Standpunkt

Der Papst ist unsensibel für das Leid ungewollt kinderloser Paare

Veröffentlicht am 20.01.2022 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Mit seinen Aussagen über kinderlose Paare hat Papst Franziskus wieder einmal in seine "Kiste für missverständliche Grobheiten" gegriffen, kritisiert Thomas Seiterich. Ungewollt kinderlose Paare litten oft sehr unter ihrer Situation.

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Papst Franziskus hat wieder einmal in seine persönliche Kiste für missverständliche Grobheiten gegriffen. Statt Brücken zu den Menschen zu bauen, hat der Pontifex-Brückenbauer die kinderlosen Paare attackiert: Es geschah vor großem Publikum in der ersten Audienz des neuen Jahres. Franziskus erntete viele Lacher, denn in Italien wird den kinderlosen Paaren in den Medien schon lange ein egoistischer Lebenswandel unterstellt. Doch wer geht in Italien dem Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit, schlechten Jobs, schlechten Lebensaussichten und der nahezu Null-Geburtenrate nach?

Nicht nur der Papst, auch die Kirche ist traditionell unsensibel für das vielschichtige Leid der ungewollt kinderlosen Paare. In Deutschland trifft es derzeit jede sechste bis siebte Ehe. Die Achtlosigkeit geht bis auf die Bibel zurück. Kindersegen bedeutete in biblischen Zeiten Überleben für das Volk und Versorgung für die Alten. Keine Kinder zu bekommen war eine Katastrophe. Nachzulesen beispielsweise im Anfangskapitel des Buches Samuel.

Und heute? In all den vielen Regionen der Erde, wo es keine funktionierende Kranken-, Alters- und Sozialversicherung gibt und stattdessen die Großfamilie und ihr Netz alles, was so zustößt, auffangen und bewältigen muss, führt Kinderlosigkeit in große Not. Deshalb hat zum Beispiel die katholische Kirche in der Demokratischen Republik Kongo bereits vor vier Jahrzehnten eine spezielle Seelsorge und Segnungen, ja eine soziale Pastoral für ungewollt kinderlose Paare eingeführt, wie der kongolesische Moraltheologe Professor Bénézet Bujo berichtet.

In den Gesellschaften Europas geraten viele ungewollt Kinderlose an den Rand. Nicht erst im Alter. Um so erfreulicher, dass die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) auf die losen Reden des Papstes kritisch reagiert. "Wir setzen uns seit Jahrzehnten dafür ein, dass alle Menschen, egal welchen Geschlechts und mit welchem Lebensentwurf die gleiche Würde haben", erklärte die kfd-Vorsitzende Mechthild Heil. Dass nun einmal mehr Kinderlose diskriminiert würden, zerstöre das Vertrauen vieler Katholikinnen und Katholiken in die Kirche – was zu weiteren Austritten führen kann.

Von Thomas Seiterich

Der Autor

Thomas Seiterich ist Ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift "Publik-Forum".

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.