Regamy Thillainathan über Priesterstudie von zap und DBK

Kölner Regens: Junge Priester lassen sich nicht in Schubladen stecken

Veröffentlicht am 09.07.2024 um 00:01 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 

Köln ‐ Eine neue Studie blickt auf junge Geistliche und gibt Hinweise für die Priesterausbildung. Der Kölner Regens Regamy Thillainathan erklärt im katholisch.de-Interview, wie er Nachwuchspriester und Seminaristen erlebt – und inwiefern die Studienergebnisse für seine Arbeit nützlich sind.

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Die jüngst veröffentlichte Priesterstudie, die das Bochumer "Zentrum für angewandte Pastoralforschung" (zap) im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) erstellt hat, blickt auf Herkunft und Motivation junger Priester. Einige ihrer Ergebnisse: Nachwuchsgeistliche kommen aus dem austrocknenden volkskirchlichen Milieu und haben meist nur defensive Ideen für die Gestaltung der Gesellschaft. Dazu sieht zap-Chef und Studienleiter Matthias Sellmann Defizite in der Priesterausbildung im Blick auf die Management- und Organisationsaufgaben, die künftig verstärkt auf Priester zukommen werden. Wie blickt jemand, der Priester ausbildet, auf die Ergebnisse? Der Leiter des Kölner Priesterseminars, Regens Regamy Thillainathan, entdeckt in der Studie vieles, was er aus seinem Alltag kennt und sieht auch bei einigen Themen Handlungsbedarf. Auf manche Dinge hat er jedoch einen anderen Blick. Ein Interview.

Frage: Herr Thillainathan, die Macher der Studie sagen, Priester wollen vor allem Seelsorger und Liturgen sein, sehen sich aber nicht als Gestaltungskräfte für die modernde Gesellschaft. Wie ist es zu dem Ergebnis gekommen?

Thillainathan: Es hat sicher damit zu tun, dass wir uns als Kirche in der momentanen gesellschaftlichen Auseinandersetzung sehr oft in der Verteidigungsposition wiederfinden. Das erleben unsere Seminaristen auch, sobald sie jemandem erzählen, dass sie Priester werden wollen. Wenn dieses Grundgefühl herrscht, ist es meiner Ansicht nach verständlich, dass sie sich eben nicht als Gestaltungskräfte der modernen Gesellschaft sehen, sondern in einer defensiven Position. Die Studie hat Leute gefragt, die nach 2010 in den Dienst getreten sind. Damals wurde das Ausmaß der Missbrauchskrise erstmals deutlich. Seither haben sich die Situation und die Diskussion sicher verschärft. Ich versuche, das vor diesem Hintergrund zu verstehen.

Frage: Studienleiter Matthias Sellmann beklagt diesen "Rückzug" der jungen Priester. Sie auch?

Thillainathan: Dass die Befragten gerne Seelsorger und Liturgen sein wollen, finde ich zunächst einmal sehr gut, denn durch die Weihe sind sie ja genau zu diesem Dienst bestellt. Sie sollen auch Gestalter der Gesellschaft sein. Aber was ich den Seminaristen immer sage: Nicht nur sie sind berufen, in die Gesellschaft hineinzuwirken. Sicher ist es später als Priester ihre Aufgabe, allen Getauften und Gefirmten zu helfen, damit sie erkennen, dass sie in der Gesellschaft – geistlich gesprochen – Sauerteig sein sollen. Wenn wir etwa die politischen Entwicklungen in unserem Land betrachten: Da erwarte ich nicht nur von Priestern, sondern von jedem Christen, von jeder Christin, dass er oder sie sich klar positioniert. Sie alle gemeinsam sollen Gestaltungskräfte der Gesellschaft sein und nicht nur die, die die Kirche durch das Weiheamt besonders repräsentieren.

Frage: Inwiefern ist die Studie für Ihre Arbeit in der Priesterausbildung hilfreich?

