Sexualität nach kirchlichen Vorgaben nicht "toxisch, sondern möglich"

Theologin: Sexualmoral nicht für Missbrauch verantwortlich machen

Veröffentlicht am 28.07.2020 um 11:41 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Die Theologin Katharina Westerhorstmann fordert, die Gründe für den Missbrauchsskandal nicht in der kirchlichen Sexualmoral zu suchen. Stattdessen sieht sie andere Ursachen in der katholischen Kirche. Auf den Prüfstand gehöre die Sexualmoral dennoch.

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Die Theologin Katharina Westerhorstmann hat davor gewarnt, die Sexualmoral für den Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche verantwortlich zu machen. "Immer wieder werden missbrauchende Kleriker als Opfer einer radikalen Sexualmoral, des Zölibatversprechens oder der kirchlichen Haltung zu gelebter Homosexualität angesehen oder ihre Übergriffe sogar als ein Überspringen von Zuneigung dargestellt", schreibt Westerhorstmann in der "Herder Korrespondenz" (August). Dabei belege die 2018 veröffentlichte MHG-Studie etwas anderes: Mehr als 80 Prozent der Taten würden nicht spontan geschehen, sondern seien geplant, so die Moraltheologin. Sie führt außerdem an, dass Jungen in sämtlichen Institutionen dreimal so häufig Opfer des sexuellen Missbrauchs werden wie Mädchen.

Laut Westerhorstmann müsste sich "eine wirksame innerkirchliche Missbrauchsaufarbeitung stärker von der Schutzwürdigkeit und Verletzlichkeit von Kindern und Jugendlichen her ableiten". Ebenfalls müssten angehende Priester in den Bereichen Beziehungsfähigkeit, Empathie und Unrechtsbewusstsein ausgebildet werden, da Missbrauchstäter "fast immer einen ausgeprägten Mangel an Verständnis für das Leiden der Betroffenen" hätten.

Bessere Vorbereitung auf das zölibatäre Leben

Priester müssten zudem besser auf die zölibatäre Lebensform vorbereitet werden, auch weil ein Großteil der Kleriker diese Ausbildung im Priesterseminar als unzureichend bewerte. "Die geforderte Enthaltsamkeit muss dabei ebenso klar thematisiert werden wie die Notwendigkeit, in guten Beziehungen zu leben, um Vereinsamung, Frustration und Egoismus vorzubeugen", so Westerhorstmann. Der Zölibat habe nur dann eine Zukunft, wenn er nicht ausschließlich als zu leistender Verzicht gesehen werde, "sondern als Verwirklichung einer liebenden Bindung an Gott, die echte mitmenschliche Beziehungen nicht erschwert, sondern im Gegenteil erfordert und ermöglicht".

Westerhorstmann nahm auch Bezug auf den Reformprozess in der katholischen Kirche Deutschlands: "Der innerkirchliche Diskurs würde an Aufrichtigkeit gewinnen, wenn man beim Synodalen Weg die Missbrauchsfälle nicht mehr zum Anlass nähme, sich einseitig auf Liberalisierung zu fokussieren." Man solle sich nicht "auf die Anerkennung von außerehelichen Geschlechtsbeziehungen, Selbstbefriedigung, homosexuellen Handlungen, künstlicher Empfängnisverhütung und die Kommunionszulassung zivil verheirateter Geschiedener" konzentrieren, sondern " verstärkt Missbrauchsfälle mit Missbrauchsfällen vergleichen", fordert die Theologin.

Sexualmoral gehört "tatsächlich auf den Prüfstand"

Verantwortliche in den Bistumsleitungen hätten sich darüber hinaus öffentlich zu eigenen Verfehlungen bekennen müssen, heißt es weiter. "Offenbar ist die Haltung eines Generalvikars, er werde nur sagen, was unbedingt notwendig sei, weiter verbreitet, als man meinen mag." Der Leitungsgedanke bezüglich "sexueller Reinheit" bedarf laut der Theologin einer "gnadentheologischen Korrektur"; die Sexualmoral und ihre Verkündigung gehörten "tatsächlich auf den Prüfstand". Dabei setze sie jedoch auf Kontinuität statt auf einen Bruch. Eine Sexualität "nach den aktuellen kirchlichen Vorgaben" sei "keineswegs toxisch, sondern möglich".

Katharina Westerhorstmann ist designierte Professorin für Theologie an der "Franciscan University of Steubenville" in den USA. Sie gehört der Synodalversammlung sowie dem Synodalforum zu Sexualität und Partnerschaft – auch schlicht "Sexualmoral" genannt – des Synodalen Weges an. (mpl)