Theologe: Kirche ohne Innovation ist nicht Kirche Jesu Christi
Kirchliche Jugendarbeit, Ausbildung von Theologinnen und Theologen, Personalentwicklung und Medien- und Öffentlichkeitsarbeit: Georg Plank hat 25 Jahre lang in unterschiedlichen Leitungsfunktionen in der Diözese Graz-Seckau gearbeitet, bis er sich mit dem Projekt "Pastoralinnovation" selbsttändig gemacht hat. Im katholisch.de-Interview spricht der promovierte Theologe über die Notwendigkeit von Innovation und das falsche Verständnis von Tradition.
Frage: Herr Plank, warum braucht die Kirche denn überhaupt Innovation?
Plank: Weil sie sonst nicht die Kirche Jesu Christi ist. Jesus hat eine Bewegung losgetreten, die in seinem Geiste diese Welt mitgestalten will – mit den Füßen fest am Boden inmitten in dieser Welt und gleichzeitig in Verbindung zum Reich Gottes. Trinitarisch gesprochen: Wenn wir die Dimensionen Gottvater und Jesus Christus zu sehr betonen und den Geist dabei vergessen, tendieren wir zur Verhärtung und zur Überspitzung von Tradition. Es braucht das Fluide, das Chaotische und Lebendige des Heiligen Geistes als Gegenpol.
Frage: Aber die Tradition ist doch gerade eine besondere Stärke der katholischen Kirche. Ist es denn falsch, wenn man sagt, dass alles so bleiben sollte, wie es ist?
Plank: Ja. Das wäre ein bloßer Historismus, der nur eine bestimmte Phase einbetonieren will. Das widerspricht dem Geschichtsbegriff einer Offenbarungsreligion, wie das Christentum eine ist. Das, was sich uns von Gott beispielsweise in der Bibel, in Begegnungen, in der Liturgie oder in den Sakramenten erschließt, bedarf immer einer Vergegenwärtigung in die jeweilige Situation hinein. Die katholische Kirche hat die Tradition immer als den Grund begriffen, auf dem wir stehen, der aber immer wieder neue Begründung braucht.
Theologe, Sozialmanager, Innovator, Gründer: Georg Plank hat sich beruflich breit aufgestellt. 25 Jahre lang arbeitete er in verschiedenen Leitungsfunktionen in der österreichischen Diözese Graz-Seckau. 2014 gründete er dann die Initiative "Pastoralinnovation". Seither begleitet er als selbstständiger Unternehmensberater kirchliche Akteure bei Innovationsprozessen.
Frage: Was meinen Sie damit?
Plank: Tradition und Innovation brauchen einander. Die Innovation bewahrt traditionelle Menschen davor, sich zurückzuziehen und zu erstarren und die Tradition bewahrt die Innovation davor, einer Neuigkeitsgier zu verfallen, in der man Innovation um ihrer selbst willen vorantreibt und alles Alte abwertet.
Frage: Auf Ihrer Webseite schreiben Sie "Kirche innovieren – Gemeinden vitalisieren". Das klingt erstmal nach einem schönen und eingängigen Claim. Aber ist es so einfach, dass eine innovative Kirche plötzlich wieder scharenweise Menschen anzieht?
Plank: Wenn das einzige Motiv ist, scharenweise Menschen anzuziehen, liegt man schon falsch. Das sollte nicht das einzige quantitative Ziel sein. Die Erfahrung zeigt, dass sowohl im kirchlichen als auch im profanen Bereich der Fokus auf Qualität liegen sollte. Und das wirklich Gute wirkt dann oft auch anziehend.
Frage: Was bedeutet Qualität in diesem Zusammenhang?
Plank: Wenn jemand ein Produkt verkauft oder eine Dienstleistung anbietet, dann kann man fast immer genau definieren, was Qualität ausmacht. Das lässt sich auch auf die Gemeinde-Arbeit übertragen: Was macht die Qualität einer Erstkommunionvorbereitung aus? Wie sieht ein qualitativ hochwertiger Gebetskreis aus oder eine diakonische Aktion? Wenn man darüber mit Menschen aus der Gemeinde diskutiert, entstehen ganz schnell Ideen, wie unser Tun zu den Früchten führt, von denen Jesus spricht. Dann kann man den nächsten Schritt gehen.
„Wachstum um jeden Preis wäre ohnehin meist fragwürdig und nicht nachhaltig.“
Frage: Wie sieht der aus?
Plank: Überall in der Kirche gehen die Ressourcen zurück – personell wie finanziell. Wenn man sich auf Qualitätskriterien geeinigt hat, kann man die Hauptenergie darauf verwenden und sich auf die Ziele konzentrieren, die wirklich wichtig sind. Damit wird nicht direkt ein quantitativer Erfolg erzielt. Aber Wachstum um jeden Preis wäre ohnehin meist fragwürdig und nicht nachhaltig.
Frage: Das Ziel einer Gemeinde sollte also gar nicht sein, möglichst viele Menschen wieder in den Sonntagsgottesdienst zu bekommen?
