Herrgottskinder – Die Elternkolumne

Zwischen Kerzen und Chaos: Warum Adventsruhe längst Illusion ist

Veröffentlicht am 15.12.2025 um 00:01 Uhr – Von Stefanie Heinrichs – Lesedauer: 

Bonn ‐ Im Advent verkaufen wir uns die "stille Zeit" als romantische Selbsttäuschung. Stefanie Heinrichs schildert, wie eine Frage ihrer Tochter diesen Vorweihnachtswahn entlarvt – und warum wir lieber den Todesstern steuern, statt eine Kerze anzuschauen.

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"Mama, warum machen wir eigentlich im Advent Kerzen an, wenn wir doch gar keine Zeit haben, sie anzuschauen?" Die Frage meiner Tochter fällt am Donnerstagmorgen gegen halb acht, kurz bevor der übliche Tornado aus Brotdosen, Mützen, Schlüsselbund und Terminlisten durchs Haus fegt. Die zweite Adventskerze flackert tapfer gegen die Hektik an – ein kurzer Moment, der schnell verfliegt, als sie panisch fragt: "Wo ist meine Blockflöte?" Am Frühstückstisch sitzt längst niemand mehr.

Während ich im Vorbeilaufen die Blockflöte in ihren Rucksack stopfe, ein pünktliches Erscheinen beim Krippenspiel-Elterntreffen verspreche und versuche, gleichzeitig die Tanzaufführung am Wochenende im Kopf unterzubringen, frage ich mich, wie Advent ursprünglich gedacht war. Eine Zeit der Stille, der andächtigen Vorbereitung auf Weihnachten. Stattdessen verwandelt sich der Dezember regelmäßig in ein Advents-Desaster, in dem der Terminkalender wirkt wie der Kontrollraum des Todessterns, man selbst barfuß wie John McClane von einem Termin zum nächsten hetzt – und das Umfeld an eine Horde Gremlins erinnert, die eindeutig nach Mitternacht gefüttert wurde.

Das Advent-Paradox unserer Zeit

Vielleicht liegt darin das Advent-Paradox unserer Zeit: Wir schaffen lauter kleine Inseln der Besinnlichkeit und betreten sie kaum. Der Alltag drängt dazwischen – Aufführungen, Feiern, Geschenke, Plätzchenteig. Gute Absichten treffen auf real gefüllte Kalender.

Bild: ©picture-alliance/ZB/Andreas Lander (Symbolbild)

Im christlichen Sinn ist der Advent eine Einladung: zu warten, ohne bereits zu wissen, wie es ausgeht. Doch viel zu oft sind die vorweihnachtlichen To-do-Listen voll und der Kopf müde.

Gerade Kindern bleibt diese Spannung nicht verborgen. Für sie ist der Advent kein organisatorischer Countdown, sondern eine Zeit des Wachsens, Wartens, Staunens. Sie spüren, wenn wir Erwachsenen innerlich weiterhetzen, während wir behaupten, wir wollten diese Wochen bewusst erleben. Manchmal frage ich mich, ob meine Tochter mit ihrer morgendlichen Kerzenfrage nicht mehr Advent verstanden hat als wir alle zusammen.

Warum Warten heute radikaler ist als jede To-do-Liste

Denn im christlichen Sinn ist der Advent eine Einladung: zu warten, ohne bereits zu wissen, wie es ausgeht. Zu hoffen, ohne Gewissheit. In einer Welt, die jede Antwort binnen Sekunden "ergoogelt", ist das radikal – und vielleicht genau das, was uns fehlt. Ich bleibe einen Moment in der Tür stehen und sehe auf die Kerze auf dem Frühstückstisch, deren Flamme sich trotzig gegen das Morgenchaos auflehnt. Vielleicht stellt sie uns Erwachsenen eine einfache Frage: Wohin schaut ihr gerade?

Mitte Dezember scheint alles längst entschieden: die To-do-Listen voll, der Kopf müde. Vielleicht braucht es jetzt dringend einen Moment der Stille. Diese Woche ist noch nicht Weihnachten. Vielleicht können wir uns daran erinnern, dass Warten selbst ein Geschenk sein kann. Und dass Kinder uns manchmal auf etwas hinweisen, dass wir längst wissen müssten: Kerzen brennen nicht, damit es hell ist. Sie brennen, damit wir hinschauen. Schon allein aus Brandschutzgründen.

Von Stefanie Heinrichs