Gericht weist Revision zurück

Kardinal Pell bleibt wegen Missbrauchs in Haft

Veröffentlicht am 21.08.2019 um 08:45 Uhr – Lesedauer: 

Melbourne ‐ Das Urteil im Revisionsverfahren um Kardinal George Pell ist gefallen: Die Richter sehen es als erwiesen an, dass Pell 1996 einen 13 Jahre alten Chorknaben missbrauchte und einen anderen belästigte. Der Kardinal bleibt somit in Haft – obwohl ihm noch eine Möglichkeit der Berufung bleibt.

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Der australische Kardinal George Pell bleibt wegen sexuellen Missbrauchs in Haft. Das Oberste Gericht des Bundesstaats Victoria wies am Mittwochmorgen (Ortszeit) in Melbourne die Revision des früheren vatikanischen Finanzchefs zurück und bestätigte die sechsjährige Haftstrafe. In dem Revisionsverfahren sahen es die Richter mit zwei zu eins Stimmen als weiter erwiesen an, dass Pell 1996 als Erzbischof von Melbourne einen 13 Jahre alten Chorknaben missbrauchte und einen anderen belästigte. Eine Geschworenen-Jury hatte den katholischen Geistlichen im Dezember 2018 für schuldig befunden.

Im ersten und wesentlichen der insgesamt drei Revisionsgründe hätten die drei Richter mit der Mehrheit von 2:1 die Revision abgelehnt, sagte die Vorsitzende Richterin Anne Ferguson in der vom Gericht am Mittwoch live im Internet übertragenen Urteilsverkündung. Pell (78) war im Gerichtssaal anwesend. Gleich nach der mündlichen Verlesung des Urteils und einer knappen Zusammenfassung der Gründe wies Richterin Ferguson die Justizvollzugsbeamten an, den Kardinal wieder ins Gefängnis zu bringen.

Der ehemalige Erzbischof von Melbourne und Sydney, der von 2013 bis 2018 das vatikanische Wirtschaftssekretariat leitete, ist der bisher höchste katholische Würdenträger, der von einem weltlichen Gericht wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt wurde. Pell war im Dezember 2018 von einer Jury für schuldig befunden worden, als Erzbischof von Melbourne einen der beiden Chorknaben zum Oralverkehr gezwungen und das zweite Opfer sexuell belästigt zu haben. Im März 2019 verurteilte ein Richter den Kardinal dafür zu sechs Jahren Haft, von denen Pell mindestens drei Jahre und acht Monate absitzen muss, bevor er auf Bewährung entlassen werden kann. Der Kardinal hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen und seine Anwälte waren wegen der aus ihrer Sicht zu dünnen Beweislage in Revision gegangen. Auch gegen die Bestätigung des Urteils ist eine letzte Berufung vor dem Obersten Gericht Australiens möglich. Pell hatte allerdings angekündigt, das Revisionsurteil akzeptieren zu wollen.

Missbrauchsopfer "sehr erleichtert"

Vivian Waller, Anwältin des Missbrauchsopfers, sagte in australischen Medien, ihr Mandant sei über die Entscheidung "sehr erleichtert". Sowohl sie als auch alle anderen am Verfahren beteiligten Juristen wollten die schriftliche Urteilsbegründung "sehr sorgfältig" lesen. "Mir wurde gesagt, sie sei 300 Seiten lang. Die vollständige Prüfung der Urteilsbegründung zu prüfen, wird etwas Zeit in Anspruch nehmen", sagte Waller. Pells Anwalt sagte gegenüber australischen Medien, sein Mandant habe nun 28 Tage Zeit, um vor dem Obersten Gericht gegen die Entscheidung vorzugehen.

Im ersten und wichtigsten Revisionssgrund hatten die Anwälte Pells die Glaubwürdigkeit des Missbrauchsopfers in Zweifel gezogen. Darüber hinaus sei die Verurteilung von Pell einzig auf Grund der Aussage des Betroffenen nicht "zweifelsfrei" möglich gewesen. Die drei Richter wiesen diese Einlassung mit 2:1 Stimmen zurück. Zudem betonte Richterin Ferguson mit Verweis auf die weltweite Medienberichterstattung über die Ermittlungen und Anklagen gegen Pell: "Es ist wichtig, von Anfang an zu betonen, dass die Verurteilung des Kardinals nur auf den fünf ihm zur Last gelegten Taten beruht. Er wird nicht zum Sündenbock für vermeintliches Versagen der katholischen Kirche noch für Versagen im Zusammenhang mit sexuellem Kindesmissbrauch durch andere Kleriker gemacht."

