Neun Punkte für die Spätphase des Franziskus-Pontifikats
Mit der Einlieferung des chronisch kranken Pontifex in die Gemelli-Klinik am 14. Februar hat augenscheinlich der letzte Abschnitt des Franziskus-Pontifikats begonnen. Falls es den Ärzten und ihrem Patienten gelingt, die akute Notlage zu überwinden, wird man im Vatikan in einigen Punkten an diese "klinische Phase" anknüpfen können:
1. Schluss mit der vatikanischen Behelfsmedizin
Die komplexen Atemwegserkrankungen des Papstes, die zu seinem längsten Krankenhausaufenthalt mit mehreren lebensbedrohlichen akuten Krisen geführt haben, sind offenbar auch ein Resultat einer wenig vorausschauenden Dauer-"Therapie" seiner chronischen Bronchitis mit hohen Cortison-Dosierungen. Diese wiederum haben das Immunsystem geschwächt und das Infektrisiko erhöht.
Wenn der Papst länger leben will, wird er sich auch nach der Rückkehr in den Vatikan in die Hände professioneller Mediziner begeben müssen. Dass er seit längerem keinen klassischen "Leibarzt" mehr hatte und die Kompetenz der Spitzenmediziner der Gemelli-Klinik immer dann in Anspruch nahm, wenn es schon fast zu spät war, hat sich nicht als der richtige Weg erwiesen.
2. Andere Wohnverhältnisse
Darüber, wie die Papst-Wohnung im Gästehaus Santa Marta nach den Bedürfnissen eines hochbetagten, gehbehinderten und stets infektionsgefährdeten alten Mannes mit wiederkehrenden schweren Atemwegserkrankungen umgebaut werden kann, spekulierten in diesen Wochen bereits italienische Medien. Allein die beiden häuslichen Stürze des vergangenen Jahres zeigen, dass nicht einfach alles beim Alten bleiben kann.
Es braucht eine Ausrüstung mit angemessener Medizintechnik in der Wohnung im vatikanischen Gästehaus. Ein Umbau der (leerstehenden) Papstwohnung im Apostolischen Palast wäre einfacher, entspricht aber vermutlich nicht dem Willen des Papstes, der weiter "unter Leuten" sein möchte.

Gottesdienst mit Papst Franziskus im September 2024 auf der Esplanade von Taci Tolu in Dili (Osttimor).
3. Keine großen Reisen mehr
Die extrem lange und strapaziöse Reise des Papstes nach Indonesien, Osttimor, Paua-Neuguinea und Singapur im vergangenen September war vermutlich die letzte dieser Art. Es ist nicht zu erwarten, dass die Ärzte noch einmal einer transkontinentalen Flugreise mit Zeit- und Klimaverschiebungen zustimmen. Das könnte auch das endgültige Aus der Reisepläne in seine argentinische Heimat bedeuten. Im besten Fall scheinen noch kurze Reisen wie die zum Konzilsjubiläum nach Nizäa in der Türkei möglich.
4. Reduzierung der Audienzen und Reden
Schon vor der Klinik-Einlieferung hat Papst Franziskus immer wieder lange Ansprachen und Predigten radikal gekürzt oder sie nur teilweise selbst vorgetragen, den Rest überließ er einem seiner Mitarbeiter zum Vorlesen. Dieser Mix dürfte auch nach einer Rückkehr des Papstes in den Vatikan wieder zur Anwendung kommen. Zugleich wird die Zahl der Begegnungen mit endlosem Händeschütteln und Umarmen vermutlich stark reduziert werden.
Dennoch wird er auf physische Präsenz nicht völlig verzichten können, weil sein Menschenfischer-Charisma ganz wesentlich auf seiner gewinnenden Persönlichkeit beruht. Damit unterscheidet er sich vor allem von seinem Vorgänger Benedikt XVI., aber auch von Johannes Paul II.
5. Franziskus als Alleinherrscher.
Anders als in der langen Spätphase des Pontifikats von Johannes Paul II. war in den ersten drei Klinikwochen nicht zu beobachten, dass er einigen wichtigen Mitarbeitern faktisch die Amtsführung bis hin zu Lehr- und Personalentscheidungen überlässt.
