"Nur warm und sicher reicht nicht"

Frage: Herr Kardinal, seit einem Jahr sind Sie Erzbischof von Köln. Sind nach Ihrem Wechsel von Berlin jetzt endlich alle Umzugskartons ausgepackt?
Woelki: Asche auf mein Haupt: ich habe noch immer nicht alle ausgepackt - aber in den wenigen restlichen scheinen Dinge drin zu sein, die mir nicht so wichtig zu sein scheinen. Ein guter Hinweis darauf, sich auf Wesentliches zu konzentrieren.
Frage: Sie haben sich in den zurückliegenden Monaten ein straffes Besuchsprogramm auferlegt. Haben Sie das Gefühl, in Ihrer Heimatdiözese wieder angekommen zu sein?
Woelki: Ja, vor allem deshalb, weil mir die Menschen von Beginn an mit sehr großem Wohlwollen und Herzlichkeit begegnet sind - so als wäre ich nicht leibhaftig und nachhaltig spürbar über drei Jahre woanders hin gerufen gewesen.
Frage: Es gibt ja das Jesus-Wort, wonach der Prophet im eigenen Land nichts gilt. Erleben Sie es als Vor- oder als Nachteil, dass Ihnen die Erzdiözese schon so vertraut ist?
Woelki: Ich habe die Diözese bei den vielen Begegnungen noch einmal neu kennengelernt. Es ist ein Unterschied, ob man Weihbischof ist oder jetzt die Letztverantwortung trägt. Insofern hat sich mein Blick auf die Diözese noch einmal erweitert, und es stellen sich vonseiten der Gläubigen auch andere Erwartungen an mich.
Frage: Sie haben bereits Strukturreformen angekündigt. Das riecht nach weiteren Zusammenlegungen von Gemeinden, Personalabbau oder Kirchenschließungen. Auf welche "Grausamkeiten" müssen sich die Katholiken im Erzbistum einstellen?
Woelki: Auf gar keine. Denn ich habe einen geistlichen Prozess angekündigt. Gemeinsam müssen wir auf die Herausforderungen der Zeit eine Antwort finden, etwa auf die Säkularisierung: Wie können wir als Kirche in der Gesellschaft präsent sein? Da ist es nicht entscheidend, wie groß ein pastoraler Raum ist. Vielmehr kommt es darauf an, getaufte und gefirmte Katholiken mit ihren Begabungen an der Seelsorge und der Pastoral zu beteiligen und der Kirche vor Ort so ein Gesicht zu geben. Von daher setze ich mich für dezentrale Kirchenstrukturen ein.
Frage: Aber jetzt schon sind 100 Stellen in der Seelsorge nicht besetzt, darunter 40 von Priestern.
Woelki: Das ist richtig. Und natürlich ist der besondere Dienst der Priester unverzichtbar und der Mangel an ihnen schmerzlich. Aber wir müssen mehr entdecken, dass alle Getauften und Gefirmten an der Sendung Jesu teilhaben - an der Leitung einer Gemeinde, an der Verkündigung und der Caritas. Priester müssen noch stärker als bisher die Gläubigen dazu befähigen, das Evangelium zu leben und Kirche vor Ort Gestalt zu geben. Ich denke an kleine christliche Gemeinschaften, die aus dem Hören auf das Wort Gottes heraus fragen: Was erwartet der darin gegenwärtige Christus von uns heute, wovon träumen die Leute hier und jetzt, was brauchen zum Beispiel Alleinerziehende oder die Älteren?
Themenseite: Familiensynode
Vom 4. bis 25. Oktober 2015 tritt die XIV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode unter dem Thema "Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute" in Rom zusammen. Diese Themenseite bündelt die Berichterstattung von katholisch.de zur Synode.Frage: Sie beschwören die Zusammenarbeit mit den Laien. Die haben aber zuweilen ganz andere Vorstellungen als die Bischöfe - etwa was die Sexualmoral angeht.
Woelki: Laien - also getaufte und gefirmte Christinnen und Christen - machen in ihrem Leben bisweilen Erfahrungen, die sie in Dissonanz mit der kirchlichen Ehe- und Sexualmoral bringen. Darum wissen wir Bischöfe. Wir wissen aber auch, dass Menschen sich Verbindlichkeit, Dauerhaftigkeit und Treue wünschen und dass die kirchlichen Moralvorstellungen dieser Sehnsucht Ausdruck und Nachdruck verleihen.
Dass Menschen heute diese in den Moralvorstellungen der Kirche aufgehobene Sicherheit als Korsett ansehen, gehört zu den vielen Herausforderungen, in der die Kirche in ihrem Auftrag, die Zeichen der Zeit zu erkennen, steht.
Frage: Das oberste katholische Laiengremium kann sich eine Segnung homosexueller Paare vorstellen...
