Zwischen Lehre und Leben: Papst Leo XIV. und LGBTQ-Katholiken

"Ich habe eine sehr wichtige Frage", sagte Alex Capecelatro, als er vor Papst Leo XIV. stand. Capecelatro, ein Tech-Unternehmer, der nicht katholisch aufgewachsen ist, und sein Partner Brian Stevens, ein gläubiger Katholik und Philanthrop, waren Teil der Delegation, die den Erzbischof von Los Angeles, José Gomez, auf seiner Romreise begleitete. Beide hatten die Gelegenheit, persönlich mit dem Papst zu sprechen, wie der gut informierte US-Vatikanexperte Christopher Hale in seinem Newsletter "The Letters from Leo" berichtet. Als Leo erfuhr, dass die beiden Männer verheiratet sind, empfing er sie ohne Zögern mit Herzlichkeit und Freundlichkeit.
Für Capecelatro war diese Begegnung ein "herzerwärmender" Moment. Beide hätten sich vom Oberhaupt der katholischen Kirche willkommen geheißen gefühlt. Doch mitten im Gespräch stellte Capecelatro plötzlich eine unerwartete Frage – eine Frage, die für Papst Leo allerdings offenbar ganz gewöhnlich ist: "Wie lief es heute bei Wordle?" Der 70-jährige Papst brach in schallendes Gelächter aus. Er erzählte, dass er volle sechs Versuche gebraucht habe, um das tägliche Rätsel zu lösen – mehr Versuche erlaubt das Smartphone-Spiel gar nicht. Das Wort des Tages: "Blend", also vermischen. Capecelatro konnte kaum glauben, dass er gerade tatsächlich über ein Online-Worträtsel mit dem Papst sprach. Während Leo die Lasten der Weltkirche trage, nehme er sich dennoch Zeit für die kleinen Dinge, die Freude bereiten. Doch es blieb nicht beim "Wordle"-Smalltalk. Beide Besucher erzählten dem Papst, wie viel ihnen die Arbeit des Jesuiten James Martin für LGBTQ-Katholiken bedeute. Laut Hale nickte Leo zustimmend, als die pastorale Fürsorge Martins zur Sprache kam.
Jesuit James Martin als Begleiter
Besonders für Stevens hatte dieses Gespräch eine tiefe Bedeutung: Er ist lebenslanger Katholik, trat sogar kurzzeitig ins Priesterseminar ein und widmete sich später seinem karitativen Engagement. Als Ritter des Malteserordens leitete er über dreißig Mal Pilgerfahrten für Kranke ins französische Lourdes. "Er hat eine große Liebe zu Gott", sagte Kardinal Roger Mahony, emeritierter Erzbischof von Los Angeles und ein enger Freund von Stevens. "Er ist gern unter Menschen und wäre ein großartiger Botschafter für die Kirche, wenn es darum geht, Menschen willkommen zu heißen."
Nur wenige Tage später wurde der offen schwule TV-Moderator Gio Benitez in die katholische Kirche in den USA aufgenommen. Sein Ehemann war sein Pate. Während der Messe empfingen beide die Heilige Kommunion. Jesuit Martin konzelebrierte den Gottesdienst und Benitez dankte ihm dafür, dass er ihn zur Kirche geführt und begleitet hatte. Doch nicht alle reagierten positiv darauf. Bei der letzten Herbst-Sitzung der US-Bischofskonferenz erhob sich der von Franziskus aus dem texanischen Tyler verbannte Bischof Joseph Strickland und forderte seine Mitbrüder auf, ein Statement abzugeben: Man müsse sich mit der Tatsache befassen, dass James Martin die Firmung und Kommunionspendung an einen "verheirateten" homosexuellen Mann begleitet habe. Von den Bischöfen aus dem Plenum kam jedoch keine Reaktion. Auch nicht vom eher konservativen neuen Vorsitzenden der US-Bischöfe, Erzbischof Paul Coakley. Strickland legte schließlich noch per X nach: "Ich sage sie jetzt zu Papst Leo, zu den Bischöfen und zu allen, die behaupten, Jünger Jesu Christi zu sein: 'Wie lange wollt ihr noch zwischen zwei Herren hin- und herhinken?'" Die Bischöfe forderte er auf, mit den "Spielchen aufzuhören".
