Standpunkt

Mit synodaler Weitsicht zu einer dezentralen Kirche

Veröffentlicht am 25.09.2025 um 00:01 Uhr – Von Michael Böhnke – Lesedauer: 

Bonn ‐ "Der Heilige Geist und wir haben beschlossen", heißt es beim Apostelkonzil in der Bibel. Michael Böhnke sieht darin die Grundlage für eine dezentrale Gestalt der Kirche: Pluralitäten müssen anerkannt, Widersprüche ausgehalten werden, kommentiert er.

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Der Grundsatz "Was alle angeht, soll von allen beraten und entschieden werden" gilt als Kriterium von Synodalität. In einer synodalen Kirche darf es keine Entscheidungen geben, ohne dass zuvor die Gläubigen gehört worden sind. Und doch ist das Kriterium "nicht ohne" allein nicht zureichend. Es wäre durch das Kriterium "nicht gegen" zu ergänzen, und zwar in dem Sinn, dass den Gläubigen nicht gegen deren Willen Lasten auferlegt werden, weil in geistlicher Unterscheidung die Vereinbarkeit von Spannungen und Widersprüchlichem (beschnitten – unbeschnitten) als Treue Gottes zu den Menschen aufzuscheinen vermag (Apg 15,8.19). In diesem Sinn hat Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. im ökumenischen Gespräch die These vertreten, dass eine Gemeinschaft mit den orthodoxen Kirchen bereits auf der Grundlage der Primatsgestalt des ersten Jahrtausends statthaft sei, wobei er voraussetzt, dass jene die Dogmenentwicklung der römisch-katholischen Kirche nicht der Häresie verdächtigen.

Wenn Leo XIV. gestattet, dass im Petersdom während der Wallfahrt der Freunde von Summorum Pontificum eine Messe im außerordentlichen Ritus gefeiert wird, und wenn er andererseits die LGTBQ-Community im Heiligen Jahr in Rom willkommen heißt, sollte er den betreffenden Gläubigen auch keine gegen ihren Glaubenswillen gerichteten Lasten auflegen; denn damit wird er der Ansage des Petrus nicht gerecht. Was er verlangen kann, ist, dass sich die unterschiedlichen Gruppierungen in der Kirche nicht gegenseitig der Häresie bezichtigen.

Es wird höchste Zeit, dass in Anlehnung an die Jerusalemer Entscheidung (Apg 15,28) die Multiperspektivität des christlichen Lebens und dezentraler kirchlicher Gestalt als legitim anerkannt werden. Warum sollten Frauen, dort, wo es kontextuell möglich und missionarisch geboten ist, nicht zur Weihe zugelassen werden?

Ich würde mir die synodale Weitsicht wünschen, welche die Entscheidung auf dem Apostelkonzil geprägt hat. Wenn es heißt: "Der Heilige Geist und wir haben beschlossen" (Apg 15, 28), dann werden diese Worte in dem Bewusstsein gesprochen, dass alle den gleichen Geist empfangen haben, jenen Geist, der in unterschiedlichen Lebensformen erscheint und innerkirchlich die Anerkennung von Pluralität und das Aushalten von Spannungen und Widersprüchen fordert.

Von Michael Böhnke

Der Autor

Michael Böhnke ist emeritierter Professor für systematische Theologie an der Bergischen Universität Wuppertal. Außerdem ist er Ethik-Beauftragter des Deutschen Leichtathletikverbands.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.