Wegen des Zölibats – späte Entscheidung für das Priestertum
Der 63-jährige Harald Stehle ist "Priester mit Zivilberuf". Das heißt, er arbeitet hauptberuflich als Religions- und Geschichtslehrer am Bischof-Sproll-Bildungszentrum in Biberach-Rißegg. Gleichzeitig ist er Vikar in der Gesamtkirchengemeinde in Biberach. Um Priester werden zu können, wollte er seinen Lehrerberuf, den er gerne mag, "nicht einfach so aufgeben", berichtet Stehle. Die Entscheidung dazu traf der Theologe erst spät in seinem Leben. Obwohl er schon als Kind gerne "Messe spielte". Seine Mutter war Schneiderin und nähte ihm einmal sogar ein "Messgewand", erinnert sich Stehle. "Meine Familie musste sich dann immer meine Predigten anhören", lacht Stehle, der in Gammertingen auf der Schwäbischen Alb mit zwei Brüdern aufgewachsen ist. Seine Mutter hätte ihn bestimmt gerne einmal als Priester gesehen und ihn auf diesem Weg begleitet, ist sich Stehle sicher. Doch seine Mutter starb, als er 18 Jahre alt war. Damals bereitete er sich gerade auf das Abitur vor. Zu der Zeit war er in der Kirchengemeinde sehr engagiert, half als Küster aus, war Organist und ministrierte in den Gottesdiensten. Daher "war ihm irgendwie klar", dass er später einmal Theologie studieren möchte. Sein Heimatpfarrer ermutigte ihn dazu, Priester zu werden, erinnert sich der 63-Jährige.
Dann beginnt Harald Stehle nach seinem Abitur in Freiburg Theologie zu studieren und zieht "kurzzeitig", wie er erzählt, als Priesteramtskandidat ins Priesterkonvikt. Doch dann zögert er. "Wegen des Zölibats habe ich die Entscheidung, Priester zu werden, erst mal nach hinten geschoben", gibt der 63-Jährige zu. Damals wechselt er nach Münster in Westfalen und studiert dort zusätzlich zur Theologie auch die Fächer Geschichte und Pädagogik auf Lehramt. Nach dem Studium und seinem Referendariat beginnt er für eine kurze Zeit als Privatlehrer in Brüssel zu arbeiten. Danach ist er an einer katholischen Schule in Sachsen angestellt und wird 2005 am Katholischen Freien Gymnasium am Bischof-Sproll-Bildungszentrum in Biberach an der Riss Lehrer für Katholische Religion, Geschichte und Französisch.
Habe mit Erzbischof über Zölibat gesprochen
"Ich bin gerne Lehrer", sagt Stehle über seinen Beruf. Seit 20 Jahren übt er diesen aus und möchte ihn "auf keinen Fall" aufgeben. Doch gleichzeitig ließ den verbeamteten Lehrer die Frage nach seiner Berufung nie ganz los. Bei einer Tagung im Kloster Heiligkreuztal erfährt er durch Zufall, dass er Ständiger Diakon mit Zivilberuf werden könnte. Das Berufsmodell, Lehrer zu bleiben und nebenher Diakon zu sein, begeistert ihn. Stehle bewirbt sich und beginnt die mehrjährige Diakonats-Ausbildung in der Erzdiözese Freiburg, weil sein Heimatort Gammertingen dort liegt. 2014 wird er dann von Erzbischof Stephan Burger zum Ständigen Diakon geweiht. Stehle kann sich noch gut daran erinnern, dass er vor der Weihe mit dem Erzbischof unter anderem auch über den Zölibat gesprochen hat. "Ich konnte versprechen, als Diakon weiterhin ehelos und ohne eigene Familie zu leben", sagt Stehle. Ein tiefes Gefühl der Einsamkeit habe er bisher noch nicht kennen gelernt, meint der Diakon. Seine Beziehung zu Gott fülle sein Leben.
Nach seiner Weihe zum Ständigen Diakon arbeitet Stehle weiterhin unter der Woche als Lehrer und als Landesbeamter im kirchlichen Privatschuldienst. An den Wochenenden, Feiertagen und bei Bedarf übernimmt er als Diakon Kasualien in der Seelsorgeeinheit Gammertingen-Trochtelfingen. Das heißt er gestaltet Taufen, assistiert bei Trauungen, leitet Beerdigungen und führt seelsorgliche Gespräche. Für diesen ehrenamtlichen Dienst bekommt er eine geringe Aufwandsentschädigung von der Erzdiözese Freiburg. Nahezu acht Jahre lang ist Stehle Diakon und lebt das dafür vorgesehene spirituelle Gebetsleben, führt er aus. Er betet regelmäßig, führt seelsorgliche Gespräche und hilft in Gottesdiensten.

