Jesus der Provokateur
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Impuls von Schwester Veronica Krienen
Die Szene, die uns im heutigen Evangelium geschildert wird, könnte für die Titelseite der Zeitung mit den großen Buchstaben taugen. Jesus begegnet den Zuhörern nach seiner Predigt in Nazaret, und nach anfänglichem Beifall schaukelt sich eine Eskalationsspirale hoch. Die erregte Zuhörerschaft treibt Jesus schließlich zu einem Abhang und will ihn hinabstürzen.
Was ist passiert? Die staunende Zustimmung beginnt umzuschlagen, als es nicht mehr um die Worte der Predigt geht, stattdessen schieben sich die Erwartungen und Vorstellungen der Zuhörer in den Vordergrund: "Den kennen wir doch, das ist doch der und der." Die Möglichkeit eines offenen Zuhörens ist vorbei, sobald die Botschaft an den eigenen Wünschen abgeglichen wird. Solche Vorstellungen und Erwartungen aneinander tragen Menschen – ausgesprochen oder unausgesprochen – immer mit sich: "Wenn der neue Bischof kommt, muss er als erstes…", "Die Chefin sollte jetzt aber…", "Der ist doch konservativ/progressiv, der wird bestimmt…"
Was in unserer Szene an solchen geheimen Gedanken abläuft, spricht Jesus offen an. Und dann setzt er provokant noch einen drauf. Es geht ihm nicht nur um das Heil seiner Zuhörer, sondern um das Heil aller Menschen. Als Jesus das andeutet, gehen die Aggressionen hoch. Enttäuschung und Ärger darüber, dass Jesus so ganz anders ist, macht sich breit.
Wie ist das bei mir? Kann ich Jesus hören, auch wenn er mir nicht das sagt, was ich von ihm erwarte? Wie offen bin ich, wenn Jesus sich nicht als der liebe Jesus zeigt, sondern als der, der seinen Finger in die Wunde legt, der entlarvt und provoziert, der mich in meinem Denken, Fühlen und Handeln in je größere Weite führen will.
Neben diesem Blick auf seine Zuhörer, lohnt heute auch ein Blick auf das Verhalten Jesu: Er bekommt die zustimmende und ablehnende Wirkung seiner Rede hautnah mit. Wie komme ich an, das kann man sich am Anfang einer neuen Laufbahn schon mal fragen. Wie komme ich rüber mit dem, was ich zu sagen habe, können die Menschen mit dem, was ich einzubringen habe, etwas anfangen?
Zustimmung und Ablehnung erfahren auch wir. Beides sind echte Klippen, mit denen nicht einfach umzugehen ist. Die Zustimmung, der Beifall kann mich vernebeln, so dass ich nicht mehr klar reagieren kann. Die Ablehnung kann mir Angst oder Wut einjagen, und auch dann ist oft jeder klare Gedanke dahin. Jesus lässt sich weder von Beifall noch von Ablehnung irre machen, in beidem bleibt er klar. Der Beifall bringt ihn nicht davon ab, wunde Punkte anzusprechen, und auch in der Ablehnung bleibt er ruhig und souverän auf seinem Weg – ein echter Hingucker.
Aus dem Evangelium nach Lukas (Lk 4, 21-30)
In jener Zeit begann Jesus in der Synagoge in Nazaret darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt. Seine Rede fand bei allen Beifall; sie staunten darüber, wie begnadet er redete, und sagten: Ist das nicht der Sohn Josefs?
Da entgegnete er ihnen: Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst! Wenn du in Kafarnaum so große Dinge getan hast, wie wir gehört haben, dann tu sie auch hier in deiner Heimat! Und er setzte hinzu: Amen, das sage ich euch: Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt.
Wahrhaftig, das sage ich euch: In Israel gab es viele Witwen in den Tagen des Elija, als der Himmel für drei Jahre und sechs Monate verschlossen war und eine große Hungersnot über das ganze Land kam.
Aber zu keiner von ihnen wurde Elija gesandt, nur zu einer Witwe in Sarepta bei Sidon. Und viele Aussätzige gab es in Israel zur Zeit des Propheten Elischa. Aber keiner von ihnen wurde geheilt, nur der Syrer Naaman.
Als die Leute in der Synagoge das hörten, gerieten sie alle in Wut. Sie sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt hinaus; sie brachten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, und wollten ihn hinabstürzen. Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg.