Plank: Wir haben in den vergangenen Jahren mit über 70 Gemeinden im deutschsprachigen Raum gearbeitet. Dabei ist auch immer wieder diese Frage aufgekommen: Was können wir tun, damit wieder mehr vor allem junge Menschen in den Gottesdienst am Sonntag kommen? Ich stelle dann immer die Gegenfrage: Welcher Gemeindegottesdienst ist denn so, dass ich ihn meinem 24-jährigen Sohn ohne schlechtes Gewissen weiterempfehlen könnte und er daraus tatsächlich etwas mitnimmt? Es braucht also eine ehrliche Analyse von Aspekten im Gemeindegottesdienst, die zum Kirchbesuch motivieren und von solchen, die das Gegenteil bewirken. Dann bekommt man oft schon die ersten Ideen, was man besser machen könnte – manchmal auch ganz praktische Dinge, wie beispielsweise eine neue Soundanlage. Denn was hilft die geistvollste Botschaft oder begeisterndste Musik, wenn sie grauenvoll klingt?
Frage: Ein Problem bei Innovation ist oft, dass jede und jeder eine eigene Vorstellung davon hat, was Innovation bedeutet und wie die Veränderungen konkret aussehen müssten. Wie bekommt man das zusammen?
Plank: Das ist ja nichts Schlechtes, dass die Kirche so plural und vielgestaltig ist. Wir sind keine Fast-Food-Kette, in der eine Filiale wie die nächste aussieht. Das wäre ein Horror! Die Aufgabe besteht darin, bei aller Unterschiedlichkeit die gemeinsamen Prinzipien zu erkennen und sie dann im jeweiligen Kontext umzusetzen. Es gibt bestimmte Innovationsprinzipien, die für alle gelten, aber die müssen kontextualisiert werden. Gerade in Kirchen erleben wir eine große Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit. Das ist ein richtiges Hemmnis für Innovation, denn wenn man die Realität nicht wahrhaben will, kann man sich auch nicht verbessern. Das Problem ist nicht der aktuelle Zustand der Kirche, das Problem ist die Bereitschaft, sich auf dieser Basis kreativ und mutig für Veränderungen einzusetzen.
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Frage: Muss Innovation wehtun?
Plank: Schmerzen per se anzustreben und es nur gut zu finden, wenn ein Prozess wehtut, wäre der falsche Ansatz. Manchmal geht es leicht, aber meistens ist es Teil des Prozesses, dass es Rückschläge, Verwundungen und Enttäuschungen gibt. Manche Menschen fühlen sich schon dadurch herausgefordert, dass jemand etwas verändern will und fragen, ob die Arbeit vorher denn nicht gut gewesen sei. Das Ziel ist es, etwas, das gut lief, noch besser zu machen. Das kann aber auch befreiend sein.
Frage: Inwiefern?
Plank: Ein Beispiel: In einer Pfarrei haben wir den Fall erlebt, dass eine Lektorin ihren Dienst seit Jahrzehnten ausgeübt hat, es mittlerweile aber einfach schwierig war sie zu verstehen. Aber niemand hat sich getraut, ihr das zu sagen. Niemand wollte sie kränken. Ich habe dann dem Pfarrer empfohlen, das Gespräch mit der Person zu suchen – und eine Alternative im Hinterkopf zu haben, die für die Person in der jetzigen Situation vielleicht besser passt. Und die Frau war am Ende sogar selbst erleichtert, dass jemand das Problem anspricht. Sie hatte es nämlich nicht getan, weil sie die Sorge hatte, dass es keinen Nachfolger gibt und sie deswegen nicht aufhören kann.
Frage: Inwiefern kann Kirche im Bereich Innovation für andere gesellschaftliche Bereiche Vorbild sein oder werden?
Plank: Wenn jedes Jahr Hunderttausende die großen verfassten Kirchen im deutschsprachigen Raum verlassen, dann ist das erstmal ein Symptom einer jahrzehntelangen Entwicklung. Diese Entwicklung kann man durchaus mit dem Klimawandel vergleichen. Denn bei beiden Prozessen fehlen bislang tiefgehende Analysen und langfristige Konzepte, die wirklich nützen. Ein Problem sehe ich da, wo Kirchen – egal ob katholisch oder evangelisch – sich noch immer einbilden, sie hätten ein Monopol. Die Menschen haben heute genug Auswahl und sie sind klug genug, in aller Freiheit eine Entscheidung zu treffen, die für ihr Leben passt. Wenn wir dabei keine Rolle mehr spielen, müssen wir zuerst mal selbstkritisch fragen, warum das so ist und was wir ändern müssen, um glaubwürdiger zu werden. Hier können wir uns ein Beispiel an vielen kirchlichen Akteuren im Sozial-, Gesundheits- oder Bildungsbereich nehmen: Die mussten sich in der Vergangenheit damit auseinandersetzen, wie sie angesichts großer Herausforderungen zukunftsfähiger auftreten können, um auf dem Markt zu bestehen. Und viele haben das vorbildhaft geschafft.
