Ein Gastbeitrag von Kirchenrechtler Thomas Schüller

Ist bischöflicher Ungehorsam gegenüber dem Papst ein Schisma?

Veröffentlicht am 06.05.2021 um 12:41 Uhr – Lesedauer: 
Debatte

Münster ‐ "Ein Bischof, der das päpstliche Verbot der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ignoriert und ihm zuwiderhandelt, zieht sich die Exkommunikation als Tatstrafe zu", hatte Kirchenrechtler Gero Weishaupt kürzlich in einem Interview behauptet. Thomas Schüller analysiert, warum Weishaupt unrecht hat.

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In den letzten Tagen haben irritierende Äußerungen aus dem kanonistischen Darknet für Aufsehen gesorgt und die große Keule der flächendeckenden von sich aus eintretenden Exkommunikation vieler Bischöfe geschwungen. Mit einem juristischen Popanz wird versucht, Bischöfe einzuschüchtern. Angesichts einer durch Seelsorger*innen initiierten Segnungsaktion für "liebende Paare", die sich auch an Gleichgeschlechtliche wendet, wird die Frage aufgeworfen, in welchem Gehorsamsverhältnis die einzelnen Diözesanbischöfe gegenüber dem Papst stehen, die diese Aktion fördern oder zumindest dulden. Um diese Frage zu beantworten, ist an erster Stelle eine rechtliche Einordnung des Responsums der Glaubenskongregation vom 22. Februar 2021 zu dem Dubium: "Hat die Kirche die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts zu segnen?" notwendig.

Ein Responsum setzt voraus, dass zum Beispiel ein Bischof, eine Gemeinschaft von Bischöfen oder andere Organe ein Dubium (einen Zweifel) an die Kongregation herantragen. Mit der Beantwortung des Dubiums übt die Kongregation ihre Aufgabe gemäß Art. 50 Pastor Bonus (Gesetz zur Arbeit der Römischen Kurie) aus, die Bischöfe in der Ausübung ihres Dienstes zu unterstützen. Konkret ist dies eine Hilfe in der Ausübung des bischöflichen Dienstes als Wächter, Verkünder und Förderer der Lehre der Kirche gem. c. 386 CIC/1983. Die Gutheißung der Veröffentlichung des Responsums durch den Papst ändert nichts an der rechtlichen Natur als administratives Dokument eines Dikasteriums. Hätte der Papst sich das Responsum zu eigen machen und damit einen Akt päpstlicher (Lehr-)Gewalt setzen wollen, hätte er das Responsum in forma specifica gemäß Art. 125, 126 des Regolamento della Curia Romana erlassen. Was im Pontifikat von Papst Johannes Paul II. lange der Fall war, ist hier nachweislich nicht geschehen.

Ungehorsam gegenüber dem Responsum wäre somit allenfalls ein Verstoß gegen c. 754 CIC/1983, also eine Nicht-Befolgung einer Konstitution oder eines Dekretes, was eine Pflichtverletzung darstellt. Erst wenn sich der Ungehorsam gegen eine Lehre eines Trägers des authentischen Lehramtes richtet, liegt eine mögliche Straftat gemäß dem kanonischen Strafrecht vor.

Glaubenskongregation selbst nicht Träger des Lehramtes

Nun lehrt die Glaubenskongregation mit dem Responsum auch nicht, da sie selbst nicht Träger des Lehramtes ist, sondern sie verweist auf eine bestehende kirchliche Lehre, wonach geschlechtliche Verbindungen, die nicht auf die Ehe im christlichen Verständnis ausgerichtet sind, dem Plan Gottes nicht entsprechen und deswegen auch nicht gesegnet werden können. Als Quelle zu dieser Lehre führt die Glaubenskongregation Nr. 2357 des Katechismus der Katholischen Kirche an. Der Katechismus ist das Kompendium der Glaubenslehren, vom Papst verkündet. Damit liegt eine Lehre des ordentlichen päpstlichen Lehramtes gemäß c. 752 CIC/1983 vor, der religiöser Verstandes- und Willensgehorsam entgegenzubringen ist. Die hartnäckige Leugnung einer solchen Lehre, ohne dass nach Ermahnung widerrufen wird, kann gemäß c. 1371 °1 CIC/1983 eine gerechte Strafe nach sich ziehen. Diese Strafe tritt aber nicht latae sententiae (ohne Urteilsspruch als Tatstrafe) in Kraft, sondern kann nur als Ergebnis eines Strafprozesses verhängt werden. Auch wäre zunächst eine Ermahnung gegenüber dem Leugner notwendig.

