Influencerinnen entdecken biblische Figur neu für sich

Hure und Nonne: Die vielen Bilder der Maria Magdalena

Veröffentlicht am 26.12.2025 um 12:00 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 

Bonn ‐ Maria Magdalena ist eine Figur voller Zuschreibungen, zwischen der "Apostelin der Apostel" und der büßenden Prostituierten. Nun entdecken Influencerinnen die biblische Figur neu für sich. Ein Streifzug durch Bilderwelten.

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"Maria Magdalena hatte Spaß, / manche nannten sie eine Hure, manche eine Nonne. / War sie die taffste Frau in Bethlehem? / Wir werden es nie erfahren, denn ihre Geschichte wurde von Männern geschrieben." In ihrem Lied "Wings" schlägt die australische Singer-Songwriterin Iluka eine Brücke von der Erziehung und dem gesellschaftlichen Bild von Frauen heute zurück zur Figur der Maria Magdalena aus der Bibel. Damit stellt sie sich in eine Reihe zahlreicher Frauen, die Maria Magdalena gerade neu für sich entdecken. Einer Frau, deren Geschichte in der Tat vor allem durch den männlichen Blick geprägt wurde und Stoff für zahlreiche Bilder bietet.

Wer Bibelfilme schaut oder an Gemälden vergangener Jahrhunderte entlanggeht, der wird bei Maria Magdalena vor allem mit einem Bild konfrontiert: Jenem der reuigen Sünderin, der Prostituierten. Der italienische Künstler Tizian malte sie 1533 so, dass ihre langen offenen Haare kaum ihre Brüste bedecken. Antonio da Correggio ließ sie 1518 halb niedergeschlagen, halb lasziv zu Jesus aufblicken. Auch beim Bild von Pierre Puvis de Chavannes aus dem Jahr 1869 ist nicht ganz klar: Büßt sie jetzt oder kokettiert sie mit dem Betrachter? Dagegen sieht die Influencerin Jet'aime Cherée sie als "Rebellin" und Eliza Monta ist völlig ergriffen, als sie in Südfrankreich vor den angeblichen Gebeinen der Maria Magdalena steht. Aus der Hure ist eine Identifikationsfigur geworden.

Bild: ©picture alliance/akg-images, Montage: katholisch.de

Darstellungen der Maria Magdalena, links von Tizian, rechts von Correggio.

Maria Magdalena ist eine der prägendsten Frauenfiguren der Bibel. Die synoptischen Evangelien nennen sie als eine derjenigen, die Jesus mehr oder weniger von Anfang an nachfolgen: "Auch einige Frauen sahen von Weitem zu, darunter Maria aus Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen und Joses, sowie Salome; sie waren Jesus schon in Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient. Noch viele andere Frauen waren dabei, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen waren." (Mk 15,40f.) Sie ist Teil der "Jünger", einer Gruppe, die von der der "Zwölf" zu unterscheiden ist. "Jünger" waren Frauen und Männer gleichermaßen, die "Zwölf" waren nach dem, was wir heute wissen, ausschließlich Männer. Wenn Namen von Jüngern genannt werden und dann nicht nur Männer-, sondern auch Frauennamen dabei sind, steht der Name von Maria Magdalena in der Regel vorne mit dabei. Sie war also eine der wichtigsten Figuren in der Nachfolgerschaft Jesu. Ob in dieser Gruppe Frauen und Männer gleichermaßen die Nachfolge wahrgenommen haben oder nicht, wissen wir heute nicht. Die Evangelien sind keine Zeitdokumente, sondern wurden mit einem ganz erheblichen Zeitabstand geschrieben – von Leuten, die nicht persönlich bei den Geschehnissen dabei waren, über die sie schrieben. Deshalb dokumentieren sie eher die Zeit ihrer Entstehung. Das spiegelt sich auch in den Texten: Etwa dadurch, dass die Namen von Frauen oft genug von den männlichen Autoren verschwiegen werden. So werden die Frauen im Zitat bei Markus (s. o.) zwar genannt und als selbstverständlicher Teil der Jesusbewegung angegeben – allerdings erst bei der Schilderung des Todes Jesu. Die Texte behandeln also Frauen im Allgemeinen und wohl auch Maria Magdalena im Besonderen abwertend.

Nichtsdestoweniger zeigt die Darstellung und Erwähnung von Maria Magdalena zwei Auffälligkeiten: Zum einen ist sie die entscheidende Verkünderin der Auferstehung Jesu. Sie erfährt etwa bei Johannes (Joh 20,11-18) als erste davon und benachrichtigt die Männer. Deshalb wurde sie 2016 vom Vatikan als "Apostelin der Apostel" liturgisch den Aposteln geleichgestellt. Zum anderen ist sie eine der wenigen Frauen in der Bibel, die nicht durch einen Mann definiert werden. Denn Maria Magdalena steht für Maria aus Magdala, dem noch heute bestehenden kleinen Ort Migdal am See Genezareth. Das lässt darauf schließen, dass sie nicht verheiratet war und keine Kinder hatte und ihre Verwandtschaft für die Jesusbewegung nicht von Belang war. Maria wird aus sich heraus definiert – in der Bibel eine Seltenheit.

