Hebammen kämpfen für die Zukunft ihres Berufsstandes

Wenn Leben schenken zur Herausforderung wird

Veröffentlicht am 07.03.2016 um 00:01 Uhr – Von Michael Kniess – Lesedauer: 
Medizin

Erlangen ‐ "Hebammen fürchten um ihre Zukunft" - Schlagzeilen dieser Art waren in den vergangenen Jahren oft zu lesen. Doch viele Hebammen wollen sich mit immer neuen Krisenmeldungen nicht abfinden und kämpfen für die Zukunft ihres Berufsstandes.

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Es ist der wichtigste Beruf der Welt: Mit ihm fängt alles Leben an. Seit Jahrhunderten leisten Hebammen mit ihrem Wissen und Können Schwangeren, jungen Müttern und Familien Beistand. Gleichzeitig macht der Beruf aber derzeit insbesondere dadurch Schlagzeilen, dass er keine Zukunftsperspektive zu bieten scheint. Allen voran für freiberuflich tätige Hebammen ist die nach wie vor ungeklärte Situation um die hohe Haftpflichtversicherung ein existenzielles Risiko.

Auch eine zunehmende Verschlechterung der strukturellen Arbeitsbedingungen, insbesondere in kleinen Kliniken, verändern den Beruf. Denn auch in den Krankenhäusern gilt: Gut ist, was sich rechnet. Wenn also viele Geburten mit möglichst wenig Personal abgewickelt werden können, freut dies den Klinikbetreiber. Die Folge: Schließende Kreißsäle und Geburtshäuser insbesondere in ländlichen Gebieten, Unsicherheit bei den werdenden Müttern.

"Die Geburt ist ein sehr echter Moment im Leben"

Von ihrem Weg abbringen lassen sich die drei jungen Hebammenschülerinnen trotz solch abschreckender Meldungen aber nicht. Für Sophia Lehner ist die Tätigkeit ohnehin mehr Berufung, denn bloßer Broterwerb. "Man leistet jeden Tag etwas ganz Besonderes", sagt sie. Auch für Eva Fella war bereits in frühen Kindheitstagen klar, was sie später machen möchte: Am Berufswunsch Hebamme hat sich seit ihren Einträgen als Achtjährige in Poesiealben ihrer Freunde nichts geändert. "Die Geburt ist ein sehr echter Moment im Leben. Alle, die dabei anwesend sind, spüren die Bedeutung und die Ernsthaftigkeit. Das hat etwas sehr Schönes."

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Ohne eine Hebamme geht bei einer Geburt nichts - da sind sich alle einig. Die Politik, die Kassen und vor allem die Eltern. Doch wegen der gestiegenen Tarife für Haftpflichtversicherungen fürchten viele freiberufliche Hebammen um ihre Existenz.

Dass das Geld verdienen gerade für selbstständige Hebammen, die Geburtshilfe leisten, zunehmend schwieriger wird, ist den jungen Frauen bewusst. Von 2002 bis 2015 haben sich deren Haftpflichtversicherungsprämien mehr als verzehnfacht. Grund dafür sind nicht etwa mehr geburtshilfliche Schadensfälle, für die Hebammen verantwortlich sind. Vielmehr sind die Ausgaben für schwere Schäden drastisch gestiegen. Zum einen, weil auch schwer behinderte Kinder dank des verbesserten medizinischen Fortschritts heute länger leben. Zum anderen sind auch Schadensersatzansprüche in die Höhe geschnellt.

Inzwischen muss eine Hebamme, die freiberuflich Geburtshilfe anbietet, mehr als 6.000 Euro nur für ihre Berufshaftpflichtversicherung bezahlen. Im Juli 2016 steigt die Haftpflicht um weitere neun Prozent, Tendenz steigend. Dabei ist es egal, ob sie als Hausgeburts- oder Geburtshaushebamme vielleicht nur wenige Geburten im Jahr begleitet oder ob sie als sogenannte Beleghebamme im Krankenhaus arbeitet und dort viele Geburten betreut.

