Die Kirchen schrumpfen - aber nicht nur
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Die jüngsten Statistiken zur Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland hatten es in sich. Manches war unerwartet: So verlor die evangelische Kirche 2014 fast doppelt so viel Mitglieder wie die katholische – und das, obwohl es in ihren Reihen weibliche Pfarrer gibt, zweite oder dritte Ehen nicht verurteilt, Verhütung als Gottesgeschenk begrüßt wird, und auch homosexuelle Paare ihren Segen bekommen. Trotz aller Fortschritte verliert die "Kirche der Freiheit" viel mehr Mitglieder als die "rückständigere" römische Kirche.
Die zweite Überraschung: Der erhoffte "Franziskus-Effekt" blieb bislang aus. In den ersten beiden Jahren unter dem Papst aus Argentinien traten mehr als doppelt so viele Katholiken aus ihrer Kirche aus wie in den ersten beiden Jahren unter Papst Benedikt XVI. Ein Papstwechsel allein macht also wohl noch keinen Unterschied.
Eine positive Beobachtung der evangelischen Kirche: Die Zahl der Menschen, die eintreten oder zurückkehren, ist deutlich höher als auf katholischer Seite. Offenbar ist die Schwelle niedriger. Man tritt rasch aus, kommt aber auch leichter wieder zurück. Zudem scheint es einen Netto-Gewinn bei Konvertiten zu geben: Mehr Katholiken wechseln in eine EKD-Kirche als umgekehrt.
Vierte Überraschung: Auf katholischer Seite ist die Zahl der Gottesdienstbesucher erstmals seit Jahrzehnten nicht zurückgegangen, sie verharrt jetzt bei rund zehn Prozent. Und es gibt regionale Zuwächse bei den Katholikenzahlen. Die ereignen sich ausgerechnet in Metropolen, die sonst als kirchenfern gelten. So melden Hamburg, Berlin und Leipzig ein Katholikenplus - das freilich aufs Konto von katholischen Zuwanderern geht.
Womit wir zu einer der spannendsten Fragen beim Thema Kirchenstatistik kommen: Bis heute hat, soweit ich das sehe, noch niemand untersucht, in welchem Umfang eingewanderte Katholiken aus Süd- und Osteuropa die deutschen Kirchenbänke auffüllen. Auch der Sondereffekt der "Russlanddeutschen" auf EKD-Seite in den 1990er Jahren wäre noch umfassend zu untersuchen. Was in Nordamerika längst als Lebensader der Kirchen feststeht (der Zufluss von Latinos und Asiaten), ist in Deutschland noch weitgehend unerforscht. Schade eigentlich. Denn im Einwanderungsland Deutschland könnte die Kirche in Sachen Integration und Offenheit als "Einwanderungskirche" mit gutem Beispiel vorangehen.