"Der Zölibat hat auch angenehme Seiten"

Gerhard und Thomas Groll – Wie zwei Brüder Priester wurden

Veröffentlicht am 15.12.2025 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Augsburg ‐ Gerhard und Thomas Groll sind Brüder und arbeiten beide als Priester im Bistum Augsburg. Die zwei Seelsorger leben den Zölibat gerne und sind glücklich mit ihrem Beruf. Obwohl ihr Vater früher eigentlich dagegen war, dass gleich zwei seiner Söhne Priester werden wollten.

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"Im Blick aufs Ganze hat der Zölibat schon auch seine ganz angenehmen Seiten", findet Gerhard Groll. Für den 62-jährigen Augsburger Stadtpfarrer bedeutet es nicht nur Verzicht, dass er ohne eigene Familie und unverheiratet lebt. Er genießt die Freiheit, die er dadurch hat. "Ich bin mein eigener Chef", sagt Groll, der seit über 30 Jahren katholischer Priester in Augsburg-Kriegshaber ist. Aufgewachsen ist er in Augsburg mit zwei jüngeren Brüdern. Seine Mutter war "ganz normal gläubig", wie er sagt. Sein Vater habe nur in jungen Jahren von der Kirche viel gehalten, stand ihr aber später "ausgesprochen kritisch" gegenüber.  

Schon früh waren "alle drei Grollbrüder" als Kinder und später als Jugendliche in der Heimatpfarrei aktiv. "Dort konnte ich aufatmen", blickt Gerhard Groll zurück. Er wird wie seine Brüder Ministrant und bringt sich in der pfarrlichen Jugendarbeit ein. Als Pfarrjugendleiter bekommt man einen Eindruck von Nachbarpfarreien und da habe er auch Priester erlebt, die in seinen Augen "unmöglich waren und nicht gut mit jungen Leuten umgehen konnten", erinnert er sich. Damals schon denkt er: "Entweder muss ich mich mein Leben lang über "unmögliche" Pfarrer ärgern – oder ich mache es selber, besser." Nach dem Abitur beginnt er in Augsburg Theologie zu studieren. Um sich selbst zu prüfen, ob ein kirchliches Leben ihn trägt, wechselt er für ein Studienjahr nach Rom und Luzern, als Gast ins Generalat des Prämonstratenserordens beziehungsweise ins Schweizer Priesterseminar. Trotz aller Sympathie fürs Ordensleben - Dominikaner in der Heimatpfarrei, Benediktiner in der Gymnasialzeit - möchte er danach Augsburger Diözesanpriester werden.

Vater war von Berufswahl nicht begeistert

Sein Vater, der bei der Eisenbahn arbeitete, ist von der Berufswahl seines ältesten Sohnes überhaupt nicht begeistert. "Er war enttäuscht darüber, dass ich nichts Gescheites mit meinem Studium mache – etwas Naturwissenschaftliches oder Medizin, das wär’s für ihn gewesen", meint Gerhard Groll. Dennoch war er überzeugt davon, "auf dem richtigen Lebensweg zu sein", so der Geistliche im Rückblick. "Ich wollte Pfarrer werden und einfach für die Menschen da sein."

Bild: ©privat

Gerhard Groll gratuliert seinem Bruder Thomas zu seiner ersten Messe nach der Priesterweihe. Auf dem Foto holt er ihn vom gemeinsamen Elternhaus ab.

1988 wird Gerhard Groll im Augsburger Dom zum Priester geweiht. Danach wird er Kaplan in Dillingen an der Donau, nach drei Jahren in einigen Dörfern der damals jüngste Pfarrer der Diözese Augsburg. Ab 1995 ist er dann Pfarrer in Sankt Thaddäus in Augsburg-Kriegshaber. Später wird die Kirchengemeinde mit der Nachbarpfarrei zur Pfarreiengemeinschaft mit heute gut 20.000 Bewohnern, davon rund 6.000 Katholiken, ernannt. Dort arbeitet Groll seit über 30 Jahren, bis heute, weil es sich einfach so ergeben hat, erklärt der Geistliche. So lang an der gleichen Stelle, das war nie sein Lebensplan, aber es passt für ihn bis heute.

