schmidtke: Dass ich gefühlt einer der wenigen bin, der sich klar zum Synodalen Weg und seinen Forderungen bekennt. Mit einem Großteil des Klerus können wir offenbar nicht damit rechnen, dass es in der Kirche in Deutschland zu Veränderungen kommt. Ich fürchte, dass die Kluft zwischen Laien und Klerus und damit auch zwischen Kirche und Gesellschaft immer größer wird – und das halte ich für toxisch. Als Priester bin ich Teil dieser Gesellschaft und muss mich konstruktiv mit ihr auseinandersetzen. Manchmal nehme ich in Priesterkreisen einen gewissen Dualismus wahr: wir gegen die "böse Welt". Aber als Priester darf ich keine Weltflucht betreiben.

Ein Priester steht am Altar
Bild: ©Canva (Symbolbild)

Ein Großteil junger Priester steht Reformen in der Kirche, wie sie unter anderem der Synodalen Weg vorschlägt, skeptisch gegenüber. "Ich fürchte, dass die Kluft zwischen Laien und Klerus und damit auch zwischen Kirche und Gesellschaft immer größer wird – und das halte ich für toxisch", sagt Chrstian Schmidtke.

Frage: Junge Priester haben ein Selbstverstädnis, das mit der modernen Gesellschaft fremdelt – so hat Studienleiter Matthias Sellmann eines der zentralen Ergebnisse beschrieben. Aber sollen sie das nicht sogar?

Schmidtke: Nein. Ich glaube, ein Priester, der mit der modernen Gesellschaft fremdelt, ist in der Kirche falsch. Wir bekennen es offiziell seit dem Zweiten Vatikanum, dass die Kirche nicht außerhalb der Welt, sondern in der Welt ist. Unsere Botschaft ist zu gut, um sie unserer Gesellschaft vorzuenthalten. Sicher darf und soll man als Priester kritisch auf manche gesellschaftlichen Entwicklungen blicken. Doch dualistisch auf die Welt zu schauen, ist völlig fehl am Platz.

Frage: Im Prinzip sagt die Studie, dass mit Blick auf die künftige Situation der Kirche solche Priester werden, die dafür nicht unbedingt geeignet sind. Was glauben Sie: Wie viele aus Ihren Jahrgängen werden dem Priesteramt mit seinen Aufgaben überhaupt gewachsen sein?

Schmidtke: Eine schwierige Frage (lacht). Wenn Kollegen sagen, sie wollen Seelsorger und keine Manager sein, denke ich mir: Mit der Weihe weiß ich, dass ich irgendwann Leitungsfunktion übernehmen kann und soll. Natürlich hat jeder andere Talente und nicht jeder kann leiten. Das Hauptproblem ist, dass Managementaufgaben und die immer größeren Einheiten in der Ausbildung bisher kaum eine Rolle spielen. Was bedeutet es, in einer Struktur zu leben, in der Kirche abbricht, in der Gesellschaft überhaupt nicht mehr mit Kirche zusammenkommt? Da wird der Priester auf einmal in eine Art Mühlenrad gedrängt – und dafür wird er nicht vorbereitet. Deswegen stellt sich schon die Frage, ob manche Kollegen das durchhalten.

Frage: Sehen Sie bei sich da auch die Gefahr?

Schmidtke: Ich bin davon überzeugt, dass es auf eine gute Psychohygiene und ein klares Rollenbild ankommt. Was wird gefordert und wie kann ich gut darauf mit meinen Ressourcen antworten? Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, in die Leitung zu gehen. Dies muss ja auch nicht für den Rest meiner Berufszeit sein.

Frage: Kennen Sie schon konkrete Fälle aus Ihrem näheren Umfeld, wo junge Priester aufgegeben haben?

Schmidtke: Natürlich. Man ist ja nicht mehr schockiert, wenn Leute nach fünf oder sechs Jahren ihren Dienst beenden. Das ist nahezu ein Trend, der im Moment zu verzeichnen ist. Erst vor kurzem hat wieder ein Kollege aufgehört. Da habe ich mir gedacht: Meine Güte, der ist nur zwei Jahre länger im Dienst als ich. Irgendwann kommt es dazu, dass man sich ausgebrannt fühlt. Manchmal hat man den Eindruck, dass es den Priester heute nicht mehr braucht – und das ist für die eigene Motivation eher lähmend. Ich erlebe bei vielen jüngeren Priestern auch eine Art Wehmut, weil es die Volkskirche nicht mehr gibt, oder generell eine Sehnsucht nach dem Alten. Dann stellt sich die Frage, wofür wir Priester heute leben – und somit auch die Frage, wozu Prieser heute da sind, die der Synodalen Weg aus meiner Sicht berechtigterweise aufgeworfen hat.

Studie: Junge Priester bei Themen des Synodalen Wegs eher skeptisch

Wer wird heutzutage Priester – und warum? Und wie denken Nachwuchsgeistliche? Eine neue Studie im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz hat sich mit der Herkunft und Motivation junger Priester befasst. Nun wurde sie vorgestellt.

Frage: Und, wozu sind Priester heute da? Wie würden Sie das Amt in der heutigen Lage der Kirche verorten?

Schmidtke: Für mich ist es ein Dienstamt für und mit den Menschen. Das manchmal noch sehr entrückte Bild vom Priester sollten wir endlich hinter uns lassen. Als Priester haben wir eine Berechtigung, Dienst an den Menschen und mit den Menschen zu tun. Das ist eine andere Sicht, als wenn wir sagen, aus der Weihe heraus können wir den Himmel auf die Erde bringen. Das glaubt uns eh keiner mehr.

