Niedergemacht oder hochgejubelt

Vor einigen Jahren habe er noch gedacht, dass das Netz Menschen zusammenführe und zur Ehrlichkeit zwinge, so Marx. "Es ist aber eher ein Diskurs in Nischen." Angesichts von Hemmungslosigkeit in der Sprache und Herabsetzen anderer scheine der Diskurs nicht besser geworden zu sein. Das Netz eröffne zwar faszinierende Möglichkeiten an Kreativität und Wissenserwerb. Aber damit wachse auch die Verantwortung für die Folgen des Handelns.
"Manche wissen über viele Menschen sehr viel - auch Dinge, die Menschen normalerweise nicht preisgeben möchten", sagte der Münchner Erzbischof. Dieses Wissen werde ohne Zustimmung des einzelnen für Vermarktungszwecke genutzt. Notwendig seien deshalb staatliche und demokratisch legitimierte Rahmenbedingungen, die Erlaubtes und Verbotenes anzeigen. "Das übersteigt allerdings die Möglichkeiten eines Nationalstaats."
Spaltung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung?
Eine gemeinsame Überzeugung über das, was im Internet nicht zu ertragen sei, ist laut Marx derzeit nicht erkennbar. Dagegen gebe es aber die große Möglichkeit, Gewinne zu machen. Benötigt werde eine "globale Vergewisserung, was wir im Internet akzeptieren wollen". Da kämen Ethik, Religion und Kultur ins Spiel. Marx warnte vor einer Spaltung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung. Diejenigen, die kreativ und intelligent mit der beschleunigten Technik umgehen könnten, kämen weltweit nach vorn. Wer da aber nicht mitkomme, werde abgehängt. "Durch die Digitalisierung wird die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt wichtiger", sagte er.
Beeindruckt zeigte sich Marx von der Medienpräsenz des Papstes. "Dieser Mann war Erzbischof von Buenos Aires, ist kaum gereist, war als Papst erstmals in den USA, spricht kaum Sprachen. Was macht der aus seinen Möglichkeiten", sagte der Kardinal. "Ohne dass er für Millionen Dollar seine Medienauftritte plant! Es funktioniert." Nach den Worten von Marx gibt es eine Sehnsucht nach Personen, die ohne eigene Interessen für alle sprechen. "Da sehen viele im Papst jemanden, der das darstellt."
"Respekt", sagt Kardinal Reinhard Marx über die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Auch Kanzlerin Angela Merkel erhielt Lob vom Erzbischof. Besonders für ihre Flüchtlingspolitik fand er anerkennende Worte. "Respekt!", sagte er. Angesichts der heftigen Diskussionen sei es bemerkenswert, wie Merkel das aushalte. Angesprochen auf die Haltung der CSU beim Thema Flüchtlinge sagte Marx, jeder habe seine Verantwortung. "Ich glaube aber, dass Politiker, die sich nur treiben lassen von der medial verbreiteten öffentlichen Meinung, keine nachhaltige Politik machen werden." Entscheidungen brauchten Ruhe und Verlässlichkeit.
"Die europäische Grenze darf keine 'Todesgrenze' sein"
Das "C" im Parteinamen bedeutet laut Marx, dass jeder Mensch unabhängig von Religion, Geschlecht und Herkunft Bild Gottes sei. Jeder Mensch in Not müsse ein faires Verfahren bekommen. "Unter dieses Niveau darf man nicht sinken", betonte der DBK-Vorsitzende. "Und: Die europäische Grenze darf keine 'Todesgrenze' sein." Marx wies die Behauptung zurück, Merkel habe Flüchtlinge ermuntert, nach Deutschland zu kommen. "Sie bezahlen bis zu 10.000 Dollar, riskieren dann ihr Leben, verlassen alles nur wegen Frau Merkel?" Die Flüchtlinge kämen, weil sie die Hoffnung auf Zukunft in ihren Ländern verloren hätten.
Marx bedauerte es, dass die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht Ängste in der Öffentlichkeit geschürt hätten und die vielen positiven Leistungen in der Flüchtlingsarbeit in den Hintergrund verdrängten. Erschreckend sei, dass sich selbst die Mitte der Gesellschaft in der Flüchtlingsfrage radikalisiere. Bis in bürgerliche und selbst christliche Kreise hinein höre man gelegentlich ungewohnte Töne. "Der rechte Populismus und Nationalismus nimmt zu."
Ein stärkerer Fundamentalismus geht laut Marx quer durch alle Religionen, Länder und Gesellschaften, "allerdings in besonderer Gewaltbereitschaft im Islam". Dies beunruhige ihn sehr. "Vielleicht brauchen wir ein noch stärkeres Miteinander der Religionen, gerade auf Weltebene", so der Kardinal. Hier könne möglicherweise der Papst aktiv werden. (jml/KNA)