Sein um zweieinhalb Jahre jüngerer Bruder Thomas wird nach etwas längerem Weg auch Priester. Als sein Bruder Gerhard seine erste Stelle als Kaplan in einer Pfarrei antritt, geht er zum Studium nach München. "So gut es sich in den Fußstapfen des großen Bruders in der Heimatpfarrei gehen ließ, wollte ich einen eigenen Weg beginnen und nicht immer nur der "kleine Groll" sein", so der Seelsorger. Tatsächlich zu diesem Weg ermutigt hat ihn dabei der Blick auf einige andere Priesterbrüder im Bistum Augsburg – und schon unter den Aposteln gab es ja bereits zwei Brüderpaare. Also keine Sorge, das passt schon, betont er. Dass er sein Theologiestudium mit einem Doktortitel im Fach Kirchengeschichte abschließt ist für seinen Vater wiederum nur halbwegs gut, da es halt "leider nur in Theologie" ist. 1998 wird Thomas Groll im Augsburger Dom zum Priester geweiht. Er arbeitet als Seelsorgepriester und Diözesanhistoriker, wirkt später als Studentenseelsorger an den Hochschulen in Augsburg, ist Vorsitzender des Vereins für Augsburger Bistumsgeschichte und wird schließlich Domkapitular, also Berater des Bischofs. Es freut ihn, als Seelsorger den Menschen Impulse geben zu können und ab und zu auch dem Bischof von Augsburg einen Rat, fasst er seinen beruflichen Werdegang zusammen. Daneben ist Thomas Groll Pfarrer in Hirblingen bei Augsburg. Dort feiert er regelmäßig Gottesdienste mit der Gemeinde und macht das "sehr gerne", wie er sagt.  

Einige Jahre lang war sein älterer Bruder Gerhard sogar sein Chef. "Ich war Pfarrer zur Mitarbeit in seiner Pfarreiengemeinschaft", erinnert sich Thomas Groll: "Der damalige Generalvikar hat vorher sogar extra gefragt, ob wir miteinander auskommen", erinnert er sich. Und es hat tatsächlich gepasst, bestätigen beide Brüder im Rückblick. "Dass wir beide Priester waren und nicht mit einer Freundin und künftigen Schwiegertochter heimkamen, war irgendwie schwer für unsere Eltern", erinnern sich die beiden Geistlichen. Ihre Mutter hätte sich "Enkel gewünscht und vermutlich darunter gelitten, weil sie lange darauf warten musste", erzählen sie. Ihr jüngster Bruder Günter habe dann erfreulicherweise geheiratet und ist Vater von vier Kindern. Darüber waren die Eltern "durchaus zufrieden und glücklich", so die beiden. Ihre Mutter hat ihre beiden "Priestersöhne" von Anfang an umsorgt, für sie gekocht, die Wäsche gemacht und im Pfarrhaushalt mitgeholfen. "Sonntags waren wir häufig alle daheim zum Mittagessen", erzählt Thomas Groll, der mittlere der Brüder. Das habe er immer als schöne gemeinsame Zeit erlebt – auch später zusammen mit der Familie des jüngsten Bruders. Vor zweieinhalb Jahren ist die Mutter verstorben. Er ist froh, schon vorher jemanden gefunden zu haben, der ihn im Haushalt unterstützt. Seitdem wohnt eine Pfarrhaushälterin "fest" bei ihm im Pfarrhaus und versorgt ihn. Das entlaste ihn. Außerdem genieße er es, wenn "jemand da ist zum Reden", so Groll.