Bild: ©Paul Haring/CNS photo/KNA

Auch der neue vatikanische Pressesprecher Matteo Bruni (links) kommentierte den Ausgang des Verfahrens.

Der Vatikan erkennt das Urteil gegen Pell an. Gleichzeitig erinnere man daran, dass der Kardinal sich während des gesamten bisherigen Verfahrens für unschuldig erklärt habe, heißt es in einer am Mittwochmorgen verbreiteten Erklärung des vatikanischen Pressesprechers Matteo Bruni. Auch habe der Kardinal weiterhin das Recht, beim Obersten Gericht Australiens in Berufung zu gehen. In der Erklärung des Vatikan-Sprechers heißt es weiter, zusammen mit der Kirche Australiens bekräftige der Heilige Stuhl seine Nähe zu den Opfern sexuellen Missbrauchs. Mit Hilfe der eigenen zuständigen kirchlichen Autoritäten werde man weiterhin konsequent gegen Kleriker vorgehen, die derartige Taten begingen.

"Viele werden Schwierigkeiten haben, sich mit diesem Urteil abzufinden"

Die Erzbischöfe von Sydney und Melbourne haben mit Betroffenheit auf die Bestätigung der Verurteilung reagiert. "Ich weiß, dass es unter den Katholiken und darüber hinaus viele gibt, die Schwierigkeiten haben werden, sich mit diesem Urteil abzufinden", heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung des Erzbischofs von Sydney, Anthony Fisher. Über den "Status des Kardinals in der Kirche" könne nur der Vatikan entscheiden, so der 59-jährige Fisher und fügte hinzu: "Ich gehe davon aus, dass der Heilige Stuhl damit warten wird, bis die Berufungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind." Der Erzbischof von Melbourne, Peter Comensoli, rief dazu auf, das Urteil zu akzeptieren. "Ich nehme die Entscheidung des Gerichts mit Respekt an und ermutige jeden, das gleiche zu tun", betonte Comensoli. Der 55-Jährige fügte hinzu: "In christlicher Nächstenliebe werde ich sicherstellen, dass Kardinal Pell bei der Verbüßung seiner Haftstrafe gemäß der Lehre und dem Vorbild Jesu pastorale und spirituelle Unterstützung erhält."

Australiens Regierung lehnte eine Kommentierung des Urteils mit Verweis auf "die Unabhängigkeit der Justiz" und die Berufungsoption ab. "Unsere Gedanken sind in dieser unglaublich schwierigen Zeit bei den Opfern und ihren Familien", hieß es weiter in der Stellungnahme der Regierung.

Die Behörden untersuchen derzeit auch, ob ein Online-Brief, den Pell kürzlich offenbar an Anhänger geschickt hat, gegen die Gefängnisregeln verstoßen hat. Darin bezeichnete er die Vorbereitungen auf die Amazonas-Synode als "verstörend". Das Arbeitspapier, das sogenannte Instrumentum laboris, sei "nicht das erste Dokument von schlechter Qualität, das das Synodensekretariat erstellt hat", heißt es in dem Schreiben weiter. Das Justizministerium in Melbourne hatte Ermittlungen wegen des auf Twitter veröffentlichten Briefes eingeleitet. Häftlingen sei es nicht erlaubt, etwas in Sozialen Medien zu posten oder andere um Postings in ihrem Namen zu bitten. Eine Gruppierung namens "Unterstützer von Kardinal George Pell" hatte das Schreiben auf Twitter hochgeladen. (tmg/KNA)

21.8., 8:55 Uhr: Ergänzt um Stellungnahme des Vatikans. 9:40 Uhr: Ergänzt um Stellungnahme der australischen Erzbischöfe.