Franziskus fordert in Florenz offene Kirche ein

Kirche im Kontakt mit der Realität

Veröffentlicht am 10.11.2015 um 18:00 Uhr – Lesedauer: 
Papst Franziskus steht am Rednerpult und spricht mit ernsthaften Blick.
Bild: © KNA
Papstreisen

Florenz ‐ Apelle für eine Kirche, die sich für die Lebenswirklichkeit der Menschen öffnet, prägten den Florenz-Besuch des Papstes. Zugleich warnte er vor einer konservativen Weltflucht: Die Kirche dürfe nicht in die Defensive gehen.

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Die Kirche Jesu müsse stets in "gesundem Kontakt" bleiben mit der Realität, wie sie die Menschen erlebten, "mit ihren Tränen und Freuden", so Franziskus. Anders werde es ihr nicht gelingen, die Herzen der Menschen zu erreichen. Diener der Kirche dürften daher nicht der Versuchung verfallen, sich in ihren Ansichten vom Kirchenvolk abzukoppeln, als ginge es sie nichts an und sei ihnen nicht wichtig.

"Die Kirche lebt wie Jesus in der Mitte der Menschen und für die Menschen", fügte Franziskus vor Zehntausenden Menschen hinzu. "Deshalb hat die Kirche in ihrer ganzen Geschichte in sich die Frage getragen: Wer ist Jesus für die Männer und Frauen von heute?" In diesem Zusammenhang lobte Franziskus besonders die Lehren des aus der Toskana stammenden Papstes Leo des Großen (um 400-461), dessen Namenstag am Dienstag begangen wurde.

Papst geißelt Ausbeutung von Arbeitern

Die Messe in Florenz bildete den Abschluss des eintägigen Papstbesuchs in der Toskana. Am Vormittag hatte Franziskus das nahe gelegene Prato besucht, ein Zentrum der italienischen Textilindustrie mit sehr hohem Migrantenanteil. In einer Rede erinnerte er an die sieben chinesischen Arbeiter, die im Dezember 2013 bei einem Fabrikbrand in Prato ums Leben gekommen waren. "Es ist eine Tragödie der Ausbeutung und der unmenschlichen Lebensbedingungen", sagte der Papst.  Franziskus erinnerte daran, dass die fünf Männer und zwei Frauen, die 2013 umkamen, in der gleichen Werkshalle lebten und schliefen, in der sie arbeiteten. "Das Leben einer jeden Gemeinschaft verlangt, dass der Krebs der Korruption und das Gift der Illegalität bis auf den Grund bekämpft werden", sagte der Papst.

„Es bringt keinen Nutzen, angesichts der Übel oder Probleme der Kirche die Lösungen im Konservatismus oder Fundamentalismus zu suchen, in der Restauration von Verhalten und Formen, die nicht einmal mehr kulturelle Bedeutung haben.“

—  Zitat: Papst Franziskus

Im Anschluss sprach der Papst vor den Teilnehmern der Nationalen Konferenz der italienischen Kirche im Dom von Florenz. "Wir dürfen nicht von der Macht besessen sein", warnte er vor rund 2.500 Delegierten. Eine Kirche, die an sich und ihre eigenen Interessen denke, sei traurig. "Ich ziehe eine Kirche, die holprig, verletzt und schmutzig ist, weil sie auf die Straße geht, einer Kirche vor, die krank ist, weil sie sich verschließt und aus Bequemlichkeit an die eigenen Sicherheiten klammert", sagte Franziskus.

Papst: Konservatismus ist keine Lösung

Zugleich warnte Franziskus die Kirche vor einer konservativen Weltflucht. "Es bringt keinen Nutzen, angesichts der Übel oder Probleme der Kirche die Lösungen im Konservatismus oder Fundamentalismus zu suchen, in der Restauration von Verhalten und Formen, die nicht einmal mehr kulturelle Bedeutung haben." Die christliche Lehre sei kein geschlossenes System, das keine Fragen oder Zweifel zulasse; "sie ist lebendig, sie kann beunruhigen, anregen". Der Papst warnte die Kirche, in eine Defensive zu verfallen aus Angst, etwas zu verlieren.

Als die Säulen der kirchlichen Zukunft bezeichnete Franziskus Demut, Verzicht auf Eigeninteressen und das Streben nach Seligkeit. All diese Eigenschaften habe Jesus seiner Kirche vorgelebt. "Unsere Pflicht ist es, dafür zu arbeiten, aus dieser Welt einen besseren Ort zu machen und zu kämpfen." Ausdrücklich sprach Franziskus von der "Option für die Armen", ein Begriff aus der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. "Unser Glaube ist revolutionär aus einem Impuls, der vom Heiligen Geist kommt." Nächstenliebe und Gebet seien der Schlüssel für den christlichen Humanismus.

Papst Franziskus wünscht sich Bischöfe und Priester vom Schlag eines "Don Camillo".
Bild: ©picture alliance / dpa

Papst Franziskus wünscht sich Bischöfe und Priester vom Schlag eines "Don Camillo".

Die Bischöfe und Priester der Kirche rief Franziskus auf, sich ein Vorbild an "Don Camillo" zu nehmen. Ihn beeindrucke an dieser Figur, dass Volksnähe und Gebet "Hand in Hand" gingen. Die italienische Kirche habe große Heilige von Franz von Assisi bis hin zu Philipp Neri, die ihr helfen könnten, den Glauben in Demut und Freude zu leben. "Aber ich denke auch an die Einfachheit von Romanfiguren wie Don Camillo und seinen Widerpart Peppone", so Franziskus. Don Camillo stelle sich selbst als einfacher Landpfarrer vor, der alles und jeden in seiner Pfarrei kenne und die Sorgen und Nöte seiner Gläubigen teile, erklärte er weiter. Das sei zusammen mit dem Gebet der Schlüssel für einen "volksnahen, demütigen, großzügigen, freudigen Humanismus", betonte Franziskus.

Ehepaar berichtet von eigenen Eheannullierungen

Bei der Konferenz im Florentiner Dom hörte Franziskus auch das Zeugnis zweier Eheleute, die nach der Annullierung ihrer vorherigen Ehen geheiratet haben. Das Paar berichtete dem Papst am Dienstag, sie hätten ersten kirchlichen Ehen ohne Bewusstsein für die tiefere Bedeutung des katholischen Sakraments und ohne die nötige innere Reife geschlossen. Der Ehemann sprach vor dem Papst von "acht ermüdenden Jahren" des Verfahrens, bis die beiden im Jahr 2000 gemeinsam vor den Altar treten konnten. Der Papst hatte Anfang September mit zwei Erlassen die Prozesse zur Klärung der Gültigkeit kirchlicher Eheschließungen erheblich vereinfacht. (kim/KNA/dpa)

Linktipp: Der Papst in China-Town

Papst Franziskus hat bei seiner zehnten Inlandsreise die Stadt Prato in der Toskana besucht. In den dort ansässigen Textilfirmen arbeiten Tausende oft illegal eingewanderte Chinesen unter katastrophalen Bedingungen.