Harald Stehle (links oben) liegt bei seiner Weihe zum Priester am Boden beim Altar der Heilig-Kreuz-Münsterkirche in Rottweil in der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
Als er Diakon ist, sprechen ihn immer wieder Menschen aus der Gemeinde auf sein geistliches Leben an und fragen ihn, warum er nicht Priester werde, blickt Stehle zurück. Auch sein ehemaliger Pfarrer ermutigt ihn: "Du hast doch das Zeug dazu." In dieser Zeit kümmert sich Stehle gemeinsam mit seinen Brüdern um seinen betagten Vater und erledigt Besorgungen für ihn, fährt ihn zum Arzt oder organisiert Ausflüge mit ihm. Immer wieder besuchen sie das Grab der verstorbenen Mutter auf dem Friedhof. "Ich spürte schon, dass ich auch als Seelsorger für ihn da war", blickt Stehle zurück. 2011 starb sein Vater.
Dann begann Stehle darüber nachzudenken, ob er nicht doch Priester werden möchte. "Obwohl ich eigentlich versprochen hatte, ein Leben lang Ständiger Diakon zu sein", meint er nachdenklich. Seinen Lehrerberuf möchte er dafür aber nicht aufgeben. Daher erkundigt er sich in der Personalabteilung der Diözese Rottenburg-Stuttgart, ob es möglich sei, Priester zu werden und Lehrer zu bleiben. Und es ging. Im Rottenburger Priesterseminar "gingen die Türen für mich auf", weiß der 63-Jährige noch. Dass es von kirchenamtlicher Seite her möglich wurde, verdanke er dem früheren Bischof Gebhard Fürst, so Stehle. "Ich musste mich nur als Diakon von der Erzdiözese Freiburg abmelden, also exkardinieren, um dann in Rottenburg inkardiniert zu werden." Sein Ständiger Diakonat wurde in ein Durchgangs-Diakonat umgewandelt, der somit zum Priestertum führen konnte. Das ging deshalb, weil "ich schon vor meiner Weihe zum Diakon den Zölibat versprochen hatte", so der Geistliche. Der Pflichtzölibat ist eine Voraussetzung für die Priesterweihe. Auch wenn Stehle ihn als nicht notwendig empfindet, konnte er versprechen: "Ich kann so leben, ohne verheiratet zu sein". Aber wenn die Kirche ihm das nicht vorgeschrieben hätte, wäre das nicht der erste Gedanke zu seiner Berufung als Geistlicher in der katholische Kirche gewesen, ergänzt Stehle.
Klerikal möchte er nicht wirken
Um sich zum Priester ausbilden zu lassen, ließ sich Harald Stehle dann 2022 für ein halbes Jahr vom Schuldienst freistellen. Er absolvierte ein Pfarrpraktikum, besuchte Kurse und Seminare im Rottenburger Priesterseminar, und lernte dort, Sakramente zu spenden, wie die Krankensalbung, die Beichte zu hören und das Feiern von Gottesdiensten. Manches davon hätte er bestimmt "noch vertiefen können", gibt Stehle zu. Dennoch ist er davon überzeugt, in dieser Zeit "vieles" erlernt und mitgenommen zu haben. Ohnehin lerne er jeden Tag in der Praxis dazu, sagt der Geistliche. Das seelsorgliche Gespräch, das Beichte-Hören und die menschlichen Begegnungen liegen ihm, weil er sehr empathisch sei und gut zuhören könne, führt er aus.
Im Juli 2022, damals war er 60 Jahre alt, wurde Harald Stehle dann in der Rottweiler Münsterkirche von dem früheren Rottenburger Bischof Gebhard Fürst zum Priester geweiht. Seine beiden Brüder waren bei der Feier dabei. "Jetzt kann ich priesterlich wirken", sagt Stehle dankbar. Dass er heute Priester mit Zivilberuf sei, ist für ihn "Pionierarbeit". Vom Heiligen Geist fühle er sich in seinem Dienst besonders getragen. Passend dazu habe er seinen Primizspruch aus der Bibel nach den Worten des Propheten Jesaja gewählt: "Der Geist Gottes des Herrn ruht auf mir, denn er hat mich gesalbt und gesandt". In diesem Sinne "bin ich Geistlicher", sagt Stehle. Klerikal möchte er nicht wirken oder auftreten. Nach jeder Messe, die er mit seiner Gemeinde feiert, möchte er manchmal laut "Halleluja "rufen. So sehr freut sich Stehle über seine späte Entscheidung, endlich Priester zu sein. Er habe halt nur länger Zeit gebraucht, das herauszufinden, sagt der Geistliche lachend. Als Vikar ist er momentan für die Ausbildungszeit einem Leitenden Pfarrer in Biberach zugeteilt. Danach könne er sich auf eine offene Pfarrerstelle in der Diözese bewerben. Dann wird er seinen Schuldienst beenden, weil er in Rente geht. "Ich gehe dann als Lehrer in Rente und bleibe weiterhin Priester", freut sich Stehle.