Oberhirte soll sich für Veröffentlichung der Kölner Missbrauchsstudie einsetzen

"Maria 2.0" Paderborn an Erzbischof Becker: "Wir brauchen Ihre Hilfe!"

Veröffentlicht am 09.12.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Paderborn ‐ Es mag etwas merkwürdig erscheinen: Paderborner "Maria 2.0"-Anhängerinnen bitten ihren Erzbischof, sich für die Veröffentlichung der Kölner Missbrauchsstudie einzusetzen. Doch die Kirche in Deutschland liegt den Frauen am Herzen und sie wissen, dass das Erzbistum Köln ein "wesentlicher Teil" davon ist.

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"Ich bin bestürzt und fassungslos!" Mit diesen Worten beschreibt Claudia Siegel ihre Reaktion auf die Ende Oktober gemachte Ankündigung des Erzbistums Köln, die bei einer Münchener Anwaltskanzlei in Auftrag gegebene Missbrauchsstudie für die Erzdiözese nicht zu veröffentlichen. Die 48-jährige Paderbornerin weiß zwar, dass nun ein anderer Jurist ein unabhängiges Gutachten zum Umgang des Erzbistums mit den Missbrauchsfällen der vergangenen Jahrzehnte erstellt. Doch die "derzeitigen Ereignisse in Köln" seien der sprichwörtliche Tropfen, der nach ihrem persönlichen Empfinden der Situation der Kirche das Fass zum Überlaufen gebracht habe, so Siegel. 

Neben der Nicht-Veröffentlichung der bistumseigenen Missbrauchsstudie gehört für die Krankenschwester zu diesen "Ereignissen" der in Medienberichten als fragwürdig geschilderte Umgang der Erzdiözese Köln mit dem Betroffenenbeirat der Missbrauchsopfer. Siegel fasst aber auch die Abschaltung der Homepage der Katholischen Hochschulgemeinde Köln durch das Generalvikariat darunter. Auslöser dafür war ein kritisches Positionspapier, in dem die Studierenden und die Seelsorger ihre Besorgnis um die Glaubwürdigkeit der Kirche ausgedrückt hatten.

Gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen der Paderborner Gruppe von "Maria 2.0", der sich Siegel kurz nach Gründung der Initiative in Münster vor einem Jahr anschloss, vernetzt sie sich mit den anderen Kreisen von Aktivistinnen im Erzbistum. Das Ziel: Die Frauen aus Paderborn, Dortmund, Bielefeld und dem Sauerland möchten "ihren" Erzbischof Hans-Josef Becker um Hilfe dabei bitten, Kardinal Rainer Maria Woelki doch noch zu einer Veröffentlichung der Missbrauchsstudie zu bewegen. Vor zwei Wochen hatte der Kölner Erzbischof zwar eine Einsichtnahme für bestimmte Personengruppen wie Missbrauchsopfer oder Journalisten in Aussicht gestellt. Einer allgemeinen Veröffentlichung erteilte er jedoch zum wiederholten Mal eine Absage und führte rechtliche Gründe dafür an.

Bild: ©KNA (Archivbild)

Der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker lobte im vergangenen Jahr ausdrücklich das Engagement der Frauen von "Maria 2.0".

Unter der Federführung Siegels schreiben 17 "Maria 2.0"-Aktivistinnen im Erzbistum Paderborn daher im November einen Brief an Becker. Sie wollen zeigen, dass die Empörung der Gläubigen über die als bewusste Zurückhaltung durch die Kölner Bistumsleitung empfundene Nicht-Veröffentlichung der Studie noch lange nicht vorbei ist. Überschrieben ist das Dokument, das katholisch.de vorliegt, mit einem eindringlichen Aufruf an den Oberhirten: "Wir brauchen Ihre Hilfe!" Für die Frauen seien die aktuellen Entwicklungen in der deutschen Kirche "unerträglich". Und weiter: "Uns ist bewusst: Köln ist nicht 'die katholische Kirche in Deutschland' – aber das Erzbistum Köln ist ein wesentlicher Teil der deutschen katholischen Kirche."

Vorgehen der Kölner Bistumsleitung sei "zutiefst unchristlich"

Die Frauen rufen Erzbischof Becker konkret dazu auf, seinen Einfluss in der Bischofskonferenz dafür einzusetzen, "dass die Akten freigegeben werden". Durch das Zurückhalten der Kölner Missbrauchsstudie sei "so viel Schaden entstanden", dass "von einem erneuten Missbrauch, einer Retraumatisierung der Opfer" gesprochen werden könne. Sie kritisieren dieses Vorgehen mit harten Worten: Es sei "zutiefst unchristlich" und diene dem "Erhalt der kirchlichen Machtstrukturen". Mit ihrem Appell knüpfen die Paderbornerinnen an den Aufruf ihrer "Maria 2.0"-Mitstreiterinnen aus dem Erzbistum Köln an, die ebenfalls vehement eine Veröffentlichung des Gutachtens der Münchener Kanzlei gefordert hatten. Seitens der Kölner Bistumsleitung müsse im Missbrauchsskandal Verantwortung übernommen werden, um "wieder Glaubwürdigkeit herzustellen, falls das überhaupt noch möglich ist", hatte die Kölner "Maria 2.0"-Sprecherin Maria Mesrian bei einer Mahnwache gesagt.

