Kölner Debatte offenbare grundsätzliche Probleme bei Missbrauchsaufarbeitung

Jesuit Mertes: Kardinal Woelki ist "nur die Spitze eines Eisbergs"

Veröffentlicht am 22.02.2021 um 11:13 Uhr – Lesedauer: 

Frankfurt ‐ "Unterhalb des Wasserspiegels schwimmt der eigentliche Klotz: Hierarchie, Verbände, kirchliche Gremien, Gemeinden und auch die kirchliche Presse ... kommen aus ihrer Selbstumdrehung nicht wirklich heraus", so Jesuit Klaus Mertes.

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Die Debatte um Aufarbeitung von Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln offenbart nach Ansicht von Jesuitenpater Klaus Mertes grundsätzliche Probleme. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki sei "nur die Spitze eines Eisbergs", schreibt Mertes in einem Gastbeitrag auf faz.net.

"Unterhalb des Wasserspiegels schwimmt der eigentliche Klotz: Hierarchie, Verbände, kirchliche Gremien, Gemeinden und auch die kirchliche Presse, selbst die hierarchiekritische, kommen aus ihrer Selbstumdrehung nicht wirklich heraus." Deren Thema sei immer wieder neu die Wiedergewinnung der Glaubwürdigkeit. "Genau das ist aber der falsche Notenschlüssel vor Melodie und Text namens Aufarbeitung. Der richtige Notenschlüssel müsste lauten: Gerechtigkeit für die Betroffenen."

Betroffene beteiligen, ohne sie zu instrumentalisieren

Die zentrale Frage laute, wie man Betroffene an Aufarbeitung beteiligen könne, ohne sie zu instrumentalisieren, so Mertes. Denkbar sei beispielsweise, dass die Kirche "für ihren eigenen Rechtskreis" die Rolle der Betroffenen im Sinne rechtsstaatlicher Verfahren stärke, indem sie ihnen den Status von Anklägern bei Verfahren gegen Kleriker zugestehe. "Bisher ist ihnen - wenn überhaupt- nur die Rolle von Zeugen zugestanden. Das führt in den laufenden Verfahren immer wieder zu absurden Konstellationen, durch die Betroffenen einmal mehr bloß ihre Ohnmacht vor Augen geführt wird."

Als weiteren Schritt schlägt Mertes die Einrichtung von Kommissionen vor, die sowohl unabhängig von der Institution Kirche als auch unabhängig von Betroffenenvertretungen sind. Diese Kommissionen könnten Verantwortung tragen "für Entscheidungen über die Veröffentlichung von Berichten, die Bewertung von administrativem Umgang mit Tätern und Betroffenen, über Hilfsangebote, Anerkennungszahlungen sowie Qualitätssicherung und Monitoring im weiteren Aufarbeitungsprozess".

Als beispielhaft nennt Mertes in diesem Zusammenhang die nach der Politikerin und Opferschutzanwältin Waltraud Klasnic benannte Kommission in Österreich. Mertes sorgte als damaliger Leiter des Canisius-Kollegs in Berlin wesentlich dafür, dass der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche 2010 öffentlich wurde. (KNA)