Kirchen sollten sich mehr und nicht weniger im Staat zu Wort melden
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Sie hat es wieder getan. Julia Klöckner (Foto) beharrte im "Pro"-Interview auf ihrer Kirchenschelte: "Je tagespolitischer Kirche wird, desto mehr wird sie schließlich als Partei wahrgenommen... Der Kern der Relevanz einer Kirche liegt nicht in ihrer allgemeinpolitischen Betätigung... Kirche darf niemanden im Streit um politische Auffassungen verlieren."
Um das mal aufzudröseln: Was heißt "tagespolitisch"? Etwa dass in aktueller, operativer Politik keine christlich-ethischen Fragen auftauchen, die Kirchen herausfordern? Hat Klöckner im Theologiestudium nicht gelernt, dass das Zweite Vatikanische Konzil für die Kirche beansprucht, "ihre Soziallehre kundzumachen… Und auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen"? Und was meint "allgemeinpolitisch"? Dass ganze Politikbereiche moralfreie Zonen seien, tabu für bloß "spezialpolitisch" gefragte Kirchen?
Wenn Kirche "als Partei" gesehen zu werden droht: Als welche denn? Fallen Kirchenvoten nicht je nach Thema mal konservativ, mal sozial, mal ökologisch, mal liberal aus und werden für jede Partei irgendwo unbequem? Wieso nehmen, wenn wir derart politisierte Kirchen haben, laut Allensbach für die "Pro" nur 23 Prozent der Deutschen politisches Einflussstreben als Merkmal des Christentums wahr? Und warum sollte eine dem Evangelium treue Kirche durch die Unterscheidung der Geister nicht auch jemanden "im Streit verlieren" wie Jesus?
Zwar gilt für politische Einsprüche der Kirchen: Inflation entwertet das Einzelstück. Man konzentriert sich deshalb am besten auf Themen mit hoher ethischer Relevanz und Dringlichkeit – und argumentiert diese, fundiert durch Sachverstand christlicher Wissenschaftler und Praktiker, differenziert durch und macht sie auf biblische Kriterien hin transparent. In einer Zeit multipler, gravierender Krisen und der Verrohung und Radikalisierung breiter Bevölkerungsteile ist es aber nur logisch, dass Kirchen sich eher mehr als weniger im Staat zu Wort melden. Sie dafür abzukanzeln statt konkrete Einwände im Einzelfall vorzubringen, wird weder dem christlichen Anspruch einer CDU-Politikerin noch den geistigen Anforderungen ihres hohen Amtes gerecht.
Der Autor
Andreas Püttmann ist Politikwissenschaftler und freier Publizist in Bonn.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.