Thillainathan: Das Positive ist, dass sie die Bedeutung einer ganzheitlichen Entwicklung der Priesteramtskandidaten herausstellt: Persönlichkeit und Spiritualität. Für mich gehört beides eng zusammen. Ich glaube, die Seminare sind gut aufgestellt, die jungen Männer theologisch und seelsorgerisch-praktisch auszubilden. Aber wir stellen fest, dass wir mehr in die Persönlichkeitsentwicklung investieren sollten. Und ich sehe wie Sellmann auch im Bereich des Organisatorischen oder der Leitung eine Lücke. Was in der Studie zudem durchscheint, habe ich in anderen Untersuchungen ebenfalls wahrgenommen: Viele jüngere Priester beklagen eine mangelnde Vorbereitung auf den Zölibat. Sie sagen generell, dass ihnen teilweise eine individuelle Begleitung gefehlt hat. Wenn es um eine ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung geht, kann das nur individuell geschehen. Deswegen müssen wir mehr als früher auf den einzelnen schauen.

junger und alter Priester von hinten fotografiert
Bild: ©Fotolia.com/peacepix (Symbolfoto) (Symbolbild)

Vielen jungen Priestern hätte in der Ausbildung eine individuelle Begleitung gefehlt, sagt Regens Regamy Thillainathan. "Wenn es um eine ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung geht, kann das nur individuell geschehen. Deswegen müssen wir mehr als früher auf den einzelnen schauen."

Frage: Gibt es auch Punkte, bei denen Sie kritisch auf die Ergebnisse der Studie blicken?

Thillainathan: Ich tue mich bei der Charakterisierung der Priester tatsächlich ein bisschen schwer mit dieser Zuordnung zwischen konservativ und liberal. Es wird in der Studie vorgelegt, nach welchen Kriterien man das vorgenommen hat; dabei wird vor allem der Lebensweg angeschaut. Ich würde junge Priester heute so charakterisieren: Sie kommen häufig aus gut funktionierenden Pfarreien und wollen diese Prägung erhalten und gestalten. Das sagt auch die Studie. Was ich aber feststelle: Sie stehen viel mehr für eine ganz bestimmte persönliche Erfahrung von Gott und der Kirche. Diese jüngeren Jahrgänge lassen sich nicht mehr so einfach in diese alten Schubladen konservativ-liberal einteilen.

Frage: Was heißt das?

Thillainathan: Vor 20 Jahren hätte man vielleicht noch von der Kleidung eines Priesters auf seine kirchenpolitische Einstellung schließen können. Heute geht das nicht mehr so ohne Weiteres: Da vermischen sich die Dimensionen. Liturgisch konservativ heißt nicht mehr unbedingt kirchenpolitisch konservativ und umgekehrt. Die jungen Priester und Priesteramtskandidaten haben eine klare Vorstellung davon, weswegen sie den Schritt ins Seminar gewagt haben und lassen sich weder von mir als Ausbilder noch von der Gesellschaft in solche Schubladen stecken.

Frage: Aber wenn es um die Einstellung geht, lässt sich mit der Studie schon eher eine konservative Grundhaltung bei der Mehrheit der jungen Priester feststellen, beispielsweise bei ihrer Sicht auf die Themen des Synodalen Wegs.

Thillainathan: Es ist schon eine gewisse Grundhaltung da, das stimmt. Aber dazu sagen die Kandidaten: Das ist das, wofür ich angetreten bin. Manche würden sich selbst gar nicht als konservativ bezeichnen, sondern als katholisch. Das habe ich schon in Diskussionen erlebt. Es gibt kaum noch Volkskirche. Das bedeutet auch: Wer heute ins Seminar eintritt, hat vielleicht noch mehr als in früheren Generationen bewusst an einem Punkt in seinem Leben eine Entscheidung getroffen, für die er bereit ist, sein Leben einzusetzen. Meiner Erfahrung nach haben die jüngeren Jahrgänge oft das Gefühl, dass gar nicht mehr auf die persönliche Einstellung geschaut wird, sondern alle mit einem Handstreich abgestempelt werden.

