Dr. Christian Schaller über das neue Ende eines alten Aufsatzes Benedikt XVI.

"Das ist reiner Zufall"

Veröffentlicht am 19.11.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Benedikt XVI. schreibt.
Bild: © KNA
Theologie

Bonn ‐ Dass der emeritierte Papst kurz nach der Familiensynode einen alten Aufsatz zur Unauflöslichkeit der Ehe überarbeitet und neu veröffentlicht hat, sorgt für Spekulationen. Einer, der die Schriften Benedikts genau kennt, ist Christian Schaller. Als stellvertretender Direktor des Instituts Papst Benedikt XVI. ist er an den Gesammelten Schriften Joseph Ratzingers beteiligt. Gegenüber katholisch.de erklärt der Theologe, wie es zu der neuen Ausgabe des Aufsatzes kam und ob die Aufregung gerechtfertigt ist.

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Frage: Herr Schaller, wie ist die Zusammenarbeit zwischen Benedikt XVI. und den Herausgebern?

Schaller: Wir sind ständig mit Benedikt XVI. in Kontakt. Aufbau und Struktur eines neuen Bandes werden unmittelbar mit ihm besprochen. Als Autor kennt er natürlich seine eigenen Texte am besten und weiß, wie man dem Leser in der Mischung aus Systematik und Chronologie ein Gesamtbild auf ein bestimmtes theologisches Thema präsentieren kann. Zum Beispiel beim Thema Kirche und Ökumene in Band 8: Da muss der Leser die Quintessenz der Ekklesiologie und der Vorstellung einer ökumenischen Theologie Joseph Ratzingers wiederentdecken. Wir streben mit den Gesammelten Schriften natürlich Vollständigkeit an, aber es werden auch Texte nicht aufgenommen, die an einer anderen Stelle inhaltlich das Gleiche sagen, nur mit anderen Worten. Darüber geben wir natürlich auch Auskunft in den Editorischen Hinweisen, die jeden Band abschließen. Die "Gesammelten Schriften" sind wie Sammelbände von Texten von Joseph Ratzinger zu je einem bestimmten Thema zu sehen, die das Institut herausgibt. Am Ende der 16 Bände wird dann die Architektur seiner Theologie deutlich und für die weitere Erforschung zur Verfügung gestellt.

Christian Schaller im Porträt
Bild: ©Christian Schaller

Dr. Christian Schaller ist Stellvertretender Direktor des Institut Papst Benedikt XVI. in Regensburg.

Frage: Im vierten Band der Gesammelten Schriften, der in diesen Tagen erscheint, wurde der Aufsatz "Zur Frage der Unauflöslichkeit der Ehe" nicht in der Fassung von 1972 abgedruckt, der Schlussteil wurde in weiten Teilen ausgetauscht . Ist das ein übliches Vorgehen?

Schaller: Grundsätzlich ist das bei einem – Gott, sei Dank – noch lebenden Autor ein übliches Vorgehen. Es ist normal, dass ein Text, der in einem zeitlichen Abstand von mehr als 40 Jahren erneut veröffentlicht wird, noch einmal durchgesehen wird. Es geht darum, zu präzisieren, zu verdeutlichen, vielleicht noch einen zusätzlichen Aspekt zu ergänzen – in 40 Jahren gibt es auch eine denkerische und wissenschaftliche Entwicklung.

Frage: Dass Autoren im Laufe der Zeit ihre Position überprüfen, präzisieren und revidieren, gehört zur Wissenschaft. Warum wurde hier die Entscheidung getroffen, den alten Aufsatz zu verändern, anstatt den ursprünglichen Text aufzunehmen und eine Neubewertung der Sachlage beizugeben?

Schaller: Er kommt ja nicht zu völlig anderen Ergebnissen. Joseph Ratzinger hat auch 1972 an der Unauflöslichkeit der Ehe festgehalten, aber dann aus der Tradition der Kirche und aus den Überlegungen der Kirchenväter heraus auf gewisse Möglichkeiten hingewiesen. Seither ist die Problematik der Ehescheidung auch in der Gesellschaft viel deutlicher erkannt worden. In einer "Ausgabe letzter Hand" wie hier nimmt man immer den letzten Text, also die jüngste Fassung. Das ist dann auch repräsentativ für die Entwicklung eines Autors.

Frage: Ist dieses Vorgehen einmalig in den Gesammelten Schriften oder kommt das häufiger vor?

Schaller: In dieser Form ist das bisher einmalig. Aber ich schließe nicht aus, dass es auch in Zukunft noch einmal zu Überarbeitungen kommt.

Frage: Ist denn eine kritische Ausgabe geplant, in der die verschiedenen Fassungen verglichen werden?

Schaller: Im Moment nicht. Aber der Text ist ja nicht verschollen. Den kann jeder in der Bibliothek holen, wir verstecken ihn nicht. Das geht auch klar aus den editorischen Hinweisen hervor, die am Ende des Bandes stehen: Da steht, dass der Text in einer überarbeiteten Fassung vorliegt, an welchen Stellen eingegriffen wurde, es gibt bibliographische Angaben, wo der Text zu finden ist. Jeder kann sich bereits jetzt überzeugen, wo die Differenz liegt.

Frage: Diese Überarbeitung schlägt hohe Wellen. Sehen Sie die Aufregung gerechtfertigt, wenn etwa Matthias Drobinski in der "Süddeutschen Zeitung" die neue Fassung als kirchenpolitisches Zeichen deutet?

Schaller: Nein, die Aufregung ist überhaupt nicht gerechtfertigt. Dass der Band im Umfeld der Bischofssynode erschienen ist, ist reiner Zufall. Die Arbeit daran läuft bereits seit einigen Jahren, der Editionsplan wurde 2008 aufgestellt, vor zwei oder drei Jahren wurde an der Gliederung dieses Bandes gearbeitet. Dass er jetzt, 2014, erschienen ist, ist dem Arbeitsmodus geschuldet und hat keinerlei kirchenpolitische Relevanz. Im Übrigen sollte man bei einem Band, der fast 1000 Seiten hat, auch den Kontext wahrnehmen. Darin sind Texte enthalten, die die Position von Ratzinger und deren Entwicklung der vergangenen 30 Jahre auch stärken und verdeutlichen. Es ist unredlich, wenn man von einem Autor eine Position von vor über 40 Jahren nur isoliert wahrnimmt, aber die Genese und die Ergebnisse der jüngeren Texte nicht zur Kenntnis nimmt.

Das Interview führte Felix Neumann