Marius Mull engagiert sich seit Jahren in der Kirche

Kraft aus dem Gebet, aber auch Einsamkeit: Leben als junger Gläubiger

Veröffentlicht am 02.06.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Köln ‐ Marius Mull ist 22 Jahre alt und steht fest im Glauben – in seinem Alter eher ein Einzelfall. Das sorgt in einer säkularer werdenden Gesellschaft für Reibung. Daneben musste er in seinem Leben bereits einige schwerwiegende Entscheidungen fällen.

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Als Marius Mull auf dem Fahrrad um die Ecke biegt, ist er gleich zu erkennen: Der hochgewachsene 22-Jährige fällt auf. Schnell ist das Fahrrad angeschlossen und der Transponder zwischen den Fingern. "Ich komme hier fast überall hin – nur für die Kirche habe ich keinen Schlüssel", sagt er, als er das Pfarrzentrum seiner Kölner Gemeinde aufschließt. Marius Mull kennt sich hier aus, geht hier ein und aus – in seinem Alter eine Ausnahme.

Eigentlich kommt er nicht aus einem religiösen Haushalt, erzählt er. Seine Eltern sind zwar getauft, mit der Kirche haben beide aber wenig zu tun. Ihr Kind ließen sie deshalb nicht taufen – Mull sollte sich selbst entscheiden. Das tat er auch, bereits als Grundschulkind. "Ich habe mich taufen lassen, weil ich zur Kommunion gehen wollte", erzählt er. "Mir hat die Gemeinschaft in der Kirche gefallen – zum Beispiel beim Schulgottesdienst."

Nach der Kommunion wird der Kontakt zur Kirche wieder loser – bis der Brief seiner Gemeinde im Briefkasten liegt: Die Einladung zur Firmung. Mit vorbereitender Katechese: "Das war für mich auf jeden Fall ein Anlass, mich nochmal mit meinem eigenen Glauben zu beschäftigen – und dann auch dranzubleiben", so Mull. Die Kirche bei ihm um die Ecke wird eine Art zweites Zuhause für ihn. "Wir sind hier eine sehr engagierte Gemeinde mit vielen Familien." Damit sticht der Kirchort auch in der Großpfarrei heraus. Viele Aktionen, viele Engagierte – Mull wird einer von ihnen.

Ein emotionaler Zugang zum Glauben

Der 22-Jährige hat in erster Linie einen sehr emotionalen Zugang zum Glauben. "Mir gibt der Glaube Kraft. Ich weiß gar nicht, wie genau – aber nach dem Beten geht es mir immer besser als vorher", sagt er. Er sei dadurch gelassener geworden. "Wenn etwas nicht funktioniert, dann klappt es vielleicht beim nächsten Mal." Besondere Kraft schöpft er etwa aus der Osternacht. "Hochfeste sind für mich Ankerpunkte, an denen sich der Glaube wieder neu verfestigt."

Eine große Erfahrung wird für ihn der Weltjugendtag in Lissabon 2023. "Da waren so viele andere Jugendliche, die zusammen ihren Glauben feiern wollten, ein Pilgerstrom über Stunden. Das war total beeindruckend." Er vergleicht das mit Demonstrationen, auf die er auch geht. "Aber da wurde nicht aggressiv für oder gegen etwas agitiert. Sondern da waren ganz viele Menschen, die ihren Glauben leben wollten wie ich." Was er damals nicht auf dem Schirm hat: Dass auch der Papst kommt. "Ich hatte keine klassische religiöse Erziehung und wusste nicht, dass der Papst dazu einlädt. Da war ich am Ende umso überraschter." Was ihn an diesen Tagen sehr beeindruckt: die Priester. "Da war ich schon so weit, dass ich auch Priester werden wollte – denn die fand ich gut."

Er entscheidet sich dann, Theologie zu studieren – fällt damit aber auch eine weitere Entscheidung. "Mir wurde immer wieder gesagt: Du wirst sicher mal ein guter Vater. Das hat mich zum Nachdenken gebracht." Vor allem über das Thema Familie. "Mir ist Familie wichtig. Mir ist die Ehe wichtig, auch die katholische. Ich will mal selbst Kinder haben." Er entscheidet sich also gegen das Priesterseminar – aber auch Pastoralreferent ist nichts für ihn. "Alle Pastoralreferenten, die ich kenne, arbeiten von morgens früh bis abends spät, alles ist durchorganisiert. So viel Organisationsvermögen habe ich nicht." Auch eine Arbeit als Lehrer an der Schule kann er sich nicht vorstellen.

Eine Weihe
Bild: ©picture alliance / Godong | P Deliss / Godong

Priester möchte Marius Mull nicht werden.

Ein junger Mann, der weder Priester noch Kirchenangestellter werden will. Bei der sowieso schon sehr kleinen Grundgesamtheit der Theologiestudierenden bedeutet das eine konstante Drucksituation. "Da kommen schon immer wieder Leute auf mich zu und fragen, was ich denn mit dem Studium mal machen will. Ich fühle mich da immer wieder eingekeilt." Die Kirche sucht händeringend nach Leuten, das spürt er am eigenen Körper. Ein Job bei der Kirche wird es wohl am Ende aber nicht. "Ich habe mir dieses Studium ausgesucht, weil mich das Thema interessiert hat – nicht, weil das für mich eine Job-Option ist." Einen Abschluss wird er noch machen, sich dann aber nochmal umorientieren. "Wohin, das weiß ich noch nicht."

