"Hätte mir vor 20 Jahren sehr geholfen"

Pastoralassistent: DBK-Papier zu sexueller Vielfalt ist Meilenstein

Veröffentlicht am 16.12.2025 um 00:01 Uhr – Von Jasmin Lobert – Lesedauer: 

Münster ‐ Das Papier der Deutschen Bischofskonferenz zu sexueller Vielfalt sorgte für Diskussionen – einige Bischöfe distanzierten sich. Im katholisch.de-Interview sagt Jan Diekmann, Pastoralassistent und Teil der queeren Gemeinde Münster, warum er an die Wirkung des Dokuments glaubt.

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Die Schulkommission der Deutschen Bischofskonferenz hat Ende Oktober ein Papier mit dem Titel "Geschaffen, erlöst und geliebt" vorgelegt. Darin ruft sie Schulen zu einem offenen, respektvollen Umgang mit sexueller Vielfalt auf. Das Dokument beschreibt die Lebenswirklichkeit queerer Jugendlicher, Lehrkräfte und Eltern und formuliert pädagogische sowie schulpastorale Leitlinien gegen Ausgrenzung und Abwertung. Doch der Text sorgt auch für Diskussionen – mehrere Bischöfe distanzierten sich öffentlich.

Jan Diekmann, Pastoralassistent im Bistum Münster und Mitglied der queeren Gemeinde in Münster, begrüßt das Papier dagegen ausdrücklich. Der 34-Jährige spricht von einem "Meilenstein" für die Kirche und ist überzeugt: Hätte es einen solchen Leitfaden schon vor 20 Jahren gegeben, wäre ihm seine eigene Schulzeit deutlich leichter gefallen. Im katholisch.de-Interview erzählt er, was er damals erlebt hat, warum er nach seinem Schulabschluss seinen Religionslehrer kontaktiert hat und weshalb sich die Kirche aus seiner Sicht stärker auf die Seite queerer Menschen stellen sollte.

Frage: Herr Diekmann, Sie sagen, das neue Dokument der Schulkommission der Deutschen Bischofskonferenz zur sexuellen Vielfalt hätte Ihnen "vor 20 Jahren sehr geholfen". Warum?

Diekmann: In meiner Schulzeit kam sexuelle Vielfalt, also Schwulsein, Queer-Sein einfach nicht vor. Wenn überhaupt, dann nur als Schimpfwort. Homosexualität war für mich als junger Mensch deutlich negativ konnotiert. Und das hat es mir schwer gemacht, meine eigene Identität zu finden. Mit dem Papier wäre es leichter gewesen, davon bin ich überzeugt.

Frage: Was macht Sie da so sicher?

Diekmann: Ich denke, dass Kirche damals wie heute eine sehr starke Stimme in der Gesellschaft hat, die gerade, wenn es um solche Themen geht, gehört oder zumindest im Unterbewusstsein adaptiert wird. Ich kann mir schon vorstellen, dass es damals Lehrer gegeben hätte, die sich durch so ein Papier mit der Thematik auseinandergesetzt hätten – so wie es hoffentlich heute einige tun werden.

Linktipp: Schule als Schutzraum: Leitlinien zum Umgang mit sexueller Vielfalt

Das traditionelle katholische Menschen- und Familienbild tut sich schwer mit sexueller Vielfalt und neuen anthropologischen Erkenntnissen. Dennoch müssen auch Schulen und Religionslehrkräfte damit umgehen. Leitlinien der Bischöfe sollen dabei helfen.

Frage: Was hat Sie an dem Dokument besonders bewegt?

Diekmann: Dass die Kirche sexuelle Vielfalt anerkennt – das ist ein Meilenstein. Und ich finde, das hat etwas mit Respekt zu tun, den anderen so wahrzunehmen, wie er ist. Viele haben diese irrationale Angst, dass solche Veröffentlichungen dazu führen, dass mehr Menschen schwul oder queer werden. Aber das ist ein Trugschluss. In meiner Kindheit war Homosexualität weder in der Schule noch sonst wo ein Thema und trotzdem bin ich schwul – weil ich so geboren bin und nicht, weil äußere Faktoren mich dazu gemacht haben.

Frage: Wie sah damals Ihre Lebensrealität aus?

Diekmann: Ich habe nicht nur auf dem Schulhof miterlebt, wie das Schwulsein als Beleidigung galt. Auch ein Freund meines Vaters hatte sich mal sehr abschätzig über Schwule geäußert genauso wie meine beiden Großväter. Das hat mich sehr geprägt. Während meines Fachabiturs sind mal zwei, drei Jungs auf mich zugekommen und haben mir auf sehr negative Art und Weise vorgeworfen, dass ich doch sicherlich schwul sei. Das habe ich dann einfach abgestritten, obwohl ich zu der Zeit bereits damit angefangen hatte, mich zu outen.

Frage: Was hätte Ihnen in dieser Situation geholfen?

Diekmann: Dieser Vorfall hat im Klassenzimmer stattgefunden, also bin ich mir sicher, dass andere Mitschüler das mitbekommen haben, vielleicht sogar der Lehrer. Und da hätte ich mir einfach Solidarität gewünscht. Jemand, der für mich einsteht und sagt: Na und, ist doch ok. Sowas habe ich in der Schule leider nie zu hören bekommen. In so einem Umfeld fällt es einem besonders schwer, zu sich zu stehen und sich zu outen.

Frage: Wann und wie haben Sie sich geoutet?