James Martin ist in den vergangenen Jahren zu einer der bekanntesten Stimmen für LGBTQ-Katholikinnen und -Katholiken geworden. Seine Seelsorgearbeit bringt ihm weltweit Zuspruch, aber auch entschiedene Kritik ein.
James Martin ist in den vergangenen Jahren zu einer der bekanntesten Stimmen für LGBTQ-Katholikinnen und -Katholiken geworden. Seine Seelsorgearbeit bringt ihm weltweit Zuspruch, aber auch entschiedene Kritik ein. Neben seiner pastoralen Tätigkeit schreibt er regelmäßig für die Jesuitenzeitschrift "America", deren Chefredakteur er ist, sowie für die von ihm gegründete Plattform "Outreach", die sich speziell an queere Katholiken richtet. Mehrere seiner Bücher wurden in den USA zu Bestsellern. Martin hatte zudem einen engen Draht zu Papst Franziskus, mehrfach schrieben die beiden sich Briefe und außerdem wurde er vom damaligen Pontifex zum Delegierten der Weltsynode berufen.
Offenheit und kirchliche Lehre
Gleichzeitig verfolgt Franziskus' Nachfolger Leo XIV. einen Kurs, der Offenheit und kirchliche Lehre miteinander zu verbinden versucht. Er betont, dass in der Kirche alle willkommen sein sollen und niemand ausgeschlossen werde. Zugleich lehnt er jedoch eine Aufweichung der kirchlichen Sexualmoral ab und unterstreicht die Ehe zwischen Mann und Frau sowie die traditionelle Familie als Fundament der Gesellschaft. Besonders deutlich wurde er in seiner Kritik an Segensfeiern für homosexuelle Paare in Nordeuropa, die seiner Ansicht nach gegen die von Papst Franziskus genehmigte Erklärung "Fiducia Supplicans" verstießen. Indirekt dürfte damit auch die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) gemeint gewesen sein, die im April eine entsprechende Handreichung veröffentlicht hatte – eine Entscheidung, die später eine Debatte darüber auslöste, ob Rom vorab eingebunden war. Leos Linie scheint insgesamt darin zu bestehen, die kirchliche Lehre nicht anzutasten, um die Spaltung innerhalb der Kirche nicht weiter zu vertiefen und gleichzeitig bestimmte pastorale Anliegen zu begrüßen.
Jesuit Martin, der sich seit Jahren für queere Katholikinnen und Katholiken einsetzt, beschreibt Papst Leo XIV. dagegen als ausgesprochen offen. Auf der Plattform X schrieb er nach seiner ersten Privataudienz, er sei "geehrt und dankbar" für das Gespräch und tief bewegt gewesen, erneut die Botschaft der "Offenheit und Akzeptanz" zu hören, die er schon von Papst Franziskus kenne. Leo sei "gelassen, fröhlich und ermutigend" gewesen – ein Treffen, das ihn persönlich sehr tröstete. Martin begleitete vor wenigen Monaten die LGBTQ-Pilgerfahrt zum Heiligen Jahr in Rom, weshalb er mit seinem Landsmann Papst Leo ins Gespräch kam.
Der aus Westafrika stammende emeritierte Kurienkardinal Robert Sarah hofft unter Papst Leo XIV. auf eine Neubewertung von Fiducia supplicans.
Während Martin also von großer Offenheit berichtet, zeichnet ein anderer Kirchenmann ein gänzlich anderes Bild: Der aus Westafrika stammende emeritierte Kurienkardinal Robert Sarah hofft unter Papst Leo XIV. auf eine Neubewertung von Fiducia supplicans. In einem Interview mit der italienischen Tageszeitung "Avvenire" nannte Sarah das Schreiben "theologisch schwach" und "ungerechtfertigt". Es gefährde die Einheit der Kirche und sei ein Dokument, "das man besser vergessen sollte".
Der Papst aber werde das Dokument seines Vorgängers sicherlich nicht zurücknehmen. Auch die Praxis bestätigt weiterhin die Offenheit des Pontifex: Als die katholische Transgender-Aktivistin Alessia Nobile ihm einen Brief im Namen der "Trans-Community" überreichte, soll Leo daraufhin gelächelt haben. Zuvor hatte sie um Audienz gebeten und wurde schließlich mit weiteren Trans-Frauen zum gemeinsamen Mittagessen mit anderen Bedürftigen in den Vatikan geladen.