Woelki: Vom Heiligen Vater bis zum Katechismus betont die Kirche, dass gleichgeschlechtlich veranlagte Menschen Wertschätzung und Respekt verdienen und nicht auf ihre Sexualität reduziert werden dürfen. Gleichwohl versteht sie die Ehe als besondere sakramentale Verbindung von Mann und Frau, die offen ist für Kinder. Das ist nicht in unser Belieben gestellt.
Frage: Mit welchen Gefühlen sehen Sie der Familiensynode im kommenden Monat in Rom entgegen?
Woelki: Ich begrüße, dass der Papst dieses für die Gesellschaft so wesentliche Thema aufgegriffen hat. Durch die Umfragen im Vorfeld und das Bischofstreffen im vergangenen Jahr ist die Synode umfassend vorbereitet.
Frage: Kommunion oder keine Kommunion für wiederverheiratete Geschiedenen - über diese Frage gibt es erbitterten Streit unter Kardinälen. Fürchten Sie nicht, dass da zwei Züge auf einander zurasen?
Woelki: Ich vertraue dabei auf den Heiligen Geist. In der Kirche ist es gute Tradition, kontrovers um Fragen zu streiten. In der Apostelgeschichte ist nachzulesen, wie schon Petrus und Paulus beim Apostelkonzil aufeinandergestoßen sind. Nach den Beratungen wird der Papst Entscheidungen treffen - und ich gehe davon aus, dass dann alle damit leben.
Linktipp: "Asylrecht ist Menschenrecht"
Zum Abschluss seiner Balkanreise sprach Kardinal Rainer Maria Woelki über die Situation vor Ort und die aktuelle deutsche Flüchtlingspolitik. Sein Fazit: Beim Asylrecht besteht weiter Diskussionsbedarf.Frage: Beherrschendes Thema in Ihrem ersten Amtsjahr ist die Flüchtlingsproblematik gewesen. Stößt Ihr energischer Aufruf zu einer Willkommenskultur auf ungeteilte Zustimmung?
Woelki: In meinem Briefkasten landen auch Schreiben mit einer nicht salonfähigen Wortwahl, aber das erfahren Politiker und Journalisten genauso. Der weitaus überwiegende Teil der Bevölkerung und vor allem der Christen im Erzbistum Köln machen sich dankenswerterweise das Anliegen zu Eigen. Mit der "Aktion Neue Nachbarn" haben wir wirklich eine große Bewegung ausgelöst. Ich erlebe Aufbrüche. Gemeinden kümmern sich um Flüchtlinge und geben ihnen ein Dach über dem Kopf, so wie es sich der Papst wünscht. Allein auf Facebook haben sich bei uns über 2.700 Menschen vernetzt, um für Spenden zu werben oder Best-Practice-Beispiele auszutauschen. Diese Willkommenskultur muss weitergeführt werden.
Frage: Inwiefern?
Woelki: Aus der Willkommenskultur muss eine Integrationskultur werden. Nur warm und sicher reicht nicht aus. Und es reicht auch nicht aus, Menschen irgendwo unterzubringen. Es dürfen vor allen Dingen keine Ghettos nur mit Flüchtlingen entstehen. Das würde auf Dauer sozialen Sprengstoff bergen, wie der Blick in andere europäische Länder zeigt. Zuwanderer müssen eben die neuen Nachbarn der Einheimischen werden, mit ihnen und nicht neben ihnen her leben.
Eine wirkliche Integrationskultur beinhaltet, den Flüchtlingen Sprachkenntnisse zu vermitteln, damit sie sich hier verständigen und wirklich ankommen können. Es gilt, Kinder und Jugendliche in den Schulen zu integrieren und ihnen wie auch den Eltern Zugang zum Arbeitsmarkt zu eröffnen - und damit die Teilhabe an unserer Gesellschaft.
Frage: Die Hälfte der Deutschen erwartet durch die vielen Flüchtlinge einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Wie kann es gelingen, dass die bislang überwiegend positive Stimmung gegenüber den Fremden nicht kippt?
Woelki: Deutschland hat nach dem Zeiten Weltkrieg zwölf Millionen Flüchtlinge integriert, die im Übrigen dazu beigetragen haben, dass Deutschland ein wohlhabendes, reiches und sozial stabiles Land geworden ist. Das macht doch gerade die Attraktivität Deutschlands aus. Was sind dann die 800.000 oder eine Million Flüchtlinge, die jetzt zu uns kommen? Angesichts der Überalterung unserer Gesellschaft, der dadurch angespannten Sozialsysteme und dem Fachkräftemangel sind diese Menschen doch ein Gewinn für unser Land.
Wenn wir den Wandel aktiv gestalten, werden wir nicht ärmer, sondern können unseren Reichtum gemeinsam mit den Menschen, die ganz andere Startvoraussetzungen als wir selbst hatten, fruchtbar machen. Das ist auch deshalb nötig, weil es zu unserer Verantwortung als wohlhabender Staat gehört, unseren Beitrag in der Welt zu leisten, dass die Fluchtursachen schwinden. Die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den Herkunftsländern der Flüchtlinge müssen so gestaltet werden, dass niemand mehr aus seiner Heimat fliehen muss.