Doch ihre Rezeption bleibt nicht stehen. Denn gerade, weil zahlreiche weitere Frauen nicht namentlich genannt werden, wurden namenlose Figuren ab dem 6. Jahrhundert mit Maria Magdalena identifiziert. Etwa eine ungenannt gebliebene Büßerin, die Jesus die Füße wäscht und salbt (Lk 7,36ff.). Papst Gregor I. identifiziert sie im späten sechsten Jahrhundert als erster mit der Sünderin.

Sexualisierte Rezeption

Mit der Zeit wird die männlich geprägte Rezeption von Maria Magdalena immer sexualisierter. Denn welche Sünden könnte die Büßerin verbrochen haben, derer sie sich so schämt, dass sie Jesus die Füße wäscht? Man schiebt ihr in die Schuhe, ihren Körper verkauft oder generell "unsittlich" gelebt zu haben. Aus der ersten Zeugin der Auferstehung und prägenden Figur der Jesusbewegung wird eine verruchte Hure.

Das sorgt für eine nachhaltige Abwertung. Denn so wie manche die "Apostelin der Apostel" als Wertschätzung verstehen, sieht es die Theologin Judith Hartenstein gegenüber der "National Geographic" anders: "Das soll ein Ehrentitel sein, ist aber eher eine diskriminierende Bezeichnung, weil Maria Magdalena sozusagen nur einmal am Ostersonntag und nur für die Männergruppe verkündigen darf", sagt sie. "Dann ist ihre Aufgabe erledigt und die Männer übernehmen."

Dabei gäbe es durchaus Gründe, sie eine "richtige" Apostelin zu nennen. Denn der Apostel Paulus hat Jesus nie persönlich getroffen. Seine Berufung zum Apostel leitete er aus einer Erscheinung Jesu ab (Apg 9,3ff.). Eine solche Erscheinung hatte Maria Magdalena aber auch am Grab (s. o.) – doch diese Interpretationsmöglichkeit spielt in der Folge keine große Rolle.

Bild: ©picture-alliance/akg-images/Cameraphoto

Hat Jesus nie getroffen, gilt aber trotzdem als einer der bedeutendsten Apostel: Paulus (links).

Denn einen verruchten Vamp als biblische Gestalt zu haben, hat für die Künstler durch die Jahrhunderte einen entscheidenden Vorteil: Sie können eine erotische, laszive, attraktive Frau darstellen, ohne sich dem Verdacht der Unsittlichkeit auszusetzen, schließlich malen sie ja lediglich eine Bibelszene. So räkelt sich die Apostelin der Apostel durch die Kunstgeschichte. Das ist besonders in der Zeit der Gegenreformation, also der katholischen Reaktion auf die Reformation, bildgewaltig: Hier die kargen Protestanten, da die sinnlichen Katholiken.

Eine der wenigen weiteren bedeutenden Frauen im Neuen Testament, die Mutter Jesus und ebenfalls den damals sehr verbreiteten Namen Maria (die lateinische Version des hebräischen namens Mirjam) tragend, ist durch ihre Rolle als lediglich empfangende und leidende Mutter bereits eingehegt. Die beiden Marias sind also nicht zuletzt ein Symptom einer männlich geprägten Sicht auf die Welt: Frauen sind entweder Mütter oder Huren.

Bild: ©picture alliance/prisma/Heeb Christian

In Saint-Maximin-la-Sainte-Baume behauptet man, Reliquien von Maria Magdalena zu besitzen.

Eine Umprägung erfährt Maria Magdalena nun durch die feministische Brille. Mehr und mehr Frauen entdecken sie als Identifikationsfigur und versuchen, die Jahrhunderte des männlichen Blicks abzustreifen. Dabei steht Maria neben Phoebe und Junia, die in den vergangenen Jahren wiederentdeckt wurden. Dabei helfen älteste Schriften: Denn in einigen apokryphen Schriften ist Maria Magdalena die Lieblingsjüngerin Jesu und kommt deshalb in Streit mit Petrus, der als ihr männlicher Gegenspieler dargestellt wird. In Südfrankreich gibt es eine Legende, die sie als Missionarin, Heilige und Einsiedlerin darstellt. Zwei Kirchen in Frankreich, eine in Saint-Maximin-la-Sainte-Baume in der Provence und eine in Vézelay im Burgund, beanspruchen von sich, ihre Gebeine zu besitzen. In jüngerer Zeit taucht sie etwa im Musical "Jesus Christ Superstar" oder im Bestseller "Sakrileg" von Dan Brown als Lebensgefährtin Jesu auf. Daneben treten bei zeitgenössischen Influencern heute die Bilder von Maria Magdalena als Rebellin oder Priesterin.

Ein klein wenig bewegt, hat sich auch die Amtskirche: Die Päpste Johannes Paul II. und Franziskus haben die Verbindung von Maria Magdalena mit der Sünderin ausdrücklich aufgelöst, seit 2016 wird sie unter dem Titel "Apostelin der Apostel" mit einem Fest im liturgischen Kalender am 22. Juli verehrt. Vorbei ist die Geschichte der Maria Magdalena als Projektionsfläche damit aber sicher nicht. Sie hat dafür schon zu viele Bilder inspiriert – von der Hure bis zur Nonne.

Von Christoph Paul Hartmann