Standpunkt

30 Jahre ohne Paragraf 175 – und ohne schwule Priesteramtskandidaten

Veröffentlicht am 11.06.2024 um 00:01 Uhr – Von Carina Adams – Lesedauer: 

Bonn ‐ Heute vor 30 Jahren wurde Paragraf 175 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Die Kirche aber, die vor der Abschaffung des Paragrafen gewarnt hatte, ist immer noch geprägt von einer diffusen Angst vor "zu viel Schwuchtelei", kritisiert Carina Adams.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Schwul sein, das ist was ganz Normales, lernt man spätestens seit Anfang des 21. Jahrhunderts in der Schule. Das lebt man vielleicht auch so. Was man nicht lernt: Noch die eigenen Eltern wuchsen in einem Deutschland auf, in dem "aktiven" homosexuellen Männern eine Gefängnisstrafe drohte. "175er" nannte man diese Fälle, nach dem Paragrafen, der heute vor 30 Jahren vollständig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde.

Die finale Bundestagsdebatte zeigte damals vor allem eines: Wie sehr die Kirchen mit einer diffusen Angst vor Homosexualität die tatsächlich auf sie zukommenden Problemfelder übersahen. Denn die evangelische und die katholische Kirche warnten im Vorhinein in einer Stellungnahme vor der Abschaffung des Paragrafen 175, da die Gefahr einer "Verführung zur Homosexualität" männlicher Jugendlicher bestünde.

Darauf antwortete der SPD-Abgeordnete Jürgen Meyer, indem er auf den verstärkten Schutz männlicher und weiblicher Jugendlicher durch eine Erneuerung von Paragraf 182 zum sexuellen Missbrauch von Jugendlichen verwies. Und darauf, dass auch eine Verschärfung von Paragraf 174 "den Schutz Jugendlicher vor sexuellen Übergriffen im Rahmen von Autoritätsverhältnissen" verbessern würde.

30 Jahre sexuelle Aufklärung und einige Missbrauchsgutachten später ist die Kirche immer noch geprägt von einer diffusen Angst vor "zu viel Schwuchtelei": Irgendwie gibt es Segnungen für sich liebende Paare – aber dann versteht kaum ein Mensch, wer oder was da jetzt wirklich gesegnet wird. Erst betont der Papst, er verurteile keine Homosexuellen – dann äußert er sich in höchst despektierlichen Worten.

Und auch wenn sich im Rahmen von #OutInChurch einige Kleriker in Deutschland zu ihrer Homosexualität bekannten, kann dieselbe Offenheit im Alltag noch heute zu einem Ausschluss aus dem Priesterseminar führen. Und dafür ist keine "aktive" Homosexualität, also ein Ausleben ebendieser, nötig, wie sie sogar Paragraf 175 voraussetzte. Dass hierdurch junge Menschen, die ihr Leben in den Dienst der Kirche stellen wollen, aufgrund von Ängsten basierend auf einem veralteten Biologieverständnis zurückgewiesen werden, das ist auch 2024 noch traurige Tatsache.

Von Carina Adams

Die Autorin

Carina Adams ist Redakteurin bei katholisch.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.