In einem losen Kontakt zu Becker, der das Engagement der Frauen-Initiative im vergangenen Jahr ausdrücklich gelobt hatte, stehen die Mitglieder von "Maria 2.0" Paderborn bereits seit dem Frühjahr. "Wir bemühen uns, unseren Wunsch nach einer geschlechtergerechten Kirche und der konsequenten Aufarbeitung von Missbrauch durch Kirchenmitarbeiter immer wieder in die Öffentlichkeit zu tragen", erläutert Siegel die Ziele der Gruppe. Daher habe man im Frühjahr gemeinsam mit dem Frauenverband "kfd" eine Postkartenaktion gestartet: Mehrere Wochen lang wurden dem Paderborner Erzbischof immer wieder einige Dutzend Karten mit den Wünschen der Frauen für die Kirche in den Briefkasten geworfen. Becker antwortete "Maria 2.0" in einer E-Mail, dass er um die "Enttäuschungen vieler Frauen wisse und die Gefahr einer Entfernung von der Kirche wahrnehme", so Siegel. Er habe damals jedoch auch um Verständnis dafür gebeten, dem Wunsch der Frauen nach einem Treffen nicht nachkommen zu können.

Ein Van mit der Aufschrift Beichtmobil
Bild: ©KNA/Anita Hirschbeck/ (Archivbild)

Mit diesem "Beichtmobil" forderte die diözesane Gruppe der Initiative "Maria 2.0" im November 2020 vor dem Kölner Dom die Bistumsleitung des rheinischen Erzbistums dazu auf, Verantwortung im Missbrauchsskandal zu übernehmen.

Die Antwort des Paderborner Erzbischofs auf den Brief zur Kölner Missbrauchsstudie fiel nun aber anders aus: "Es wird ein Gespräch zu Beginn des neuen Jahres geben", sagt Benjamin Krysmann von der Pressestelle des Erzbistums auf Anfrage von katholisch.de. Becker habe den Frauen geschrieben und ein Treffen im Januar in Aussicht gestellt, sofern die Corona-Pandemie dies zulasse. Ein konkreter Termin müsse noch gefunden werden. Ob Becker sich zu einem Fürsprecher der Anliegen der Frauen machen werde, kommentiert Krysmann nicht. Der Pressesprecher bemerkt jedoch, dass im Brief der Paderborner "Maria 2.0"-Initiative "viele Themen in einem Atemzug" genannt würden. Siegel berichtet, dass neben ihr vier weitere Frauen an dem Gespräch teilnehmen werden. Dabei sollte aus jeder Ortsgruppe wenigstens eine Vertreterin dabei sein.

Ihre Erwartungen an das Treffen bezeichnet das engagierte Gemeindemitglied als "realistisch". Man wisse um die Strukturen der Kirche in Deutschland und die Handlungsmöglichkeiten der einzelnen Bischöfe. Dennoch hofft Siegel, dass Becker und die anderen Oberhirten ihrer "moralischen Verantwortung" nachkommen und das Anliegen der Frauen unterstützen: "Es muss doch ein brüderliches Korrektiv unter den Bischöfen geben." Becker sei als Paderborner Oberhirte wie selbstverständlich der "erste Adressat" ihrer Bitte gewesen. Als "unser Vertreter in der Bischofskonferenz" könne er gegenüber seinen Amtskollegen geltend machen, dass "ihm seine 'Schäfchen' den Auftrag gegeben haben, sich für die Herausgabe der Kölner Missbrauchsstudie einzusetzen".

Egal wie das Gespräch mit Erzbischof Becker im Januar ausgehen wird – Siegel und ihre Mitstreiterinnen wollen sich weiterhin für eine Erneuerung der Kirche einsetzen: "Wir wollen den Finger auch in Zukunft in die Wunde legen." Da die Kirche bei ausbleibenden Veränderungen viele engagierte Gläubige verlieren werde, bestehe "dringender Handlungsbedarf". Auch wenn es in der Corona-Krise ruhig um die Bewegung "Maria 2.0" geworden sei, bedeute das nicht, dass sich diese kritische Stimme der Frauen in der Kirche nicht mehr erheben werde.

Von Roland Müller