Die Theologin hat sich im Freiburger Priesterseminar beworben

Es dauerte, bis Stephanie Gans zugab: "Ich bin zur Priesterin berufen"

Veröffentlicht am 06.06.2025 um 00:01 Uhr – Von Beate Kampen – Lesedauer: 

Freiburg/Bonn ‐ Stephanie Gans will in der katholischen Kirche Priesterin werden. Mit einer besonderen Aktion hat die Freiburger Theologin auf die Berufung von Frauen aufmerksam gemacht. Doch bis sie sich selbst ihre Berufung eingestand, war es ein langer Weg.

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Jahrelang stellt sich Stephanie Gans einer Frage nicht – aus  Angst vor der Antwort. "Ich kenne viele Leidensgeschichten von berufenen Frauen, die ihren sehnlichen Wunsch nicht ausleben dürfen." So voller Schmerz und Traurigkeit will die 27-Jährige nicht durchs Leben gehen – und trifft eine Entscheidung. Die Frage, ob sie Priesterin werden möchte oder nicht, stellt sie sich nicht. Doch irgendwann bemerkte sie: "Diesen Plan habe ich ohne Gott gemacht". Am 22. Mai gibt Gans zusammen mit acht weiteren Frauen ihre Bewerbung für das Priesterseminar ab.

Aufgewachsen ist die Frau mit den langen, braunen Haaren, durch die sei beim Erzählen gerne mit der Hand streift, im Bistum Speyer. In ihrem Heimatdorf hat sie das kirchliche Ehrenamt einmal durchgespielt, wie sie erzählt. "Ich war Ministrantin, Oberministrantin und Katechetin." Nach der Realschule setzt sie ihren Weg auf der kirchlichen Karriereleiter fort. Sie macht Abitur und schreibt sich im Oktober 2019 an der Universität Freiburg ein – mit dem Ziel, Pastoralreferentin zu werden. "Erst im Studium habe ich gemerkt, wie sehr die Kirche diskriminiert und Menschen ausschließt", erinnert sie sich. Dass nur Männer zur Priesterweihe zugelassen werden, dass die Liebe von queeren Menschen Sünde ist – das passt nicht zu ihrem Gottesbild. "Für mich ist es eigentlich nicht tragbar, Teil einer solchen Institution zu sein", gibt sie zu. Und doch bleibt sie. 

Fünf Frauen halten ein Plakat mit der Aufschrift "Mein Gott diskriminiert nicht"
Bild: ©Instagram/meingottdiskriminiertnicht (Archivbild)

Stephanie Gans hat sich während ihres Studiums der Initiative "Mein Gott diskriminiert nicht – meine Kirche schon" angeschlossen.

In den sechs Jahren Theologiestudium beschäftigt sie sich immer wieder mit den Themen, an denen sie sich in der Kirche stört. Sie findet heraus, wie die Kirche das Weiheverbot von Frauen oder die Ablehnung queerer Beziehungen begründet. Sie lernt, wie sie Bibelstellen auch anders auslegen kann.  

Alle paar Jahre nimmt sich Gans Zeit, um bei Exerzitien ihren Alltag zu verlassen und Ruhe zu finden. So auch im April 2023, als sie schweigend eine Woche in Zinnowitz an der Ostsee verbringt. Die Stille macht etwas mit ihr. "Ich habe dort auf mein Leben geschaut und die Puzzleteile haben sich zusammenlegt", erzählt sie. Fragen wie "Woher bekomme ich Kraft? Was sind meine Kompetenzen?" werden lauter und Gans wird ihre Sehnsucht auf einmal bewusster denn je: "Da ist ein Wunsch in mir, Priesterin zu werden", gesteht sie sich ein. Anders als erwartet, löst diese Erkenntnis aber kein Schmerz in ihr aus. "Plötzlich war da eine Leichtigkeit und ganz viel Frieden", beschreibt sie den Moment.

Doch was bedeutet Berufung

Man merkt, dass Gans diese Geschichte nicht zum ersten Mal erzählt. Ihre Worte sind genau gewählt. Lange hat sie sich damit beschäftigt, wie sie anderen von ihrer Berufungsgeschichte erzählen kann. Denn mit einem essenziellen Begriff hadert sie: Das Wort Berufung findet sie unpassend. Denn die Vorstellung, dass man von Gott berufen wird, ist ihr zu einschränkend. "Ich kann mit der Annahme mitgehen, dass Gott Kompetenzen und Fähigkeiten in uns hineingelegt hat", so Gans. "Trotzdem müssen wir Menschen aktiv werden und selbst entscheiden, was wir in unserem Leben wollen." Priester als allein von Gott ausgewählt zu sehen, ist für sie ein Einfallstor für Machtmissbrauch.

Ihre Übersetzung der Frage "Wozu bin ich berufen" lautet "Wo merke ich, dass das Leben leicht geht und es einfach passt?". Solche Momente hat die 27-Jährige beispielsweise in ihrem Gemeindepraktikum, wo sie Segensgottesdienste feiert und sich um die Anliegen der Menschen kümmert. "Die Aufgaben fielen mir leicht und ich fand die richtigen Worte in den passenden Momenten", blickt sie zurück. Sie ist sich sicher: Menschen in schönen und in schwierigen Momenten wie Taufe, Schuld und Ehe zu begleiten, das ist ihre Sehnsucht. Und in genau diesen Momenten möchte sie als Pastoralreferentin nicht sagen müssen: "Jetzt brauchen wir noch einen Mann, um die Sakramente zu spenden."

