Vatikan-Journalisten veröffentlichen Buch zur vergangenen Papstwahl

Smartphone vergessen, Stimmen verzählt – Was im Konklave passierte

Veröffentlicht am 17.12.2025 um 00:01 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Bonn ‐ Klatsch und Tratsch bei den Purpurträgern: Viele Details haben es nach dem Konklave in die Medien geschafft, dank redefreundlicher Kardinäle. Doch nicht alles kam ans Licht, wie ein neues Buch von Vatikan-Journalisten zeigt. Katholisch.de hat es gelesen.

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Auf dem Petersplatz standen wir von katholisch.de mit dem Smartphone auf den Schornstein gerichtet, inmitten von Tausenden Menschen. Es war der erste Konklave-Abend. Unter der Menschenmasse waren auch zahlreiche Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt. Hinter uns befand sich etwa der italienische Fernsehsender RAI, dessen Kameras unablässig hin- und herschwenkten: mal auf den berühmten Schornstein, mal auf die Menschenmenge, dann wieder zu einer Liveschalte mitten aus der Menge. Gespannt blickten die Wartenden zum berühmt-berüchtigten Schornstein – in der Annahme, dass es eigentlich schnell gehen müsste. Doch es vergingen 15 Minuten, eine halbe Stunde, schließlich eine ganze Stunde ohne jegliche Regung. Kein Rauch, nichts. Zwei Stunden dauerte es, bis endlich schwarzer Rauch aufstieg. Warum das so lange gedauert hat? 

Über das Konklave, in dem Robert Francis Prevost zum neuen Oberhaupt von 1,4 Milliarden Katholikinnen und Katholiken gewählt wurde, ist bereits vieles bekannt und unmittelbar danach in Medien und Zeitungen gesickert. Dazu zählt auch die Geschichte des ersten Konklave-Abends. Bekannt war etwa die einstündige – für manche zu lange – Einstimmung durch Kardinal Raniero Cantalamessa, dem ehemaligen päpstlichen Hausprediger. Doch war das wirklich alles? Nein, wie die beiden erfahrenen Vatikanjournalisten Elisabetta Piqué (La Nacion) und Gerard O’Connell (Jesuitenzeitschrift America) in ihrem neuen Buch zeigen. Sie präsentierten kürzlich ein auf Spanisch erschienenes, 450 Seiten starkes Werk in tagebuchartiger Form, gespickt mit Anekdoten und Hintergründen rund um die Papstwahl – "El último Cónclave" (Das letzte Konklave). Ende März 2026 soll die englischsprachige Variante unter dem Titel "The Election of Pope Leo XIV: The Last Suprise of Pope Francis" erscheinen. 

Kardinäle und das neue Konklave-Buch
Bild: ©KNA/Romano Siciliani/Osservatore Romano

Auf Spanisch ist ein 450 Seiten starkes Werk in tagebuchartiger Form, gespickt mit Anekdoten und Hintergründen rund um die Papstwahl erschienen – "El último Cónclave".

Ein weiterer Grund für den verspäteten Beginn war ein vergessenes Mobiltelefon in der Sixtinischen Kapelle – das eines älteren Kardinals. Ein absolutes No-Go! Denn eigentlichen gelten während der Papstwahl  strenge Vorschriften: Die wahlberechtigten Purpurträger werden vollständig abgeschottet und müssen ihre Smartphones abgeben; zudem wird das Handynetz deaktiviert.  Erst als dieses "Problem" behoben worden war, konnte die Wahl tatsächlich beginnen. Und sie ging dann schneller, als viele erwartet hatten. Favorit schien der ranghöchste Kurienkardinal zu sein, die Nummer Zwei im Vatikan: Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin. Das Buch lenkt den Blick auf den feierlichen Gottesdienst, der weltweit live übertragen wurde. Giovanni Battista Kardinal Re, der Dekan des Kardinalkollegiums und Parolin umarmten sich beim Friedensgruß, und Re – der laut spricht, weil er schwer hört – sagte zu Parolin: "Doppi auguri, Pietro!" Das heißt: Doppeltes Glück, Pietro. Doch nicht nur Re hoffte offenbar, Parolin in Weiß zu sehen. Auch die Mitarbeiter in seinem Büro hielten ihren Chef laut Piqué und O'Connell für den aussichtsreichsten Kandidaten. 

Weitere Patzer in der Sixtina 

Bis zum weißen Rauch sollte es jedoch nicht nur beim vergessenen Smartphone bleiben. Auch bei der Abstimmung kam es zu Fehlern. Statt 133 Stimmzetteln befanden sich plötzlich 134 in der Urne. Die beiden beschreiben die Situation im Buch so: "Wieder erhält jeder wahlberechtigte Kardinal zwei Stimmzettel. Jeder schreibt den Namen des gewählten Kandidaten darauf, faltet den Zettel, bringt ihn zum Altar und gibt seine Stimme ab. Unglaublich, es geschieht dasselbe wie bei der fünften Abstimmung des Konklaves von 2013, wie ich in meinem Buch über die Wahl von Papst Franziskus beschrieben habe. Bei der Auszählung stimmt etwas nicht: Statt 133 Stimmzetteln sind es 134!" 

Den Fehler bemerkte der Stimmzähler Kardinal Filoni, der die anderen Kardinäle umgehend informierte. Kardinal Parolin erklärte die Wahl schließlich für ungültig und die Stimmzettel wurden verbrannt. Der Schuldige war diesmal der spanische Kardinal Carlos Osoro Sierra, emeritierter Erzbischof von Madrid, der nur acht Tage später seinen achtzigsten Geburtstag feierte. Öffentlich gab er zu, unbeabsichtigt seinen Stimmzettel zusammen mit einem anderen in die Urne gelegt zu haben. Bei künftigen Konklaven wird er nicht mehr dabei sein – aufgrund seines Alters, nicht wegen des Fehlers. 