Zudem darf man beim Katechismus darauf hinweisen, dass in ihm Lehrinhalte von sehr unterschiedlichem Verbindlichkeitsgrad enthalten sind. Nur so ist zu erklären, dass Papst Franziskus zum Beispiel in der Frage des kategorischen Verbots der Todesstrafe den Katechismus und damit einen Lehraussage seines Vorgängers komplett geändert hat. Der Katechismus ist eine Momentaufnahme, und die Lehre der Kirche bleibt in ständigem Fluss. Nur so wird verständlich, dass Papst Franziskus die Möglichkeit in vielen Ländern der Weltkirche begrüßt, dass auch gleichgeschlechtliche Paare zivilrechtlich heiraten können. Dies hatten die Päpste Johannes Paul II. und Papst Benedikt XVI. noch kategorisch verboten und katholische Politiker*Innen aufgefordert, gegen solche Gesetzesvorhaben zu votieren. Da sage mal einer, gerade im Themenfeld Homosexualität sei in der Lehre der Kirche nichts in Bewegung.

Bild: ©KNA/Lars Berg

Thomas Schüller ist Direktor des Instituts für Kanonisches Recht der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster.

Die Tatbestände der Häresie und des Schismas gemäß c. 751 CIC/1983 sind nicht erfüllt. Ein schismatischer Akt läge nur vor, wenn die Unterordnung unter den Papst derart verweigert würde, dass weder sein Jurisdiktions- noch sein Lehrprimat anerkannt würden. Um den Tatbestand der Häresie zu erfüllen, müsste eine kraft göttlichen und katholischen Glaubens zu glaubende Wahrheit geleugnet oder beharrlich bezweifelt werden. Wie nachgewiesen, handelt es sich bei der von der Glaubenskongregation zitierten Lehre aber nicht um eine endgültige, unfehlbare Lehre. Es ist kein Akt des päpstlichen Lehramtes, noch des Lehramtes des Bischofskollegiums bekannt, der die betreffende Lehre als endgültig und damit unfehlbar deklariert.

Und wer nun als Popanz das Argument aufbaut, eine Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und/oder deren Duldung bedeute eine Leugnung der Sakramentalität der Ehe von Mann und Frau, der nehme zur Kenntnis, dass kein Bischof den einzigartigen Rang der Ehe auch nur im Ansatz in Frage gestellt hat.

Das Remonstrationsrecht der Bischöfe

Neben der lehrrechtlichen Einordnung der von der Glaubenskongregation bekräftigten Lehre ist jedoch noch ein altehrwürdiges kirchenrechtliches Institut zu berücksichtigen, das Remonstrationsrecht der Bischöfe. Es gilt dem Gesetzgeber, also dem Papst, als Rechtsprinzip, das so selbstverständlich zur Struktur der Kirche gehört, dass es keiner expliziten Erwähnung im Codex bedurfte. Inhaltlich ist es nicht nur ein Recht, sondern sogar die Pflicht eines Diözesanbischofs, einem päpstlichen Gesetz zu widersprechen, wenn es ihm für die ihm anvertraute Diözese – also die ihm anvertrauten Gläubigen – als unpassend oder sogar schädlich erscheint. Dieser Pflicht zu folgen, kann nicht strafrechtlich sanktioniert werden. Im Gegenteil kann, wenn man dem Corpus Iuris Canonici folgt, die Pflicht zur Befolgung eines päpstlichen Gesetzes durch die Remonstration ausgesetzt werden.

Auf allen Kontinenten haben Diözesanbischöfe öffentlich gegen das Responsum remonstriert und es somit für ihre Diözesen für unanwendbar erklärt. Dies ist ihr gutes Recht. Und so können die Seelsorger und Seelsorgerinnen in ihren Diözesen ohne Sorge, sanktioniert zu werden, gleichgeschlechtliche Paare segnen. Der weltweite Protest der Bischöfe macht auch deutlich, dass über einen Wandel in der Lehre zur Homosexualität augenscheinlich nachgedacht werden muss.

Fazit: Kein Bischof sollte sich durch kirchenpolitisch inszeniertes kirchenrechtliches Halbwissen, das imaginäre Drohkulissen aufbaut, ins Bockhorn jagen lassen. Drohkulissen helfen niemandem. Die ihnen anvertrauten Seelsorger und Seelsorgerinnen dürfen angstfrei und auf der Spur des Evangeliums allen Menschen Gottes guten Segen spenden.

Von Thomas Schüller