Standpunkt

Trumps Begnadigungen fordern auch die Theologie heraus

Veröffentlicht am 28.01.2025 um 00:01 Uhr – Von Oliver Wintzek – Lesedauer: 

Bonn ‐ US-Präsident Donald Trump hat mit seinen ersten Amtshandlungen für Aufsehen gesorgt, besonders die Begnadigung von Aufständischen, die das Kapitol gestürmt hatten, rief Kritik hervor. Für Oliver Wintzek ist das auch eine Anfrage an die Theologie.

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Das Gospellied "Amazing Grace" hat seit geraumer Zeit einen festen Platz bei diversen gottesdienstlichen Feiern. Es besingt in einnehmender Weise die göttliche Gnade – immerhin ein Schlüsselbegriff christlicher Gottesrede, erschließt er doch das Gratisgeschenk göttlicher Zuwendung und Huld von der Wiege bis zur Bahre. Die theologische Subtilität des Textes ist überschaubar, der Entstehungs- und Verbreitungskontext ist indes bemerkenswert, da es um die Befreiung afroamerikanischer People of Color aus der Sklaverei in den USA ging. Die Befreiung Geknechteter markiert die Sinnspitze von Gnade, wo das Recht pervertiert wurde und wird.

Doch welche Perversion der Staunen machenden Gnade mussten wir in den vergangenen Tagen in den USA erleben: Die massenhafte Entlassung von (weißen) Verbrechern, die zu Recht wegen des Angriffs auf die Demokratie am 6. Januar 2021 verurteilt wurden, verdankt sich einer "Begnadigung". Ihr Protagonist übertrifft damit die "Logik des Schreckens" (Kurt Flasch), die die Gnadenlehre des Kirchenlehrers Augustinus in nicht unerheblichen Maße prägt. In nicht einsehbarer Weise und ohne Begründungsauskunft begnadet Gott hier nur einige Wenige wodurch das Gottesbild selbst als latent willkürlich verdunkelt ist.

Die willkürlichen Begnadigungen in den USA sind in ihrer Sinnspitze einsehbar: Es geht um eine gezielte Pervertierung der "normativen Grammatik der Weltgesellschaft", wie es die Politikwissenschaftlerin Tine Stein unlängst auf dem Katholisch-Theologischen Fakultätentag in Würzburg formulierte. Was hier unverhohlen aus den verlogenen Dunkelkammern heraus das Licht der Welt erblickt – "Rassismus ist jetzt Gerechtigkeit; Zensur Andersdenkender ist Meinungsfreiheit; Gewalt gegenüber Fremden ist christliche Nächstenliebe" (Hille Haker) – stellt einen Lackmustest für die gesellschaftliche Relevanz der Theologie dar.

Diese war in Würzburg zentrales Thema, da sie sich im freien Fall befindet. Wie sehr Theologie indes viral geht, machte Mariann Edgar Budde vor, die taffe Bischöfin von Washington – auch gegen gnadenlose Vereinnahmungen und verlogene Deutungshoheiten des Christlichen, bei denen es um mehr geht als die Perversion göttlicher Gnade. Es braucht deswegen (endlich) eine theologische Internationale wider den blasphemischen Rechtsautoritarismus. Das ist nicht nur von hoher gesellschaftlicher Relevanz, das ist notwendig.

Von Oliver Wintzek

Der Autor

Oliver Wintzek ist Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie an der Katholischen Hochschule in Mainz. Zugleich ist er als Kooperator an der Jesuitenkirche in Mannheim tätig.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.