Diekmann: Das Outing war für mich ein Prozess. Man unterscheidet da zwischen dem inneren und dem äußeren Outing. Das innere Outing hatte ich ungefähr mit 19 Jahren. Ich wusste schon vorher, dass ich schwul bin, aber mit 19 habe ich es akzeptiert. Gleich darauf folgte dann das äußere Outing, allerdings schrittweise. Also erst bei meiner Schwester, dann bei meiner Mutter, dann bei meiner anderen Schwester. Als ich dann nach Münster gezogen bin, 200 Kilometer weit weg von meiner Heimat im Westerwald, konnte ich sagen: Okay, jetzt mache ich es komplett öffentlich, egal was die Leute sagen. Aber dafür brauchte ich diese räumliche Distanz.

Inneres Outing bedeutet, die eigene sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität für sich selbst zu erkennen und zu akzeptieren, während äußeres Outing heißt, diese Identität anderen Menschen mitzuteilen.
Bild: ©Fotolia.com/DragonImages (Symbolbild)

Inneres Outing bedeutet, die eigene sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität für sich selbst zu erkennen und zu akzeptieren, während äußeres Outing heißt, diese Identität anderen Menschen mitzuteilen.

Frage: Und Sie denken, dass ein kirchliches Dokument an dieser Stelle wirklich etwas hätte verändern können? Es gibt Stimmen, die in dem Dokument einen Papiertiger sehen, der nicht wirklich etwas bewirken kann.

Diekmann: Das sehe ich anders. Ich hatte im Fachabitur zum Beispiel einen Religionslehrer, auf den ich sehr große Stücke halte. Er war für mich ein Wegbegleiter und Vorbild. Drei Jahre nach meinem Abschluss habe ich ihm geschrieben, dass ich es gut gefunden hätte, wenn wir damals im Religionsunterricht über die verschiedenen sexuellen Orientierungen gesprochen hätten.

Frage: Was hat Ihr Lehrer geantwortet?

Diekmann: Er gab mir Recht und sagte gleichzeitig, dass es damals nicht im Lehrplan vorgesehen war und dass er es von nun an aufgreifen und in seinem Unterricht thematisieren will. Das zeigt, dass es manchmal nur einen kleinen Anstoß zum Umdenken braucht.

Frage: Und das Dokument "Geschaffen, erlöst und geliebt" kann so ein Anstoß sein?

Diekmann: Das hoffe ich. Schulen müssen zu einem sicheren Ort werden, an dem Jugendliche sich selbst finden können. Aber ich weiß auch, dass das nicht von heute auf morgen passiert, sondern Zeit braucht. In anderen Ländern ist sexuelle Vielfalt noch gar kein Thema. Die sind auf dem Stand, den wir vor 20 Jahren hatten. Aber das heißt im Umkehrschluss nicht, dass wir uns dadurch ausbremsen lassen müssen. Meines Erachtens muss es keinen Gleichschritt in der Weltkirche geben.

Frage: Bischof Oster, Bischof Voderholzer und Kardinal Woelki haben sich von dem Dokument distanziert.

Diekmann: Auch wenn mich das nicht überrascht, hatte ich gehofft, dass sie sich in Menschen wie mich hineinversetzen können – selbst wenn sie nicht so empfinden. Stattdessen habe ich das Gefühl, dass sie solche Themen von Vorneherein ablehnen. 

Zuerst hatte sich Bischof Oster zu dem DBK-Papier geäußert, darauf folgten Bischof Vorderholzer und Erzbischof Kardinal Woelki.
Bild: ©KNA/Harald Oppitz; KNA/Julia Steinbrecht (Archivbild)

Zuerst hatte sich Bischof Oster zu dem DBK-Papier geäußert, darauf folgten Bischof Voderholzer und Kardinal Woelki.

Frage: Die Bischöfe argumentieren unter anderem damit, dass der Text theologische und anthropologische Unklarheiten aufweise und dass er suggeriere, jede Art von Diversität sei von Gott gewollt, gerade im Hinblick auf Transidentität.

Diekmann: Da mache ich direkt mal ein Fragezeichen dran, wenn wir zum Beispiel in die Natur schauen. Dort spielen Diversität und Geschlechtsumwandlung eine große Rolle. Ich kann mir vorstellen, dass der Schöpfer den Menschen genauso bunt geschaffen hat wie die Natur selbst.

Frage: Glauben Sie die Kritik der Bischöfe hat der Rezeption des Dokuments geschadet?

Diekmann: Das Papier ist in der Welt. Jeder kann es sich durchlesen. Letztlich liegt es sowieso an jeder Lehrkraft, an jedem Priester, an jedem Menschen, der in irgendeiner Art Verantwortung hat, ob und wie er oder sie das Gelesene umsetzt. Da ist es eigentlich egal, welcher Bischof da seine Unterschrift daruntersetzt.

Frage: Was gibt es beim Thema sexuelle Vielfalt in Ihren Augen noch zu tun?

Diekmann: Es ist ein Problem, dass sich die Kirche immer noch nicht völlig für queere Menschen öffnet und sich auf ihre Seite stellt. Klar, sind wir – je nachdem auf welches Bistum man schaut – schon einige Schritte weiter, aber ich denke, die Kirche würde sich einen großen Gefallen tun, wenn sie sich grundsätzlich für ausgegrenzte Gesellschaftsgruppen starkmachen würde. Dann wäre sie authentischer als sie es heute ist und würde nach und nach auch wieder mehr Menschen anziehen.

Von Jasmin Lobert