Weder hat er einen jahrzehntelang an seiner Seite herangewachsenen persönlichen Sekretär, wie dies in den Vorgängerpontifikaten Stanislaw Dziwisz und Georg Gänswein waren. Noch hat er seinem Kardinalstaatssekretär (Pietro Parolin) oder dem Glaubenspräfekten (Victor Fernandez) ähnlich große Freiräume zur Entfaltung ihrer eigenen Agenda gewährt, wie dies Johannes Paul II. mit den Kardinälen Angelo Sodano und Joseph Ratzinger geschehen ließ. Es hat sich gezeigt, dass er bei Personalentscheidungen und Gesetzesänderungen weiterhin die Fäden in der Hand halten will.
6. Personelle und strukturelle Neuerungen in der Pipeline
Schon in den ersten Wochen in der Klinik zeigte sich, dass Franziskus bei Personalentscheidungen und bei Reformprojekten aufgrund langjähriger Vorbereitungen noch einige Pfeile im Köcher hat. Das gilt vor allem für den Vatikanstaat und die Römische Kurie, die trotz der bereits im März 2022 abgeschlossenen Verfassungs-Reform ("Praedicate evangelium") in einige Bereichen noch immer nicht Tritt gefasst haben.
Verschärft wird die Problemlage durch die akute Finanznot des Apparats - weshalb der Papst selbst noch vom Krankenlager aus eine neue Kommission zur Spendeneinwerbung ins Leben rief. Ein Selbstläufer könnten hingegen die Veränderungen im Bistum Rom werden, wo er in den vergangenen drei Jahren fast die gesamte Führungsspitze ausgetauscht hat. Dass er sich auch im Bistum Rom weiter um Detailfragen selbst kümmern wird, ist eher unwahrscheinlich.

Blick in die Audienzhalle bei den Beratungen während der Weltsynode am 12. Oktober 2024 im Vatikan.
7. Die Weltsynode ist noch nicht fertig
Unabgeschlossene Projekte gibt es auch durch die Beschlüsse und Arbeitsgruppen der Weltsynode, die in disziplinarische, kirchenrechtliche und vielleicht auch dogmatische Veränderungen bzw. Neuformulierungen münden sollen. Die Schlüsselfiguren für derartige Projekte sind im kanonischen Bereich die beiden Kirchenrechts-Koryphäen, denen er vertraut: Kardinal Gianfranco Ghirlanda und Erzbischof Filippo Iannone.
Bei der Fortentwicklung der Lehre ist der dem Papst eng verbundene Glaubenspräfekt Fernandez der wichtigste Mann. Mit ihm pflegte der Papst seit dessen Beförderung in den Vatikan im September 2023 täglich zu speisen. Im Hintergrund werden aber auch die beiden eigentlichen Synoden-Köpfe, Kardinal Mario Grech und Kardinal Jean-Claude Hollerich, die Agenda der "synodalen Umwandlung" der Kirche vorantreiben.
8. International sind Parolin und Co. noch sichtbarer geworden
Wenn der Papst auch künftig nur noch sehr selten in anderen Ländern auftreten kann und auch seine Treffen mit Staats- und Regierungschefs im Vatikan reduzieren muss, werden Kardinal-Staatssekretär Pietro Parolin und Außenminister Paul Gallagher noch wichtiger als sie es ohnehin schon sind. Beide haben bereits in den vergangenen Jahren immer öfter bei Auslandreisen und Konferenzen prominente Rollen übernommen.
Als der Vatikan in der dritten Krankenhauswoche des Papstes mitteilte, Parolin habe den litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda "in Audienz empfangen", ließ das aufhorchen. Zwar hatte es auch in der Spätphase des Pontifikats von Johannes Paul II. im Jahr 2005 Staatsbesuche im Vatikan gegeben, die ohne den Papst stattfinden mussten. Doch damals lautete die Sprachregelung: "Der Präsident hat den Kardinalstaatssekretär (damals hieß er Angelo Sodano) besucht."
9. Das Kardinalskollegium wird sichtbarer und hörbarer
Zwar schlägt die große Stunde der Kardinäle erst beim Eintreten der Sedisvakanz. Doch auch in der Zeit der stark verringerten Papstpräsenz waren die Männer mit den roten Scheitelkappen schon erheblich sichtbarer: Mit Ausnahme des Heiligjahr-Beauftragten Rino Fisichella, der "nur" Erzbischof ist, waren es fast immer Kardinäle, die den Papst bei den wichtigen Heilig-Jahr-Gottesdiensten vertraten.
Dabei verlasen sie stets die vom Papst für diese Anlässe freigegeben Ansprachen und setzten keine eigenen inhaltlichen Akzente. Und es waren Kardinäle, die beim allabendlichen Rosenkranzgebet auf dem Petersplatz für den kranken Papst die Leitung übernahmen.