„Wenn die Kirche ernsthaft aufarbeiten möchte, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist, dann muss sie das Amtsverständnis von Priestern überarbeiten.“

—  Zitat: Stephanie Gans

Es gibt aber auch Dinge, die Gans am Priestertum und dem Menschen- und Gottesbild dahinter stören. "Wenn die Kirche ernsthaft aufarbeiten möchte, was in der Vergangenheit falsch gelaufen ist, dann muss sie das Amtsverständnis von Priestern überarbeiten", sagt sie. Dass ein bestimmter geweihter Personenkreis mit dem Spenden von Sakramenten beauftragt ist, hält sie grundsätzlich für sinnvoll. Aber angesichts des Machtgefälles von Priestern gegenüber anderen Seelsorgern und der Überhöhung ihres Amtes brauche es ein neues Amtsverständnis, wie es der Synodale Weg fordert. "Allein eine Öffnung des Amtes für Frauen reicht nicht aus", so Gans.

Doch trotz allem ist da der Wunsch, Priesterin zu werden. Nach den Exerzitien und zurück in Freiburg wendet sich die damals 25-Jährige an ein katholisches Frauennetzwerk, in dem sie schon länger Mitglied ist. Dort erlebt sie einen Safe Space, wie sie sagt. Mit den anderen Frauen kann sie ihre Berufungsgeschichte teilen, ohne in eine Verteidigungsrolle schlüpfen zu müssen. Und sie bemerkt: Das Sprechen darüber gibt ihr Kraft. Niemand spricht ihre Berufung ab. So traut sie sich, auch öffentlich darüber zu sprechen, erzählt in Diskussionen und bei einer Predigt am Tag der Diakonin über ihre Sehnsucht. 

Der bisherige Höhepunkt ihres Aktivismus

Am 22. Mai kommt es dann zum bisherigen Höhepunkt ihres Aktivismus für die Frauenweihe. Ein prallgefüllter A4-Umschlag fällt durch das Postfach des Freiburger Priesterseminars. Darin: Neun Motivationsschreiben, ein Teil der Bewerbung fürs Priesterseminar. Die Bewerbungen stammen von Freiburger Theologiestudentinnen bzw. -absolventinnen. Sie alle gehören zur Initiative "Mein Gott diskriminiert nicht", die 2020 von Freiburger Theologinnen gegründet wurde.

Gans bereitet die Aktion federführend mit vor. Es sei gar nicht so einfach gewesen, Mitstreiterinnen zu finden, erzählt sie. Viele Frauen zögern aus Angst vor beruflichen Konsequenzen. Denn sie wollen noch für die Kirche arbeiten. Vier Frauen reichen deswegen ihre Bewerbung nur anonym ein. Gans schreibt bewusst ihren Namen auf das Blatt. "Mein zukünftiger Arbeitsgeber soll wissen, wen er da bekommt", sagt die Studentin. Die Resonanz auf die Bewerbungen ist deutlich größer, als die Gruppe um Gans erwartet. Über 430.000 Menschen sehen das Video der Bewerbungsabgabe auf Instagram. "So viele haben uns für unseren Mut gedankt, diesen Schritt zugehen", erzählt sie. All das lässt sie über Nachrichten wie "Spart euch eure Energie fürs Kinderkriegen" wegsehen, die sie auch bekommt.

Weihbischof Christian Würtz mit Stephanie Gans, Lisa Baumeister und Vera Fath
Bild: ©KNA/Volker Hasenauer (Archivbild)

Christian Würtz, Weihbischof und Leiter des Priesterseminars in Freiburg, mit Stephanie Gans, Lisa Baumeister und Vera Fath, Theologinnen, die sich als Priesteramtskandidatinnen beworben haben, am 2. Juni 2025 in Freiburg.

Der Leiter des Priesterseminars, Weihbischof Christian Würtz, hat die neun Frauen als Reaktion auf die Bewerbung zum Gespräch eingeladen. In einem geschützten Rahmen haben sie alle, auch der Bischof, von ihren Berufungsgeschichten erzählt. Würtz habe ihr aufmerksam zugehört und konnte vor allem das Ringen um die eigene Berufung gut verstehen. "Es war wirklich kein Runterbügeln, sondern ein ehrliches Zuhören", erzählt Gans. Nach dem Gespräch ist sie hoffnungsvoll gestimmt. "Ich nehme ihm das wirklich ab, dass er unsere Geschichten weitererzählt", sagt Gans.

Das nächste Ziel der Gruppe ist, den Austausch zwischen Theologinnen und Seminaristen zu fördern. Dafür ist auch schon ein nächstes Treffen mit dem Seminarleiter geplant. Sie selbst, will weiter über ihre Sehnsucht, Priesterin zu werden, sprechen. "Und wer weiß, was der Leo in Rom noch so entscheiden wird", sagt sie lachend, als würde sie eigentlich keine Veränderungen erwarten.

Von Beate Kampen