Frage: Was für ein Priestertum oder welche Art von Priester wünschen Sie sich dann?

Schmidtke: Priester, und vielleicht endlich auch Priesterinnen, die nicht weltfremd sind, die offen sind für die Bedürfnisse der heutigen Menschen, auch für ihre Brüche. Ich sehe immer wieder, wie heilsam es ist, wenn Leute auf einmal befreit erzählen können von ihrem Leben, von Dingen, die schieflaufen, von Beziehungen, die scheitern, und ich als Priester nicht mit dem moralischen Zeigefinger komme, sondern ein offenes Ohr habe. Einfach zu zeigen: Wir sind als Kirche für dich da. Und dann vielleicht auch Wege zu suchen, wenn etwas offiziell nicht geht, wenn etwa eine Ehe bei einem Paar nicht möglich ist. Der Synodale Weg hat uns da schon ein bisschen nach vorne gebracht. Wir sollten als Priester für die Menschen unterwegs sein, Netzwerke spinnen, und nicht in erster Linie nach der Erfüllung der eigenen Spiritualität suchen. Dann hätten wir lieber Eremiten werden sollen.

Frage: Jetzt kommen wir noch zum Thema Ausbildung. Die Studie sagt, sie vermittelt nicht immer das, was später von Priestern erwartet wird. Fühlen Sie sich auf künftige Aufgaben gut vorbereitet?

Schmidtke: Wir sind vielfältig gut ausgebildet, auch theologisch. Das kann man mit Gewissheit sagen. Was sicher fehlt, sind die Themen Management und Innovation. Klar, es gibt Fortbildungen, aber leider nicht in der Breite. Die Themen sind auch nicht jedem gleich gelegen. Aber sich zu überlegen: Wie können wir innovativ sein? Was können wir anders machen? Das würde vielen Kollegen guttun. Salopp gesagt: Priester können viel mehr bewirken als bloß die Sonntagsmesse zu halten. Da ist viel mehr drin, und dass müsste in der Ausbildung besser berücksichtigt werden.

„Wir sollten als Priester für die Menschen unterwegs sein, Netzwerke spinnen, und nicht in erster Linie nach der Erfüllung der eigenen Spiritualität suchen. Dann hätten wir lieber Eremiten werden sollen.“

—  Zitat: Christian Schmidtke

Frage: Was müsste sich aus Ihrer Sicht generell in der Ausbildung ändern?

Schmidtke: Das System Priesterseminar muss dringend reformiert werden. Das Seminar ist für mich eine lebensfremde Welt. Ich muss sagen, Gott sei Dank habe ich in Lantershofen studiert. Dort hatten zumindest alle schon mal einen Beruf. Diese Eins-zu-eins-Betreuung heutzutage in den Seminaren kann für jemanden, der mit 18 eintritt, eine Überforderung sein. Man steht ja quasi ständig unter Beobachtung, Wie sollen da reife Priestergestalten rauskommen? Natürlich liegt es auch an jedem Seminaristen selbst, sich zu entwickeln. Und doch sehe ich diese Gewächshaus-Mentalität, die es vielerorts nach wie vor in den Seminaren gibt, sehr kritisch. Nach der Ausbildung sitzt man auf einmal in einem Pfarrhaus und muss sich überlegen: Wie lebe ich denn jetzt? Ich glaube, die bisherigen Strukturen müssen aufgebrochen werden. Man sollte neue, individuellere Wege für Kandidaten ermöglichen. Sonst  bekommen wir Priester, die vielleicht ein schönes Vertiko zuhause stehen haben, auf dem das Brevier liegt – aber an den Herausforderungen des Berufes, die ja immer größer werden, scheitern und sich auf sich selbst zurückziehen.

Frage: Wenn wir jetzt an den Priestertypus denken, den die Studie herausgearbeitet hat: Wie wird sich die Kirche mit Priestern Ihrer Generation verändern?

Schmidtke: Ich frage mich, wie ein solcher Klerus, den die Studie beschreibt, mit der Kirche vor Ort überhaupt noch arbeiten soll. Wenn ein Priester nur seine eigenen spirituellen Orte als Erfüllung seines Lebens und Arbeitens sucht und nicht die Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der normalen Menschen von heute ernstnimmt, wird es noch mehr Menschen geben, die sagen, dass es keine Priester braucht.

Frage: Manche würden jetzt sagen: Wenn man sich Prognosen für die Zukunft anschaut, bleibt in der Kirche ohnehin nur der "heilige Rest" übrig. Da gäbe es wohl keine große Kluft zwischen Gläubigen und Priestern.

Schmidtke: Aber ist das nicht schade, wenn wir zu einer kleinen Sekte verkümmern? Das Ziel kann doch nicht sein, dass am Schluss nur noch die "echten" Frommen da sind, die sich dann glücklich schätzen, weil der Priester drei fromme Andachten mehr in der Woche feiert. Wenn so die Zukunft aussieht, ist das nicht meine Kirche. Ich möchte für eine Kirche einstehen, die versucht, trotz allem in der Mitte der Gesellschaft zu sein, auch wenn man mit ihr hadert. Ich möchte eine Kirche, die Gesellschaft aktiv gestalten will. Und ich erlebe es auch, dass es da, wo Menschen uns wirklich brauchen, viel Dankbarkeit gibt. Ich möchte nicht zu einer kleinen Gruppe gehören, die sich bloß auf den Himmel freut (lacht).

Von Matthias Altmann