„Es ist schon eine gewisse Grundhaltung da, das stimmt. Aber dazu sagen die Kandidaten: Das ist das, wofür ich angetreten bin. Manche würden sich selbst gar nicht als konservativ bezeichnen, sondern als katholisch.“

—  Zitat: Regamy Thillainathan zur Einstellung von Priesterseminaristen

Frage: Blicken wir genauer auf das Milieu, aus dem junge Priester vorwiegend kommen. Die Macher der Studie sehen auch die Berufungspastoral gefordert, da es Priesterberufungen fast nur noch in den Konstellationen gibt, die demografisch, gesellschaftlich und innerkirchlich austrockneten: im klassischen katholischen und pfarrlichen Milieu. Aber wie erreicht man überhaupt potenzielle Kandidaten aus Milieus, die nicht kirchennah sind?

Thillainathan: Ja, dieses Milieu trocknet aus. Die meisten, die ich begleite, kommen aber gar nicht aus Familien, die den Glauben praktizieren. Dennoch bringen sie natürlich eine bestimmte Prägung mit. Interessant finde ich, dass die Studie zeigt, was junge Priester als Jugendliche gemacht haben. Da kommen oft ein Ehrenamt in der Gemeinde, Kontakt zu einem Seelsorger, Gebet und Gottesdienstbesuch vor. Das hat zunächst gar nichts mit der familiären Ebene zu tun. Da haben junge Menschen erfahren, dass das, was sie tun, sie erfüllt – und überzeugte Seelsorgerinnen oder Seelsorger kennengelernt. Ich glaube, wir haben eine Riesenchance, Menschen zu erreichen, auch ohne, dass wir die Ausrichtung unserer Berufungspastoral ändern müssen. Berufung geschieht nicht ohne Beziehung. In der Berufungspastoral im Erzbistum Köln versuchen wir das, was die Leute als religiöse Praktiken ausüben, mit einer Beziehungsebene zusammenzubringen.

Frage: Ein anderes Thema ist die Schicht, aus der Nachwuchspriester kommen. Priester stammen heutzutage vorwiegend aus eher gehobeneren Familien, sagt die Studie. Zudem gibt es kaum Priester aus Migrantenfamilien, was sich nicht mit der gemeindlichen Realität vielerorts in Deutschland deckt.

Thillainathan: Das macht mich auch sehr nachdenklich. Es ist vielleicht etwas verallgemeinernd, aber man hat manchmal den Eindruck, man gehört nicht ins Seminar, weil das schon eine geschlossene Welt, ein Mikrokosmos ist. Wo Menschen aus einer bestimmten Schicht zusammenkommen, sind natürlich auch die Gesprächsthemen dementsprechend. Im Erzbistum Köln versuchen wir das gerade mit den Wohngemeinschaften für Priesteramtskandidaten aufzubrechen, wo die Studenten mitten in der Welt mit anderen gemeinsam ihr Leben und ihren Alltag gestalten sollen. Ich würde zu meinen Kollegen in der Priesterausbildung sagen – und die haben alle ein Gespür dafür: Wir müssen viel mehr darüber nachdenken, wie die Seminare nicht nur Orte der Begegnung zwischen verschiedenen Persönlichkeiten werden, sondern auch zwischen verschiedenen Kulturen. Es sollte eine interkulturelle Ausrichtung der Seminare geben.

Frage: Wir haben jetzt über die Charakterisierung junger Priester und deren soziale Hintergründe gesprochen. Wie bilden Sie nun im Priesterseminar Männer aus, die den gesellschaftlichen und kirchlichen Umbrüchen gewachsen sind?

Thillainathan: Das fängt bei einem selbst an: Ich kann nur mit Umbrüchen umgehen, wenn ich dafür Resilienz entwickle. Wie gehe ich mit Stress um? Wie gehe ich mit Frustration um? Es hat aber auch mit meiner Beziehung zu Gott zu tun. Da versuchen wir, von Anfang an hinzuschauen. Wichtig ist dafür einerseits ein Fundament im Glauben, andererseits ein Netz von Beziehungen und Freundschaften. Wir raten ihnen auch immer, sich später als Priester Themenfeld zu bewahren, das nichts mit ihrer konkreten Arbeit in der Pfarrei zu tun hat, was ihnen aber ein persönliches Anliegen ist: ein Engagement im sozialen Bereich zum Beispiel.