Gleichzeitig habe das Studium an sich seinen Glauben aber vertieft. "Es macht was mit einem, wenn man sich mit diesen Themen jeden Tag beschäftigt. Dann bereitet man Angebote oder Andachten ganz anders vor." In diese Situation kommt er oft: Er ist im Pfarrgemeinderat, organisiert etwa Lobpreisabende und jobbt neben seinem Studium bei der Studentengemeinde und im jugendpastoralen Zentrum Kölns. "Den Glauben zu vertiefen und dabei neue Erfahrungen zu machen lässt mich an diese Aufgaben immer wieder neu herangehen."

Seine Kenntnisse wendet er regelmäßig für seine Ehrenämter an. Einer der Highlights in seiner Gemeinde ist die jährliche Ausstellung zur Fastenzeit in der Kirche. Jedes Jahr geht es um ein anderes Thema aus Glaube und Bibel. In diesem Jahr ging es beispielsweise um die Psalmen. "Wir wollten erkunden, welche Rolle sie im Glaubensleben von heute spielen", sagt er. Daneben spielt für Mull auch die Musik eine große Rolle, vor allem Lobpreislieder. "Die geben mir sehr viel, deshalb möchte ich das weitergeben." Er gehört zu einem Initiativkreis, der einen Lobpreisabend mit vorbereitet hat: Mit Band und besonderer Illumination in der Kirche. Daneben bereitet er besondere Messen vor und organisiert Konzerte.

Eine Flucht vor der Institution

Sein Engagement ist für ihn auch eine Flucht vor der Institution Kirche. "Die Kirche ist oft sehr weit weg von den Menschen, bewegt sich kaum und redet an den Leuten vorbei." Das fällt ihm etwa bei Hirtenworten auf. "Das interessiert hier niemanden." Er will den Glauben wieder zu den Menschen bringen. Allerdings sind ihm Gruppen mit ähnlichen Zielen, etwa charismatische Gemeinschaften, ebenso suspekt. "Man kann immer noch charismatischer sein. Da verbohrt man sich schnell und schließt dadurch die anderen aus", sagt er. Auch mit Kirchenpolitik beschäftigt er sich nicht. "Für mich steht der Glaube im Zentrum, besondere Erfahrungen. Den Rest klammere ich aus." Obwohl es schon Dinge gibt, die ihn stören: "Ich nehme schon wahr, dass sich Frauen ausgegrenzt fühlen, weil sie keine Priesterinnen werden dürfen. Auch als Mann sollte man sich mit ihnen zusammenstellen und ihre Emotionen und Anfragen an das katholische Amtsverständnis nicht einfach abtun."

Er konzentriert sich darauf, was ihm Kraft gibt. "Großevents sind für mich sehr wertvoll. Da lade ich meine Kraft aus dem Glauben wieder auf." Deshalb arbeitet er daran auch selbst mit. Allerdings merkt er auch, dass es schwierig ist, Menschen in seinem Alter für Glaubensthemen zu begeistern. "Die Leute haben viel zu tun. Da fällt der Glaube auch mal unter den Tisch." Das merkt er auch im Alltag: Da er noch in der Gemeinde wohnt, in der er aufgewachsen ist, hat er zwei unterschiedliche Freundeskreise. Einen mit alten Freunden, die sich mehr und mehr von der Kirche entfernen – und einen mit religiösen Menschen, die er durch sein Studium und sein Engagement kennenlernt. "Natürlich fällt es mir leichter, mich mit religiösen Leuten zu unterhalten, weil wir schneller auf eine Ebene kommen. Das ist aber auch keine Herausforderung. Ich möchte aber Herausforderungen." Seine Freunde missioniert er dennoch nicht. "Ein Freund ist mal mit mir in die Kirche gegangen. Sein Eindruck war so negativ, dass er danach nie mehr gehen wollte." Für ihn persönlich kein Problem. "Über den eigenen Glauben entscheidet jeder selbst. Da mische ich mich nicht ein."

Was er aber schon merkt: Manchmal ist es etwas einsam in der Kirche, als religiöser Mensch Anfang zwanzig. Pastorale Angebote gibt es kaum. Nach dem Schulalter werden die Gläubigen erst wieder bei ihrer Hochzeit oder der Taufe der Kinder von der Territorialseelsorge erfasst. "Ich bin schon oft allein", sagt Mull. Doch das hält ihn nicht davon ab, es immer wieder zu versuchen. "Zu erfahren, wie Ideen ankommen oder eben nicht, erdet. Und dann machst man halt nächstes Mal etwas anderes." Da schließt Marius Mull auch schon wieder sein Fahrrad auf. Die nächste Aufgabe wartet. So schnell, wie er gekommen ist, ist er auch wieder verschwunden. Dieses Mal in die andere Richtung.

Von Christoph Paul Hartmann