„Ich muss die Menschen als Pfarrer mögen, sonst funktioniert dieser Beruf nicht.“

—  Zitat: Augsburger Stadtpfarrer Gerhard Groll

Sein Bruder Gerhard hat zwar keine feste Haushälterin an seiner Seite, doch wie sein Bruder Thomas freut er sich, dass sich im Leben "alles irgendwie bestens findet". Einsam fühlt sich der 62-Jährige überhaupt nicht. Die Aufgaben in seinen Pfarreien im Augsburger Westen seien vielfältig und "fordernd" – von den pfarrlichen Kindergärten, über die Sozialstation samt Tagespflege, das Kriegshaber Nachbarschaftszentrum, bis zum Katholischen Friedhof und dem ganz normalen, klassischen pfarrlichen "Betrieb". Manche Familien begleite er seit Generationen, schwärmt der Leitende Pfarrer. "Ich habe sie als Kinder bei der Erstkommunion, dann heiraten sie bei mir und lassen später ihre Kinder von mir taufen", freut er sich. Bei manchen Familien gehöre er als "Hausgeistlicher" fest dazu. Freilich gebe es aber bestimmt nach so langer Zeit auch Leute, die sich über ihn ärgern, meint er etwas nachdenklich. Da tut es ihm fast schon wieder leid, dass sie mich "halt nicht loskriegen", scherzt der Geistliche. Ihn tragen bis heute Freundschaften, die er zum Teil schon als Jugendlicher aufgebaut habe. Abends sei er aber meist froh, wenn er Zeit für sich habe und schlicht und einfach seine Ruhe, sagt er. Den Brüdern tue es gut, zu wissen, dass sie einander haben und beide irgendwie den "gleichen Weg gehen". Gegenseitiges Vertrauen und Wertschätzung, das finden sie wichtig.   

Idealer Priester kümmert sich um die Menschen 

Einig sind sich die Geschwister in manchen Dingen durchaus. Zum Beispiel was die Kleiderfrage für Priester betrifft. Beide tragen nur selten oder fast nie einen Kollarkragen, den für Priester vorgesehenen weißen Einsteckkragen im Hemd. "Das Tippex", wie Gerhard Groll es schmunzelnd nennt, schaffe seiner Meinung eine Distanz zu Menschen. Das fühle sich für ihn "hinderlich" an in seelsorglichen Gesprächen. Ohnehin sei die Kleiderfrage eine "Nebensächlichkeit des Priesterberufs", wie er sagt. Sein Bruder Thomas hingegen möchte schon als Priester erkannt werden. Er trage daher gerne ein kleines Kreuz am Revers seines Sakkos. Das passe für ihn bei offiziellen Terminen besser. Allerdings sei es in der Dorfpfarrei Hirblingen im Grunde egal, wie er gekleidet sei, da ihn von den tausend Einwohnern ohnehin alle kennen, auch wenn nur gut die Hälfte katholisch ist und nicht alle in die Kirche gehen.

Der ideale Priester ist für die beiden Brüder einer, der sich um die Menschen kümmert, ihnen zuhört, sich begeistern lässt und den das Leid der anderen anrührt. "Ich muss die Menschen als Pfarrer mögen, sonst funktioniert dieser Beruf nicht", ist Gerhard Groll überzeugt. Sein jüngerer Bruder Thomas erlebt Kirche immer wieder als Ort, wo viel Gutes geschehe. Wenn er zum Beispiel als Domkapitular in der Diözese Augsburg als Firmspender unterwegs ist, dann sehe er meist volle Kirchen und viele junge Menschen, die sich begeistern lassen. Das ermutige ihn immer wieder selbst. Er sei gerne Priester. Auch sein 62-jähriger Bruder Gerhard schaut durchaus glücklich und dankbar auf sein Leben zurück. "Der Herrgott hat einen freundlichen Blick auf mich geworfen", ist er sicher. In seinem Beruf hat er sich bislang eigentlich fast immer "sauwohl" gefühlt, wie er es positiv beschreibt. Im kommenden Februar feiert die Pfarrei Sankt Thaddäus ihr 90-jähriges Pfarreijubiläum. Schön, dass die beiden Brüder dann vermutlich wieder einmal im Kreis der Festgäste gemeinsam am Altar stehen – persönlich auch dankbar darüber, dass sich letztlich immer alles gut gefunden hat.  

Von Madeleine Spendier