"Übernehmen Sie, Kardinal Radcliffe!" – "Nein!" 

Weiter ging es mit einer Szene, die Piqué und O'Connell als "urkomisch" bezeichnen: "Der dritte Stimmzähler hat nicht nur die Aufgabe, den Namen des gewählten Kardinals laut vorzulesen, sondern er muss diesen Namen auch auf der Auszählungsliste notieren und anschließend jeden ausgezählten Stimmzettel mit einer Nadel durch das Wort 'Eligo' stechen und auf einen Faden ziehen, damit die Stimmzettel sicher aufbewahrt werden können." 

Kardinal Filoni hatte jedoch Schwierigkeiten, den Zettel auf den Faden zu fädeln, und bat den zweiten Stimmzähler, Kardinal Radcliffe, ihn abzulösen. Der englische Dominikaner lehnte jedoch ab. Schließlich übernahm ein südamerikanischer Kardinal diese Fädelarbeit. "Jeder Kardinal hatte ein Heft mit allen Namen, um mitrechnen zu können, das wir am Ende abgeben mussten. Während des Prozesses wussten wir aber alle, wann die Schwelle näher kam. Es war keine Überraschung", erklärte der US-Kardinal Robert McElroy laut dem Buch. Und weiter: "Wir applaudierten, als die 89. Stimme bestätigt wurde, aber in Wahrheit hatte sich das Ergebnis bereits vorher aufgebaut." 

Kardinal Pietro Parolin auf dem Weg zum Gottesdienst vor Beginn des Konklaves
Bild: ©KNA/Cristian Gennari/Romano Siciliani

Favorit schien der ranghöchste Kurienkardinal zu sein, die Nummer Zwei im Vatikan: Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin.

Der Applaus dauerte etwa fünf Minuten. Dann soll Kardinal Parolin eingegriffen haben, um daran zu erinnern, dass die Zählung der Stimmen noch nicht beendet sei. Doch der Name Prevost fiel weiterhin viele Male. "Als die Stimmzähler ihre Arbeit schließlich beendet haben und der dritte Stimmzähler verkündete, dass Kardinal Prevost 108 Stimmen erhalten hat, bricht erneut donnernder Applaus los", schreiben Piqué und O'Connell unter Berufung auf Quellen. 

"Wir werden ihn zu einem von uns machen" 

Als der weiße Rauch endlich aufstieg, eilten die Mitarbeiter des vatikanischen Staatssekretariats hinaus auf den Platz. "Alle waren überzeugt, dass so ein schnelles Ergebnis – nur vier Wahlgänge – nur eines bedeuten kann: Parolin ist gewählt worden", heißt es im Buch. Auch im Pressesaal herrschte diese Überzeugung. Piqué berichtet, man habe viele sagen hören: "Es ist Parolin!" Auch die Verantwortlichen der Vatikan-Medien hätten diese Ansicht geteilt; ihre Unterstützung für Parolin sei kein Geheimnis gewesen. "Sie sagen uns sogar, dass eine Ausgabe des L'Osservatore Romano, der vatikanischen Tageszeitung, fertig gedruckt bereitliege." 

Doch als Prevost – nun Papst – seinen Namen nannte, ertönte auf dem Petersplatz ein lautes, fangesangähnliches "Leooo-ne, Leooooo-ne!", wie man es sonst von italienischen Fußballfans kennt. Piqué und O'Connell berichten derweil, dass sich auf der Terrasse des Apostolischen Palastes zahlreiche Kurienmitarbeiter versammelt hatten. Sie waren bereit, Parolins Wahl zu feiern. Doch die Stimmung kippte abrupt: "Alle sind wir versteinert, fassungslos, niedergeschlagen". Da versuchte ein erfahrener Monsignore, die Stille zu durchbrechen: "Lo faremo uno di noi" – "Wir werden ihn zu einem von uns machen." 

"Ich habe nicht erwartet, Papst zu werden"

Doch während sich hinter den Mauern des Vatikans die Kurie sortierte, spielte sich später in einem Moment in der Nähe des Petersplatzes eine kleine, beinahe intime Szene ab. Ein Mädchen namens Michele trat auf den Papst zu und bat ihn, ihre Bibel zu segnen und zu unterschreiben. Der frisch gewählte US-amerikanisch-peruanische Papst tat dies sofort – und mit Humor. "Ich muss diese Unterschrift erst noch üben, die alte taugt jetzt nicht mehr", sagte er schmunzelnd. Dann überraschte er sie mit einer simplen, fast kindlich neugierigen Frage: "Welcher Tag ist heute, der 8. Mai?" Eine Frage, die im Rummel des historischen Moments seltsam realistisch wirkte, bodenständig, beinahe alltäglich. Denn natürlich: Für jemanden, der innerhalb weniger Stunden den Sprung vom Kardinal zum Oberhaupt der katholischen Kirche macht, ist das eine Zäsur von kaum vorstellbarem Ausmaß. In Rom war er zwar im Bischofsdikasterium bekannt, weltweit aber weitgehend unbekannt außer in Peru. 

Piqué und O'Connell betonen, dass Prevost trotz der Überraschung nicht völlig naiv in die Wahl gegangen sei. Er habe gewusst, dass über seine Papabili-Chance spekuliert wurde, wie er später erzählte. Doch zugleich hielt er die Möglichkeit für äußerst gering. "Ich habe nicht erwartet, Papst zu werden. Ich hätte niemals gedacht, dass die Kardinäle einen US-Amerikaner wählen würden", sagte er nach der Wahl. 

Von Mario Trifunovic