Kölner Regens: Priestertum der Zukunft braucht Bindung an Gemeinschaft

Regamy Thillainathan ist der Leiter des größten deutschen Priesterseminars und will die jungen Männer immer wieder aus ihrer Komfortzone holen. Im katholisch.de-Interview spricht er über die Zukunft der Ausbildung, die umstrittene neue Theologie-Hochschule und die Diskussionen um Kardinal Woelki. (Interview vom Mai 2022)

Frage: Das ist die persönliche Ebene. Aber was ist mit der konkreten Herausforderung im Blick auf die Organisation? In Zeiten sinkender Katholikenzahlen und wachsender Strukturen werden Fragen des Managements für angehende Priester, die eine Pfarrei leiten sollen, immer wichtiger. Darauf rekurriert auch die Studie.

Thillainathan: Wir haben schon im Propädeutikum Veranstaltungen zum Selbst- und Zeitmanagement. Wir haben die Potentialstandortanalyse mit einem Pastoralpsychologen, wo es um folgende Fragen geht: Wie gelingt es mir, mein Alltag zu organisieren und mit anderen an Themen weiterzuarbeiten? Sie sprechen die großen Verbände an. Da geht es natürlich um Management; da geht es aber vor allem auch um Rollenfindung und Umgang mit Teams. Wenn ich nicht weiß, was meine Rolle ist oder mich in dem Team nicht zurechtfinde, werde ich nicht der Lage sein, Leitung zu übernehmen. Da versuchen wir, die Kandidaten zu unterstützen, ohne organisationspraktische Fragen auszublenden.

Frage: In einer Situation, in der die Zahl der Priester übersichtlicher geworden ist, werden sie besonders als Leitende Pfarrer gebraucht. In der Studie scheint durch, dass nicht unbedingt alle jungen Priester Ambitionen auf Leitungspositionen haben. Finden in der Kirche auch Priester noch ihren Platz, die nicht in der Lage sind, zu leiten?

Thillainathan: Das ist auch für mich eine offene Frage. Ich glaube, es geht nicht nur darum, auf die einzelnen Persönlichkeiten zu blicken. Auch als Kirche müssten wir schauen: Wie haben wir Leitung definiert? In welche Situationen werden Priester hineingestellt? Priestern, die heutzutage in eine Leitungsposition gehen, ist oft nicht klar, wohin sich die Gemeinden entwickeln sollen. Da gibt es für die aktuelle Situation zwar einen Plan, der kann aber in zehn Jahren ganz anders aussehen. Es gäbe da schon die Notwendigkeit einer Planbarkeit, auch wenn das Leben nicht bis ins letzte Detail durchplanbar ist.

Frage: Fassen wir zusammen: Die Studie sagt, viele angehende Priester bringen eine gewisse Prägung mit, die konkrete Situation in den Pfarreien wird sich in den kommenden Jahren aber deutlich verändern. Wie bereiten Sie junge Priesteramtskandidaten etwa auf eine säkularisierte Großstadt vor?

Thillainathan: Ein Beispiel: Unsere Kandidaten sind schon im Propädeutikum verpflichtet, ein Praktikum in der Diaspora zu machen. Sie müssen sechs bis acht Wochen in eine Stadt und dort in einer sozialen Einrichtung das geistliche Programm gestalten. Vor ein paar Monaten sind einige aus Kiel, Hannover und Hildesheim zurückgekehrt. Wir sehen das schon als gewisse Provokation an die Seminaristen, weil das genau ihre Erfahrung später als Priester sein kann, sich in einer Minderheitsposition wiederzufinden. Sehen sie darin eine Chance, zu gestalten? Oder ist ihnen das eine zu große Herausforderung? Die kommen von dort mit ganz anderen Erfahrungen wieder als in einem noch weitestgehend vollversorgten Volkskatholizismus. Das relativiert viele Fragen.

Von Matthias Altmann