In den vergangenen Jahren sind deshalb immer mehr freiberufliche Hebammen aus dem Beruf und insbesondere aus der Geburtshilfe ausgestiegen. Die Prämien können sie nicht mehr erwirtschaften. Der Deutsche Hebammenverband (DHV) geht davon aus, dass eine freiberuflich tätige Hebamme nach Abzug aller Beiträge, Mieten und weiterer Kosten einen durchschnittlichen Nettoverdienst von 8,50 Euro pro Stunde hat.

Bild: ©milazvereva/Fotolia.com

"In der hochsensiblen Situation der Geburt ist es wichtig, dass sich Frauen gut aufgehoben fühlen. Sie müssen darauf vertrauen können, dass sie selbst entscheiden können, wo und wie sie ihr Kind zur Welt bringen möchten", so der Sozialdienst katholischer Frauen.

Ein so genannter Sicherstellungszuschlag soll Abhilfe schaffen, wird jedoch nach Einschätzung des Verbandes nicht alle betroffenen Hebammen ausreichend entlasten können. Auch der unlängst durch die gesetzliche Krankenversicherung geleistete Ausgleich für rund 3.000 freiberufliche Hebammen sei nicht ausreichend. Eine mögliche Lösung: ein Haftungsfonds, der bei Schäden einspringt, die über eine Haftungsobergrenze hinausgehen. Ausgang: ungewiss. Trotz dieser Hürden und Erschwernisse lieben die drei jungen Frauen ihren Beruf. Blauäugig sind sie dabei keinesfalls. "Wir wissen sehr genau, dass wir sehr viel arbeiten müssen, um davon leben zu können, aber das ist es wert", sagt Susanne Eyerer. "Hebamme zu sein, ist einer der wichtigsten Berufe der Welt. Weil mit ihm alles anfängt und jeder mit der Hilfe einer Hebamme geboren wird."

Es ist die Vielfältigkeit, die für sie reizvoll ist. "Wir sind zudem oft auch als Seelentröster gefragt", sagt Susanne Eyerer. "Mit der Geburt ändert sich gerade im Leben von jungen Eltern alles, da kommt es immer wieder auch zu partnerschaftlichen Problemen." In dieser Zeit seien sie insbesondere gefragt, Halt zu geben und die Familien mit viel Einfühlungsvermögen durch diese Zeit zu begleiten.

Sofern es noch Hebammen gibt. Zwar hat jede Schwangere und Mutter einen gesetzlich garantierten Anspruch auf Unterstützung durch eine Hebamme. Schon heute finden Schwangere an vielen Orten jedoch keine Hebamme mehr, die sie durchgehend während der Geburt im Krankenhaus betreut. Viele Hebammen sind Monate im Voraus ausgebucht. Auch Frauen, die sich für eine Hausgeburt oder Geburt im Geburtshaus entscheiden, suchen oft vergeblich. Das Gleiche gilt für die Wochenbettbetreuung und Schwangerenvorsorge.

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Video: © EinsPlus/EIKON Nord

Freisprecher: "Ihr Kinderlein kommet?" - Julia Schultze arbeitet seit 6 Jahren als Hebamme im Geburtshaus in Hamburg Altona.

Für Nadine Mersch vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) ein Unding: "Wir brauchen schnellstmöglich eine Lösung, die es den betroffenen Hebammen ermöglicht, ohne existenzielle Sorgen ihren wichtigen Aufgaben nachgehen zu können", sagt sie. "In der hochsensiblen Situation der Geburt ist es wichtig, dass sich Frauen gut aufgehoben fühlen. Sie müssen darauf vertrauen können, dass sie selbst entscheiden können, wo und wie sie ihr Kind zur Welt bringen möchten."

Dafür, dass dies so bleibt, wollen Sophia Lehner, Susanne Eyerer und Eva Fella auch in Zukunft sorgen. Nachwuchsförderung nehmen die drei jungen Frauen wörtlich. Hebamme zu sein, das ist für sie immer auch eine Berufung, nicht nur ein Beruf. Dass ihr Handwerk bei der Deutschen Unesco-Kommission zur Aufnahme in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes vorgeschlagen wurde, ist für sie längst überfällig.

Von Michael Kniess